Im Vorfeld der Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht über
Beschwerden gegen den verdachtslosen Abgleich von Kfz-Kennzeichen mit
polizeilichen Fahndungsdateien sind erste Zahlen zum Einsatz des
Verfahrens in Hessen bekannt geworden. Die hessische Polizei hat
demnach seit März eine Million Nummernschilder mit ihren neuen
automatischen Kennzeichenlesegeräten gescannt. Der automatische
Abgleich mit Fahndungsdatenbanken soll dabei 300 Treffer ergeben haben,
wie das hessische Innenministerium dem Nachrichtenmagazin Focus mitteilte.
Zu etwa zwei Dritteln waren es die Fahrer von Autos ohne
Haftpflichtschutz, die der Polizei ins Netz gingen. Als größeren Erfolg
wertet das Innenministerium laut dem Bericht die Festnahme einer
Einbrecher-Truppe.
Karlsruhe verhandelt am morgigen Dienstag über Klagen gegen das Kennzeichen-Scannen in Hessen und Schleswig-Holstein. Die dortigen Polizeigesetze erlauben
den dauerhaften Einsatz automatischer Kennzeichenlesegeräte. Die
Beschwerdeführer rügen unter anderem einen Verstoß gegen die
informationelle Selbstbestimmung ahnungsloser Fahrer. Sie bemängeln,
dass der Abgleich der Nummernschilder mit derzeit rund 2,8 Millionen
zur Fahndung ausgeschriebenen Fahrzeugen ungezielt und ohne Anlass
erfolge. Ein solches massenhaftes Stochern im Nebel behandele jeden
Autofahrer wie einen potenziellen Straftäter und lege den Grundstein
für einen immer umfangreicheren maschinellen Abgleich der Bevölkerung
mit polizeilichen Datenbanken. Konkrete mit den Geräten erzielte
Erfolge seien dagegen kaum zu vermelden. Vielmehr sei die Zahl
gestohlener Kraftfahrzeuge, die einen Schwerpunkt auf den
Fahndungslisten bilden, zwischen 1993 und 2006 auch ohne die spezielle
Form der Rasterfahndung um 83 Prozent zurückgegangen. Im praktischen
Einsatz seien zudem bis zu 40 Prozent der gemeldeten "Treffer"
fehlerhaft.
Die Beschwerdeführer haben zudem kein Vertrauen, dass nicht doch
schon in naher Zukunft die Bewegungsdaten aller Verkehrsteilnehmer
aufgezeichnet und Bewegungsprofile erstellt werden. Sie monieren auch,
dass nur wenig Transparenz darüber besteht, wer in den polizeilichen
Fahndungsdateien gespeichert ist. Allein durch die Möglichkeit
automatischer Verkehrsüberwachung wird nach Ansicht der Kläger
"psychischer Druck erzeugt, der geeignet ist, die allgemeine Handlungs-
und Bewegungsfreiheit zu beschränken". Erlaube man eine generelle,
verdachtslose Kennzeichenüberwachung, dann würde der Überwachung der
gesamten Bevölkerung durch permanenten Abgleich mit allein
polizeilichen Fahndungsdateien der Weg eröffnet. Dieser könne sich dann
etwa auch auf eine automatische Überprüfung aller Inhaber
eingeschalteter Mobiltelefone, einer permanenten, kontaktlosen Fahndung
anhand von RFID-Chips in mitgeführten Ausweispapieren oder einer
generellen biometrischen Gesichtserkennung an jeder Straßenecke
beziehen.
Hessen argumentiert dagegen, dass die Nummernschilder im Falle eines
Nicht-Treffers nur für die Sekunden des Abgleichs gespeichert sind. Die
Verteidigungsschrift
(PDF-Datei) der schleswig-holsteinischen Regierung kommt pauschal zu
dem Ergebnis, dass die Befugnis zum Scannen einen verfassungsrechtlich
gerechtfertigten Eingriff ins Grundrecht der informationellen
Selbstbestimmung darstelle. Sie verstoße weder gegen den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit noch gegen das Gebot der Normenklarheit und
-bestimmtheit. Bayerns Polizei hat bereits eingeräumt, dass das
automatische Kennzeichenlesesystem in einem besonderen Modus alle
gescannten Nummernschilder für einen längeren Zeitraum speichern kann,
zum Beispiel bei einer Ringalarmfahndung. Die bayerischen Fahnder soll
allein zwischen Januar und Oktober 2006 rund 45 Millionen
Kfz-Kennzeichen per Videoscan ausgelesen und überprüft haben. Dabei sei eine Trefferquote von drei Promille erzielt worden.
Neben den Klägern sieht auch der ADAC das Scannen weiter skeptisch.
Der Leiter der Abteilung Verkehrsrecht des Automobilclubs, Michael
Ludovisy, bezweifelt, "dass der Staat in solchem Maß Personen unter
Generalverdacht stellen darf". Ihn stört besonders, dass die
Kennzeichen heimlich gefilmt werden. Den Ersten Senat des
Bundesverfassungsgerichts soll im Vorfeld der Anhörung bereits
besonders interessiert haben, ob auch Fahrer und Beifahrer auf den
Fotos erkannt werden können, die von den Infrarotkameras geschossen
werden. Die hessische Staatskanzlei sandte daraufhin zwei
Originalaufnahmen nach Karlsruhe, auf denen Umrisse und Marke des
Wagens erkennbar sind. Der Innenraum soll aber im Schatten liegen. Der
Fahrer würde nicht identifiziert, wurde den Richtern beschwichtigend
mitgeteilt.
Mindestens die Hälfte aller Innenminister lässt bereits Kennzeichen
scannen oder hat die Voraussetzung dafür geschaffen: Dazu gehören neben
den beklagten Ländern auch Bayern, Brandenburg, Bremen, Hamburg,
Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz. Baden-Württemberg will
dafür 2008 das Polizeigesetz ändern. Die bereits eingesetzten Geräte
sind in der Lage, pro Stunde mehrere tausend Fahrzeuge informationell
abzugleichen.
Quelle: http://www.heise.de/newsticker/meldung/99197/from/rss09