Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat den Entwicklungsstopp für den
heftig umstrittenen Bundestrojaner beim Bundeskriminalamt (BKA) wieder
aufgehoben. Dies berichtet der Spiegel
in seiner kommenden Ausgabe. Der CDU-Politiker treibt demnach sein
Prestigeprojekt der heimlichen Online-Durchsuchung gegen alle
Widerstände weiter voran. In einem "Aufhebungserlass" soll er am
Dienstag dem BKA erlaubt haben, die Arbeit an der Schnüffelsoftware wieder aufzunehmen und neues Personal dafür einzustellen. Zuvor hatte die Wiesbadener Polizeibehörde bereits eine Stellenanzeige aufgegeben,
deren Zuschnitt auf die Programmierung des Bundestrojaners schließen
ließen. Schäubles Ministerium hatte im andauernden Streit mit der SPD
über Online-Razzien im Sommer aber mehrfach betont, dass das Projekt auf Eis liege.
Nachdem der Bundesgerichtshof Anfang des Jahres die verdeckte Ermittlungsmaßnahme aufgrund fehlender Rechtsgrundlage untersagte, hatte Schäuble zunächst nach heftigem politischen Druck reagiert.
Er verbot vorläufig nicht nur die Anwendung des Bundestrojaners für
alle Sicherheitsbehörden in seinem Bereich, sondern stoppte auch die
weitere Entwicklung der Technik. Bereits im Rahmen des umstrittenen Programms zur Stärkung der inneren Sicherheit bewilligte Mittel in Höhe von mehreren hunderttausend Euro für die Arbeit an der "Remote Forensic Software" (RFS) wurden daraufhin eingefroren, zwei dafür vorgesehene Personalstellen nicht besetzt.
Diese Einschränkungen hat der Minister laut dem Magazinbericht nun
zurückgenommen. Zuvor soll er sich aber bei SPD-Innenpolitikern
Rückendeckung geholt haben. Auf großen Widerstand dürfte er dabei nicht
gestoßen sein. Der Innenexperte der Sozialdemokraten im Bundestag,
Dieter Wiefelspütz, gilt als Verfechter heimlicher
Online-Durchsuchungen unter engen rechtsstaatlichen Voraussetzungen.
Auch im Haushaltsausschuss soll sich Schäuble für die Freigabe der
Mittel eingesetzt haben.
Eine Einigung innerhalb der großen Koalition auf eine baldige
rechtliche Grundlage ist trotzdem nach wie vor fraglich. Offizielle
Linie der SPD ist es, vor einer abschließenden Meinungsbildung das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Lizenz für Netzbespitzelungen
im nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzgesetz abzuwarten. Bei der mündlichen Anhörung
hatten die Verfassungsrichter in Karlsruhe schwerwiegende Bedenken
gegen Online-Razzien durchblicken lassen. Bundesjustizministerin
Brigitte Zypries (SPD) zweifelte zudem
jüngst erneut die Notwendigkeit von Online-Durchsuchungen generell an.
Trotzdem will das Innenministerium offensichtlich für eine eventuelle
spätere rechtliche Befugnis vorsorgen und technisch vorbereitet sein.
Für diesen Fall "muss eine funktionsfähige Software zur Verfügung
stehen", beschied die Bundesregierung auf eine Anfrage der
FDP-Bundestagsabgeordneten Gisela Piltz.
Die Weigerung des früheren Innenstaatssekretärs
Lutz Diwell (SPD), vor dem Innenausschuss des Parlaments über die
Hintergründe seiner Dienstanweisung für die Ausforschung
"informationstechnischer Systeme" schon unter Schäubles Vorgänger Otto
Schily (SPD) auszusagen, sorgt derweil weiter für Empörung. "Wenn er
wirklich ein reines Gewissen hätte, wäre es ihm doch ohne Weiteres
möglich, vor dem Ausschuss zu erscheinen", sagte der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach der Tageszeitung Die Welt.
Er habe eher den Eindruck, der jetzige Justizstaatssekretär tauche ab:
"Da legt sich einer in die Ackerfurche und hofft, dass der Wind über
ihn hinwegweht." Das Schweigen Diwells sei eine Brüskierung des
Bundestages, "übrigens auch der Kollegen von der SPD. Da schwingt
Politikverachtung mit".
In der SPD mehren sich zugleich die Stimmen, die für die Schaffung
eines Grundrechts auf Informationsfreiheit im Internet plädieren. "Das
Internet ist ein neuer Raum der Freiheit, der im Grundgesetz nicht
vorkommt", philosophierte
Wiefelspütz gegenüber der Welt. Es sei an der Zeit, die Ausübung von
Bürgerrechten im Netz "gegen staatliche Eingriffe zu sichern". Die
Kommunikation verändere sich, "darauf müssen wir reagieren", meint auch
der Vorsitzende des Innenausschusses, Sebastian Edathy (SPD). Die
"Kodifizierung von Bürgerrechten für die virtuelle Welt in der
Verfassung" sei deshalb sinnvoll. "Unsitten" wie die Speicherung von IP-Adressen der Besucher
von Webauftritten zahlreicher Bundesministerien und untergeordneter
Behörden würden diese Notwendigkeit genauso belegen wie die Unionspläne
für verdeckte Online-Durchsuchungen.
Das Innenministerium denkt selbst ebenfalls darüber nach, ob der
Grundrechtsschutz nicht auf das Internet ausgedehnt werden müsse. Damit
will es Online-Razzien freilich keineswegs Steine in den Weg legen.
Johann Hahlen, Staatsekretär unter Schäuble, machte vor kurzem
unmissverständlich klar, auch der gesondert in die Verfassung
aufzunehmende Schutz der vertraulichen Kommunikation über elektronische
Medien und IT-Systeme brauche klare Schranken.
Im Notfall müsse auf Daten Verdächtiger zugegriffen werden können.
Zypries will sich auch in der Frage des neuen Grundrechts erst nach der
Entscheidung des Verfassungsgerichts zu Netzbespitzelungen klar
positionieren.