Österreich: Petition gegen den Überwachungsstaat gestartet

Drei Informatik-Professoren und eine Richterin haben gemeinsam mit den Grünen eine "Initiative für den Schutz vor dem Überwachungsstaat"
gestartet und treten als Erstunterzeichner einer Online-Petition auf.
Sie haben den Nationalratsabgeordneten Peter Pilz ausgewählt, um die
Petition dem Nationalrat zu überreichen. Auf diesem Weg soll gemäß §
100 der Geschäftsordnung des Nationalrates erreicht werden, dass das vorvergangene Woche novellierte Sicherheitspolizeigesetz (SPG)
doch noch im Innenausschuss des Nationalrats beraten wird. Das neu
gefasste SPG verpflichtet Mobilfunker, auf Polizeibefehl Standortdaten
und die internationale Mobilfunkteilnehmerkennung (IMSI) eines Handys
preiszugeben. Gleichermaßen müssen Provider Name und Anschrift von
Nutzern bestimmter IP-Adressen herausgeben. Eine richterliche Kontrolle
der Wünsche der Polizei gibt es nicht mehr, auch eine Information der
Betroffenen ist nicht vorgesehen.

"Es ist ein Anliegen der Informatikprofessoren (…) einen
verantwortungsvollen Umgang mit der Technologie" zu fördern, sagte der
Erstunterzeichner, Universitätsprofessor Gerald Futschek, der Präsident
der Österreichischen Computer Gesellschaft (OCG)
ist, anlässlich der Vorstellung der neuen Initiative am heutigen Montag
in Wien. "Technisch ist sehr sehr viel machbar. (…) Die Bürger wollen
nicht in einem Überwachungsstaat leben." Die OCG fordere richterliche
Kontrolle und dass das neue Gesetz einer ordentlichen Begutachtung
zugeführt werde.

Die Regierungsvorlage hatte nur die Auskunft bezüglich der
Mobilfunkdaten vorgesehen, und auch dies war nach der Begutachtung vom
Innenministerium als überholt dargestellt worden. Erst wenige Stunden
vor der Abstimmung zu mitternächtlicher Stunde hatten zwei Abgeordnete
von SPÖ und ÖVP
einen Abänderungsantrag eingebracht, der die Auskunftspflicht auf
IP-Adressen erweiterte. Die Änderungen wurden mit den Stimmen von SPÖ
und ÖVP beschlossen, ohne dass der zuständige Innenausschuss befasst
worden wäre.

Pilz kritisierte die "überfallsartige Befassung des Nationalrates
ohne Begutachtungsverfahren." Hätte es eine Begutachtung und eine
Beratung im Innenausschuss gegeben, wäre es "sehr unwahrscheinlich
gewesen, dass das Gesetz in der Form beschlossen worden wäre." Als
Grund für die plötzliche Erweiterung vermutet Pilz eine Entscheidung
der Datenschutzkommission vom 20. Juli. Darin war anlässlich eines
konkreten Falles festgestellt worden, dass der polizeiliche Zugriff auf
IP-Adressen ohne richterliche Genehmigung rechtswidrig ist. In der
Folge habe sich das Innenministerium eine Gesetzesänderung gewünscht,
um weiterhin ungehindert auf IP-Daten zugreifen zu können. Pilz hält
die Novelle für verfassungswidrig, weil sie gegen das in Artikel 10 des
Staatsgrundgesetzes verankerte Briefgeheimnis verstoße.

"Wir als Opposition haben keine Möglichkeit mehr. Es gibt aber die
Möglichkeit der parlamentarischen Petition", umriss Pilz den Grund für
die nun gestartete Unterschriftensammlung. Dabei werde von den
Unterzeichnern ein Abgeordneter beauftragt, der dem Petitionsausschuss
vorschlagen kann, die Petition in einem anderen Ausschuss, diesfalls im
Innenausschuss, zu behandeln. "Unter 10.000, 20.000 Unterschriften
glaube ich in Kenntnis der Regierungsparteien, dass sie es nicht
übermäßig ernst nehmen werden" so Pilz, "Ich hoffe, dass wir jetzt ganz
schnell die 10.000 kriegen und dann wesentlich mehr."

Ein wesentlicher Mangel der neuen Rechtslage sei, dass es keine
nachträgliche Information der Überwachten gäbe. "Sie haben überhaupt
nur eine Chance, zu erfahren, dass Sie überwacht wurden, wenn es ein
Strafverfahren gibt. Ist es aber eine rein polizeiliche Ermittlung
(…), ist die Chance gleich Null." Daher könne in der Regel auch kein
Rechtsmittel ergriffen werden. "Ich behaupte, dass das beabsichtigt
ist", sagte Pilz, der außerdem klarstellte: "Ich bin heute nicht da als
grüner Sicherheitssprecher, sondern als jener Abgeordneter, der die
Petition einbringen soll."

Erstunterzeichner Hannes Werthner, Professor an der Technischen Universität Wien,
fragte rhetorisch: "Soll man wirklich alles Überwachen, was am Handy
und am Computer abläuft, ohne richterliche Kontrolle und ohne dass es
nachher Information gibt?" Die Überwachung bremse das Vertrauen, das
die Menschen in E-Commerce hätten, und dies reduziere die generelle und
individuelle Akzeptanz. Die Überwachung schade also der Wirtschaft.
Ebenfalls an der TU Wien lehrt Erstunterzeichner Professor A Min Tjoa.
Der Grundrechtsschutz gehe auf das Briefgeheimnis und das
Habeas-Corpus-Gesetz zurück, was nicht in einer Nacht aufgegeben werden
dürfe, meinte er. Es brauche "richterliche Kontrolle und nicht
irgendeinen Rechtsschutzbeauftragten" sowie eine Information des
betroffenen Bürgers. "Das ist im Gesetz nicht drin", erinnerte Tjoa.
Vierte Erstunterzeichnerin ist Barbara Helige, ehemalige Präsidentin
der Richtervereinigung und Vorstandsmitglied der Österreichischen Liga für Menschenrechte.

Siehe dazu auch:

(Daniel AJ Sokolov) /
Daniel AJ Sokolov ist freier Journalist und berichtet für heise
online über alle Themen aus Telekommunikation, IT und dem
gesellschaftlichen Umfeld in Österreich. Sokolov ist parallel dazu auch
Mitglied der österreichischen Grünen und Vorsitzender der
Bezirksvertretung Wien-Josefstadt.

(jk/c’t)

Quelle: http://www.heise.de/newsticker/meldung/100700/from/atom10