Die bisher eher beschaulich agierende EU-Polizei soll in eine
Agentur umgewandelt werden. Dahinter verbirgt sich der massive Ausbau
der Kompetenzen der Haager Behörde
So richtig mag man mit dem Thema nicht an die Öffentlichkeit gehen: Eher beiläufig segneten
die EU-Abgeordnete am Donnerstag mit einigen Änderungen die Vorschläge
von EU-Kommission und Ministerrat zur Umwandlung des "Europäschen
Polizeiamts" Europol
in eine EU-Agentur ab. Was auf den ersten Blick wie eine rein
bürokratische Amtshandlung aussieht, könnte jedoch massive Auswirkungen
nicht nur für Kriminelle haben.
Nach der Umwidmung wird Europol eine Einrichtung wie die EU-Behörde für
Lebensmittelsicherheit oder das Zentrum zur Förderung der
Berufsausbildung sein. Rein formal gesehen bekäme das Amt dann sein
Budget von etwa 70 Millionen Euro (2007) aus den Brüsseler Kassen (und
nicht wie bisher aus den Mitgliedsländern); die Mitarbeiter würden in
den Beamtenstand rutschen. Verbunden ist mit der Umgestaltung aber eine
enorme Ausweitung der Aufgaben und Möglichkeiten von Europol,
insbesondere was den Datenaustausch mit nationalen Behörden anbelangt.
Bislang waren die Kompetenzen von Europol streng
begrenzt. Über Vollstreckungsbefugnisse, beispielsweise für Festnahmen
oder Hausdurchsuchungen, verfügt das gut 500 Mann starke Polizeiamt mit
Sitz im niederländischen Den Haag schon gar nicht. "Europol hat den
Auftrag, einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung der organisierten
Kriminalität und des Terrorismus zu leisten", verkündet
die Homepage der EU-Polizei. Geschehen soll dies vor allem über die
Sammlung, die Auswertung und den Austausch von Informationen. Dies
passiert – zumindest nach den Festlegungen der Übereinkunft
über die Polizeibehörde vom Juli 1995 – jedoch nicht "automatisiert":
Die Europol-Datenbanken können nur über sogenannte nationale
Europol-Stellen, die als einzige Verbindungsstellen zwischen
EU-Polizeiamt und Behörden der Mitgliedstaaten fungieren, angezapft und
umgekehrt auch bestückt werden. Die Abfragen laufen nach bisherigen
Vorschriften über offizielle Informationsersuchen. In Den Haag selbst
sitzt zudem mindestens ein "Verbindungsbeamter", der die Interessen
seines Landes wahrnehmen soll.
Die Begrenzung der Kompetenzen allerdings war weniger dem Interesse am
Schutz der Privatsphäre der Bürger oder der strikten Einhaltung
rechtsstaatlicher Prinzipien geschuldet. Vielmehr galt gerade der
Bereich von Justiz und Innerem als zentrales Element nationaler
Souveränität. Nicht nur die Briten, die traditionell den staatlichen
Ausverkauf an Brüssel fürchten, befürworteten zwar eine Zusammenarbeit
der Rechts- und Innenbehörden, wollten sich aber möglichst nicht in die
Karten schauen oder gar von Beamten aus anderen Ländern bevormunden
lassen.
Ungebremster Informationsfluss
Mit der Verstärkung der mit dem Maastricht-Vertrag
von 1992 eingeführten polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit als
"dritter Säule" der Gemeinschaftspolitik und nicht zuletzt nach den
Terroranschlägen von New York, Madrid und London wurden die strengen
Regelungen aufgeweicht und allein in den vergangenen fünf Jahren durch
ein halbes Dutzend Rechtsakte erweitert. So wurde beispielsweise mit
einem Protokoll von November 2003 zum Europol-Übereinkommen ermöglicht,
direkte Kontakte zwischen verschiedenen nationalen Behörden und Europol
herzustellen – unter der formalen Voraussetzung, dass die nationale
Europol-Stelle parallel unterrichtet wird.
Dieser ungehinderte Informationsfluss soll nun die
Regel werden. Das "Einholen, Speichern, Verarbeiten, Analysieren und
Austauschen von Informationen und Erkenntnissen, die von den Behörden
der Mitgliedstaaten, von Drittländern oder anderen öffentlichen oder
privaten Stellen übermittelt werden", soll laut Vorgaben der EU-Kommission künftig zentrale Aufgabe von Europol sein.
Ausdrücklich werden jetzt operative Maßnahmen, auch im Zusammengehen
mit anderen Behörden, in die Tätigkeitsbeschreibung aufgenommen:
"Koordinierung, Organisation und Durchführung von Ermittlungen und von
operativen Maßnahmen, die gemeinsam mit den zuständigen Behörden der
Mitgliedstaaten oder im Rahmen gemeinsamer Ermittlungsgruppen
durchgeführt werden, gegebenenfalls in Verbindung mit Eurojust oder mit
Drittstellen." Ebenso sollen die Informationen ungebremst und
ungefiltert fließen. So ist als Aufgabe festgelegt, "Ermittlungen in
den Mitgliedstaaten durch die Übermittlung aller sachdienlichen
Informationen an die nationalen Stellen (zu) unterstützen".
Auch die Liste der Straftaten wird erweitert
Der Europäische Datenschutzbeauftragte warnte in seinem Gutachten
zu der Europol-Umwandlung vor diesen Regeländerungen. So fordert er
"spezifische Bedingungen und Einschränkungen hinsichtlich der aus
privaten Quellen stammenden Informationen und Erkenntnisse, unter
anderem um die Richtigkeit dieser Informationen zu gewährleisten" und
die "Aufnahme von Garantien für den Zugriff auf Daten von Personen, die
(noch) keine Straftat begangen haben".
"Die durch das Europol-Übereinkommen gebotenen Garantien sollten nicht
abgeschwächt werden", meinte Peter Hustinx. Vor allem aber verlangt der
Datenschützer, dass "der elektronische Zugang zu Daten in anderen
nationalen und internationalen Informationssystemen und der Abruf
dieser Daten (…) nur auf Einzelfallbasis unter strengen Auflagen
zulässig sein" solle. Der neue Europol-Vertrag solle erst dann in Kraft
gesetzt werden, wenn der EU-Rat einen entsprechenden Rahmenbeschluss
zum Datenschutz gefasst habe. Das aber ist bis heute nicht geschehen,
wie auch das Europaparlament am Donnerstag monierte.
Daneben soll auch die Liste jener Straftaten
ausgeweitet werden, die Europol ins Visier nimmt. "Mit der Neuregelung
sind die Interventionsmöglichkeiten des Polizeiamts nicht mehr nur auf
die organisierte Kriminalität beschränkt. Der Tätigkeitsbereich von
Europol wird vielmehr auf andere Arten schwerer Straftaten, die
außerhalb der organisierten Kriminalität begangen werden, erweitert,
was eine wesentliche Neuerung darstellt", heißt es in der Stellungnahme
des Europaparlaments (8). Das ist sicher etwas positiv ausgedrückt.
Denn tatsächlich umfasst die dem Kommissionsvorschlag angehängte
Europol-Zuständigkeitsliste nicht nur schwerste Vergehen, sondern
nahezu alle Arten von Straftaten.
Uwe H. Sattler 18.01.2008