Militarisierung der bundesdeutschen Innenpolitik (Teil 2 und
Schluß): Der Inlandseinsatz der Bundeswehr wird konsequent vorbereitet
Von Frank Brendle
Illegaler Einsatz: Die Bundeswehr darf die Polizei nicht durch Ausspähen von Straftaten unterstützen (Autobahnüberwachung während des G-8-Gipfels in Heiligendamm, Juni 2007) Foto: Kai Horstmann |
Anfang der neunziger Jahre hat die Bundeswehr mit den Auslandseinsätzen
begonnen, und für Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble ist der
Inlandseinsatz die logische Konsequenz. Ende 1993 stellte er in einem
Brief an die CDU-Mitglieder die rhetorische Frage, »ob die Bundeswehr
nicht unter streng zu definierenden Voraussetzungen auch bei größeren
Sicherheitsbedrohungen im Innern – wie die Armeen aller anderen
zivilisierten Staaten – notfalls zur Verfügung stehen sollte«; er
dachte dabei an Castortransporte, Chaostage und die Abwehr von
Flüchtlingen.
Damals
sind die Argumente entwickelt worden, die heute gang und gäbe sind:
»Zunehmend verschwimmen die Grenzen zwischen innerer und äußerer
Sicherheit«, sagte der damalige Verteidigungsminister Rupert Scholz
(CDU) am 14.Januar 1994 im Bundestag. Und Johannes Gerster,
Fraktionsvize der Union, meinte, die Bundeswehr müsse das
»Überschwappen« von Kriminellen und Terroristen verhindern.
Konsensfähig war das damals noch nicht. Selbst in der Union gingen
viele auf Distanz, und Rudolf Scharping von der SPD, der spätere
Verteidigungsminister, verglich die Schäuble-Vorstellungen mit dem
spanischen Franco-Regime.
Doch Schäuble hatte sein
Betätigungsfeld gefunden und prophezeite am 14. Januar 1996 in der
Süddeutschen Zeitung: »Das Thema wird so lange auf der Tagesordnung
bleiben, bis es in dem Sinne gelöst wird, den ich vorgeschlagen habe.«
»Vernetzte Sicherheit«
Seit den Anschlägen in den USA vom
11. September 2001 hat Schäuble Oberwasser. Der »Krieg gegen den
Terror« wirkt auf die innere Militarisierung wie ein Katalysator.
Schäubles Aussichten sind heute nicht nur in den Unionsparteien
verankert, sondern zu einem beträchtlichen Teil auch bei SPD und
Grünen, wie das von ihnen verabschiedete Luftsicherheitsgesetz zeigt.
Die historischen Erfahrungen werden entweder ignoriert oder
instrumentalisiert. Mit der Begründung, die »innere Führung« sei
erfolgreich und das Militär stehe auf dem Boden des Grundgesetzes, soll
jetzt möglich sein, was 1956 und 1968 mit guten Gründen abgelehnt wurde.
Der
Schlüsselbegriff, der die Aufrüstung der Staatsmacht legitimieren soll,
lautet »vernetzte Sicherheit«. Seine Logik läuft darauf hinaus,
militärische Überlegungen und »Notwendigkeiten« als
gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu betrachten, die ressortübergreifend
erfüllt werden müsse. So wird im Weißbuch der Bundeswehr ein
»umfassender Ansatz« beschworen, der »neben den klassischen Feldern der
Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik unter
anderem die Bereiche Wirtschaft, Umwelt, Finanz-, Bildungs- und
Sozialpolitik« beinhaltet. In der gleichen Logik fordert die
EU-Militärdoktrin, »die gesamte Palette der uns zur Verfügung stehenden
Instrumente der Krisenbewältigung und Konfliktverhütung (einzusetzen),
einschließlich unserer Maßnahmen im politischen, diplomatischen,
militärischen und zivilen, handels- und entwicklungspolitischen
Bereich« (Europäische Sicherheitsstrategie, Abschnitt III, Dezember
2003). Wenn sich Staaten zum Krieg rüsten, sollen alle Politikbereiche
mit dem Militär kooperieren.
In einem programmatischen Beitrag
in der Strategiezeitschrift Europäische Sicherheit im August 2007
spricht Stephan Böckenförde, Mitarbeiter der Bundeswehrakademie für
Information und Kommunikation (vormals »Psychologische Verteidigung«),
von einem »neuen Sicherheitsbewußtsein«. Dieses berücksichtige auch
solche Entwicklungen, die »indirekt, mittelbar durch Folgeeffekte und
zeitverzögert eine Bedrohung für die eigene Sicherheit darstellen
könnten«. Das ist eine Analyse, die kaum noch allgemeiner sein könnte
und im Bereich der Militärpolitik gleichsam die Unschuldsvermutung
aufhebt (ganz im Sinne Schäubles). Zugleich soll dies die Aufstellung
flexibler, in kürzester Zeit an jedem Ort der Welt einsetzbarer
Kommandotruppen rechtfertigen.
Wo sich alles »vernetzt«, werden
rechtliche Beschränkungen genauso wie Landesgrenzen hinfällig.
»Vernetzte Sicherheit« läuft auf ein »funktionales Denken« hinaus, so
Böckenförde, was hier als Gegensatz zu »rechtlich definiert« gelesen
werden muß. Im Klartext heißt das: Die Bundeswehr darf alles, überall,
jederzeit, gegen jeden. Konsequenterweise hält es Böckenförde für
»sicherheitspolitisch unsinnig, die Streitkräfte exklusiv von der
Erfüllung bestimmter Aufgaben im Inland« fernzuhalten.
»Heimatschutz«
Dieser Logik entspricht die Unionsforderung
nach einem »Gesamtkonzept Sicherheit«. Ein Beschluß der
CDU/CSU-Fraktion vom März 2004 sieht »eine starke
Heimatschutzkomponente« aus 25 000 Soldaten vor, als Teil der »Vorsorge
gegen asymmetrische und terroristische Bedrohungen«. Die Union will
dafür bis zu 50 »Regionalbasen« mit jeweils bis zu 500 Soldaten
schaffen, die mit Reservisten auf bis zu 5000 Soldaten »aufwachsen«
können.
Als
Aufgaben dieser »Heimatschutz«-Verbände nennt das Fraktionspapier unter
anderem die »Bereitstellung personeller Ressourcen für Bewachung,
Kontrolle und Sicherung im Fall besonderer Gefahrenlagen« und »im
Rahmen der Abschreckung die Bewachung von Liegenschaften und kritischer
Infrastruktur«, also klassische Polizeiaufgaben.
Der Begriff
»kritische Infrastruktur« umfaßt alles, was zur Profitabsicherung im
Kapitalismus notwendig ist: Kraftwerke, Banken, Kommunikationsanlagen,
Verkehrswege, Staudämme usw. Im Ausland schießt die Bundeswehr den
Zugang zu Ressourcen frei, und im Inland stellt sie sich vor die
Einrichtungen, die zur profitbringenden Verarbeitung dieser Ressourcen
notwendig sind. Die Union argumentiert, dies seien »allesamt
Fähigkeiten, die die Bundeswehr im Spannungs- und Verteidigungsfall in
großem Umfang leisten müßte« und im Ausland tatsächlich schon leiste.
Wer darauf beharrt, es mache einen Unterschied, ob nach Besatzungsrecht
serbische Klöster im Kosovo bewacht werden oder mitten im Frieden der
Hauptbahnhof in Berlin, dem ruft die Union entgegen: »Es muß endlich
Schluß sein mit ideologischen Blockaden.« Einige der Unionsforderungen
sind bereits umgesetzt: in Form der sogenannten Zivil-Militärischen
Zusammenarbeit/Inland (ZMZ/I), die Teil des »Heimatschutzes« ist.
Es
werden zwar nicht 25000 »Heimatschützer« aufgestellt, aber im vorigen
Jahr sind Dienstposten für immerhin 5500 Reservisten geschaffen worden.
Die Bundeswehr hat sich an die zivilen Verwaltungsstrukturen
angeglichen und das ganze Land mit Kommandos überzogen. Auf der unteren
Ebene – Landkreise und kreisfreie Städte – agieren 426
Kreisverbindungskommandos, in den Regierungsbezirken 31
Bezirksverbindungskommandos. Sie bestehen aus jeweils zwölf Reservisten
(angestrebt: fünf Stabsoffiziere, drei Offiziere und vier Feldwebel).
Einer der Stabsoffiziere steht als »Beauftragter der Bundeswehr für
ZMZ« an der Spitze eines solchen Kommandos. Dieser hat die Aufgabe,
bereits im »Grundbetrieb« den engen Kontakt mit den örtlichen zivilen
Katastrophenschutzstäben zu pflegen und ein Büro in der entsprechenden
Behörde (Rathaus, Landratsamt, Regierungspräsidium) zu beziehen. Bei
Bedarf werden dann die anderen elf Reservisten aktiviert. Sie werden
durch 32 mobile »Regionale Planungs- und Unterstützungstrupps«
unterstützt, die zu Beginn von Einsätzen eine Art Starthilfe leisten
sollen.
Auf Landesebene sind Landeskommandos in den Hauptstädten
der 16 Bundesländer installiert worden, in denen bis zu 90 Soldaten
arbeiten. Die Oberhoheit hat das Streitkräfteunterstützungskommando in
Köln. Bis zum Jahr 2010 sollen noch 16 ZMZ-Stützpunkte mit besonderen
Kapazitäten in den Bereichen Pionierwesen, Sanitätsdienst und
ABC-Abwehr hinzukommen, wofür weitere 5000 Reservistendienstposten
vorgesehen sind.
Militär-Zivil-Kommandos
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Diese Entwicklung läuft auf einen zentralisierten
Katastrophenschutzapparat unter militärischem Oberkommando hinaus.
»Führung aus einer Hand durch die erprobte Struktur der Bundeswehr«
fordert das Konzept der Unionsfraktion. Der erste Schritt zur
Zentralisierung ist bereits mit der Gründung des »Bundesamtes für
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe« (BBK) vor drei Jahren
erfolgt, das zur zentralen Regulierungsstelle werden soll. Es arbeitet
eng mit der Bundeswehr zusammen, in seiner Vierteljahreszeitschrift
Homeland Security räsonieren regelmäßig Generäle über
»Sicherheits«-Fragen und Grundgesetzänderungen. Das Amt bietet an
seiner »Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz«
(AKNZ) gemeinsame Schulungen für ziviles und militärisches Personal
(800 Lehrgangsplätze) und führt die länderübergreifende
Katastrophenschutzübung LÜKEX durch. Im vorigen November wurde eine
Grippe-Pandemie simuliert. Diese Übung, so freute sich Schäuble in der
abschließenden Presseerklärung, sei ein wichtiger »Beitrag zur
Weiterentwicklung der gesamtstaatlichen Schutzmaßnahmen« gewesen,
natürlich unter Beteiligung der ZMZ-Kommandos.
Die
Bundesländer treiben die Militarisierung des Katastrophenschutzes
voran. Dabei droht die Subsidiarität auf der Strecke zu bleiben. Denn
wenn die Bundeswehr permanent in die Arbeit der Zivilbehörden
eingebunden ist, steigt unwillkürlich ihr Einfluß. Zivilbehörden neigen
bereits jetzt dazu – schon aus Kostengründen –, sich zu sehr aufs
Militär zu verlassen. Im Bericht eines Arbeitskreises der
Innenministerkonferenz vom April 2005 wird gefordert, die Bundeswehr
solle ihr gesamtes Potential »für den Schutz der eigenen Bevölkerung im
Inland« einsetzen, und zwar dauerhaft und eigenverantwortlich. Und die
Arbeitsgruppe des Bundesrats »Neue Strategie zum Schutz der
Bevölkerung« forderte im März 2006, zwecks »Planungssicherheit« dürfe
die Unterstützung des sogenannten Heimatschutzes »nicht nur ›subsidiär‹
erfolgen, sie muß vielmehr zu einer originären Aufgabe der Bundeswehr
werden«.
Nun nutzt die Bundeswehr zwar gerne die Möglichkeit zum
Imagegewinn, wenn sie sich als professioneller Akteur auf allen Ebenen
in Szene setzen kann. Doch derart festlegen, wie von den Ländern
gefordert, will sie sich nicht und erklärt in ihrem Sachstandsbericht
(30.1.2007): Für Katastrophenschutz im Inland stehen nur jene
Kapazitäten zur Verfügung, »die nicht im Auslandseinsatz gebunden
sind«. Das zeigt, wie riskant der Kurs der Bundesländer ist, beim
Katastrophenschutz aufs Militär zu bauen und die warnenden Stimmen aus
Feuerwehr und Hilfsorganisationen zu ignorieren.
Notstandspläne erweitert
Mit Katastrophenschutzleistungen
wird sich das Militär dennoch nicht begnügen. Die ZMZ-Beauftragten der
Bundeswehr erhalten regelmäßige Fortbildungen an der »Schule für
Feldjäger und Stabsdienst der Bundeswehr«, unter anderem im Bereich
»Alarmierung und Mobilmachung«. Es werden jetzt Strukturen geschaffen,
die ausbaufähig sind, um von Hilfseinsätzen zur Repression übergehen zu
können – ähnlich wie bei den Auslandseinsätzen, die mit vorgeschobenen
»Hilfs«-Argumenten begannen und bald schon in völkerrechtswidrige
Angriffskriege umschlugen.
Der
eigentliche Sinn von Grundgesetzartikel 87a war, das Einnisten des
Militärs in zivile Strukturen zu verhindern. Aber diese alten
Regelungen entsprechen offenbar nicht mehr den Bedürfnissen eines
kriegführenden Staates.
Wohin die Reise beim »Heimatschutz«
geht, wird vom ehemaligen Bundeswehrjuristen Roman Schmidt-Radefeldt in
den Unterrichtsblättern für die Bundeswehrverwaltung (Heft 5/2006)
folgendermaßen beschrieben: Das Konzept umfasse »einen
Schnittmengenbereich zwischen militärischer Verteidigung, zivilem
Katastrophenschutz, polizeilicher Gefahrenabwehr und – in einer
linearen Eskalation – dem inneren Staatsnotstand«. Geht es nach
Schäuble und Jung, dann wird dieser Staatsnotstand künftig infolge von
Terroranschlägen erklärt.
Die Union will den Verteidigungsfall
in der Verfassung neu definieren. Das Vorhaben geht zurück auf das
Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das im Februar 2006 das
Luftsicherheitsgesetz verworfen hatte, weil der Abschuß eines
»verdächtigen« Zivilflugzeuges die Menschenwürde der Passagiere
verletzen würde. Das will die Union mit der Änderung des Artikels 87a
Grundgesetz ändern: Nicht mehr nur bei einem kriegerischen Angriff,
sondern bereits bei »sonstigen Angriffen auf die Grundlagen des
Gemeinwesens« soll der Verteidigungsfall erklärt werden. In diesem
Zusammenhang hat Schäuble in der Süddeutschen Zeitung vom 1. Januar
2007 von einem »Quasi-Verteidigungsfall« gesprochen. Dieser erlaubt es
seiner Logik nach, auch Zivilisten gezielt zu töten. Wie sehr
»funktionales« Denken darauf hinausläuft, zentrale Grundwerte in Frage
zu stellen, zeigt Schäubles Behauptung im Tagesspiegel vom 5. Januar
2007: »Ob völkerrechtlicher Angriff oder innerstaatliches Verbrechen,
ob Kombattant oder Krimineller, ob Krieg oder Frieden: Die überkommenen
Begriffe verlieren ihre Trennschärfe und damit ihre Relevanz.« Da ist
es nur konsequent, daß Kriegsminister Jung im vorigen September
ankündigte, im Zweifelsfall auch ohne Rechtsgrundlage seinen
»Alarmrotten« den Abschußbefehl zu erteilen.
Der SPD gehen diese
Notstandspläne zu weit. Sie möchte es lieber dabei belassen, das
polizeiliche Instrumentarium um militärische Komponenten zu erweitern.
Der Hebel soll eine Änderung der Katastrophenhilfebestimmungen des
Artikels 35 sein. Dies soll der Bundeswehr künftig den Einsatz
spezifisch militärischer Mittel – also etwa von Jagdflugzeugen –
erlauben. Das wäre ein kleinerer Schritt, aber in die gleiche Richtung.
Amtshilfe und Einsatz
Eine Ahnung vom anvisierten
Staatsnotstand vermittelte der Polizei- und Bundeswehreinsatz in
Heiligendamm. Wie weiland im »kleinen Belagerungszustand« des
Kaiserreichs waren Grundrechte ausgesetzt, und das Militär nahm teils
direkte, teils indirekte Polizeiaufgaben wahr. Die Regierung beharrt
indes darauf, die Truppe habe nur technisch-logistische Amtshilfe
geleistet, aber keinen »Einsatz« im Sinne des Artikels 87a. Damit steht
die Frage im Raum: Was eigentlich unterscheidet einen »Einsatz« von
»Amtshilfe«? Im Grundgesetz fehlen Definitionen, aber es gibt wichtige
Hinweise in der Fachliteratur.
Die
meisten Juristen unterscheiden zwischen einer »schlichten Verwendung«
(Amtshilfe) und dem Ausüben einer »obrigkeitlichen« Tätigkeit
(Einsatz). Sobald Soldaten Aufgaben erfüllen, die sonst Polizisten
vorbehalten sind, sie also gegenüber zivilen Bürgern Zwang anwenden,
leisten sie einen Einsatz. Sandsäcke zum Deich bringen ist eine
»schlichte Verwendung«, werden jedoch Passanten daran gehindert, den
Deich zu betreten, handelt es sich um einen Einsatz. Oder:
Aufklärungs»tornados« nach vermißten Kindern suchen zu lassen ist
erlaubt. Die Beteiligung der Bundeswehr an der Suche nach Straftätern
aber nicht, weil Festnahmen nur die Polizei vornehmen darf.
Nicht
nur, wenn die Bundeswehr selbst in Bürgerrechte eingreift, ist sie im
Einsatz, sondern bereits dann, wenn sie die Polizei in einer Form
unterstützt, die es dieser erst möglich macht, obrigkeitlich zu
handeln. Diese Einsicht ist nicht neu. Bereits in den 80er Jahren
lösten Berichte über ein »Amtshilfeabkommen« zwischen Bundeswehr und
bayerischer Polizei, betreffend die Demonstrationen an der geplanten
Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf, heftige Kritik aus. Die
Völkerrechtler Ralf Jahn und Norbert K. Riedel hielten im November 1988
fest: »Eindeutig Einsatzqualität besitzt die Zurverfügungstellung von
militärischem Gerät einschließlich der sie bedienenden Soldaten, wie z.
B. Aufklärungsflüge von Bundeswehrhubschraubern bei Demonstrationen.
Hier wird militärisches ›Know-how‹ in Anspruch genommen, das seinem
Zweck nach innenpolitisch nicht neutral ist.« Auch in der Zeitschrift
Bundeswehrverwaltung, Heft vom Juli 1986, ist damals die Unterstützung
»durch militärtypische Mittel, wie z. B. Hubschrauber,
Mannschaftswagen, Spezialfahrzeuge usw.« für verfassungswidrig erklärt
worden. Die Bundeswehr müsse sich aus inneren Konflikten heraushalten,
um nicht »die von ihr erwartete innenpolitische Neutralität dem ganzen
Volk gegenüber« zu verlieren. In seinem Buch »Der Einsatz der
Bundeswehr im Inneren« bestätigt der Jurist Jan-Peter Fiebig, ein
Einsatz sei »gegeben, wenn Soldaten Fahrzeuge, insbesondere
Luftfahrzeuge, der Streitkräfte […] zur optischen Überwachung von
Großveranstaltungen und deren Umgebung verwenden und etwaige
Aufklärungsergebnisse an die für unmittelbar obrigkeitliches Vorgehen
vorgesehenen« Polizeistellen weitergeben.
Das läßt sich mühelos
auf den G-8-Gipfel übertragen. 14mal stiegen die Aufklärungs»tornados«
auf, die Polizei konnte sich bei dem Bildmaterial frei bedienen und hat
nach offiziellen Angaben 101 Aufnahmen mitgenommen, die meisten von den
Protestcamps. Neun Spähpanzer »Fennek« überwachten vor allem nachts
mögliche Anfahrtsrouten von Demonstranten und machten bei Verdacht
sofort die Polizei aufmerksam. Das macht die Bundeswehr-Tätigkeiten zum
Einsatz, für den es – mangels einer Katastrophe – keine
Verfassungsgrundlage gab.
Hinzu kommt der Aspekt der sogenannten
»Show of force«, also der demonstrativen Präsenz des Militärs. Wenn
Soldaten in großen Gruppen auftreten, ist aus Bürgersicht »kein anderer
Schluß möglich als derjenige, daß diese Soldaten dort als
Ordnungskräfte eingesetzt sind und zur Aufrechterhaltung der Ordnung
[…] notfalls Gewalt und eben auch Waffengewalt anwenden werden«,
schreibt Fiebig. Das stelle »aufgrund des Eindrucks, der bei den
Anwesenden erzeugt wird«, die »Ausübung von Zwang« dar.
Ein
Blick zurück auf Heiligendamm: Bis zu 640 Feldjäger mit Pistolen oder
dem Maschinengewehr G36 waren in der ganzen Region unterwegs, mehrfach
in der Nähe der Protestcamps. Daß sich Demonstranten hiervon nichts
Gutes versprachen und annehmen mußten, die Feldjäger würden
einschreiten, wenn man – trotz Verbots – auf die Straße ginge, liegt
auf der Hand, weswegen auch hier ein verfassungswidriger »Einsatz«
vorliegt.
Reaktion rüstet sich
deutsche Militärdoktrin Inlandseinsätze in Aussicht – »im Rahmen der
geltenden Gesetze«, den die Regierungsparteien erweitern wollen. Bis
sie soweit sind, laborieren Innen- und Verteidigungsminister am Rand
der Verfassungsmäßigkeit bzw. übertreten ihn, wie in Heiligendamm.
Gleichzeitig ist in den letzten Jahren ein rasanter Anstieg der
»Amtshilfeleistungen« zu verzeichnen: Von einem pro Jahr auf zehn, wie
die Bundesregierung auf eine kleine Anfrage von Ulla Jelpke (Die Linke)
mitteilte. Wenn auch die parlamentarische Kontrolle heute besser
ausgeprägt ist als im Kaiserreich und der Weimarer Republik, effektiv
kann man sie kaum nennen. Beim G-8-Gipfel wurde der Bundestag nach
Strich und Faden getäuscht, und »Amtshilfe«-Einsätze sind weder
zustimmungs- noch berichtspflichtig. Hinzu kommt die ebenfalls kaum
kontrollierte, schleichende Militarisierung der Bundespolizei und der
EU-weite Trend zur Stärkung paramilitärischer Gendarmerieverbände.
Wozu
das Ganze? Bangen die Herrschenden tatsächlich um ihre Macht? Die Frage
ist müßig. Als 1968 die Notstandsgesetze eingeführt wurden, sprachen
die Konservativen ständig von möglichen Aufständen und Revolutionen.
Sie gaben zu, daß es keinerlei Anzeichen dafür gebe, aber man könne ja
nie wissen und müsse stets vorbereitet sein. Auch heute ist eine
Revolution nicht in Sicht, doch die Hetztiraden, denen wochenlang die
Lokführer der GDL ausgesetzt waren, erinnern daran, daß Militäreinsätze
in Deutschland immer schon im Dienste der Reaktion standen.
Die
Linken hatten 1968 vor allem Sorge vor einem möglichen Putsch der
Bundeswehr. Heute geht die größte Gefahr für die Demokratie wohl von
Regierungspolitikern aus, die bei jeder Gelegenheit zentrale
Grundrechte in Frage stellen und sich auf eine Generalität stützen
können, die Befehle völlig kritiklos ausführt.
Abschließend sei
die Bundeskanzlerin zitiert, die einige Monate vor ihrem Amtsantritt,
auf der Münchner »Sicherheitskonferenz« im Februar 2005, deutlich
gemacht hat: »Die Grenzen von innerer und äußerer Sicherheit
verschwimmen zunehmend. Internationale Einsätze unter Beteiligung
Deutschlands und Heimatschutz sowie Einsatz der Bundeswehr im Innern
sind deshalb zwei Seiten ein und derselben Medaille.«