[heise.de] Zwischen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und Bundesjustizministerin Brigitte Zypries herrscht Eiszeit im Streit über die Novelle
des Gesetzes für das Bundeskriminalamt (BKA). Der CDU-Politiker und
seine Kabinettskollegin aus der SPD haben gerade Brandbriefe
ausgetauscht, in denen sie sich gegenseitig schwere Vorwürfe über die
Strategie zum Ausbau der präventiven Befugnisse für die Polizeibehörde
machen. Nach Berichten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und des
Berliner Tagesspiegels wies Schäuble die Justizministerin in einer
schriftlichen Beschwerde zunächst in ungewöhnlich scharfen Ton zurecht.
In dem Schreiben ist demnach die Rede von "mutwilligen Verletzungen
vereinbarter Verfahren" und "Störungen des gedeihlichen Miteinanders".
Es habe schon 2007 "im Zuständigkeitsbereich unserer beiden Ressorts
vermehrt vermeidbare Schwierigkeiten bei der politischen Konsensfindung
über Gesetzgebungsvorhaben der großen Koalition gegeben".
Indirekt warf der Innenminister Zypries gezielte Indiskretionen vor. Hintergrund sind Medienberichte,
wonach das Innenministerium seinen im Kabinett noch nicht abgestimmten
und an sich bereits heftig umstrittenen Entwurf für das neue BKA-Gesetz
deutlich aufbohren will. So soll der Abhörschutz für sogenannte
Berufsgeheimnisträger wie Geistliche, Strafverteidiger und Abgeordnete
endgültig abgeschafft werden, was SPD-Politiker und Opposition
empört hat. Andererseits sind bei den Sozialdemokraten keine kritischen
Töne mehr über die Lizenz für heimliche Online-Durchsuchungen zu hören,
die bislang im Vordergrund der Debatte über das BKA-Gesetz stand.
Zypries hat inzwischen gekontert. In ihrer Replik an Schäuble
moniert sie, dass dieser das Gesetz mit seinem Beharren auf
Online-Razzien und dem jüngsten Draufsatteln verzögere. Sie befürworte
eine Stärkung der präventiven BKA-Befugnisse, versicherte Zypries.
Dabei geht es auch allgemein um den Ausbau der
Telekommunikationsüberwachung, des großen Lauschangriffs und der
Rasterfahndung, weshalb Kritiker die Gesamtkonzeption mit ihrer
Verknüpfung polizeilicher und geheimdienstlicher Methoden entschieden ablehnen.
Die Justizministerin wollte nach eigenen Angaben das Verfahren mit dem
Vorschlag beschleunigen, den Entwurf unabhängig von der Formulierung
zur Online-Durchsuchung ins parlamentarische Verfahren zu geben.
Sie fügte hinzu: "Insgesamt habe ich den Eindruck, dass durch immer
wieder neue Vorschläge Ihres Hauses die Probleme mit der Umsetzung des
BKA-Gesetzes nicht kleiner, sondern größer werden." In der Sache
scheint eine Einigung so
in weite Ferne gerückt zu sein. Das Ansinnen von Schäuble, auch
Abgeordnete, Pfarrer oder Anwälte abzuhören, wirft Zypries zufolge
"ernste verfassungsrechtliche Fragen auf". Es sei nicht praktikabel.
Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte sich unterdessen auch hinter
Schäubles jüngste Vorschläge: Die Taktiken des internationalen
Terrorismus erforderten neue Antworten. "Das alte Prinzip der
Abschreckung nützt nichts mehr", wenn
es um Angriffe aus dem Internet gehe, sagte die CDU-Politikerin.
Deshalb unterstütze sie generell die Forderung nach der Ausforschung
informationstechnischer Systeme unter strengen juristischen Kriterien.
Die Kanzlerin plädierte bei der Kriminalitätsbekämpfung zudem für den
verstärkten Einsatz der Videoüberwachung. Die Kofferbombenattentäter
und die Schläger aus der Münchener U-Bahn wären sonst nicht entdeckt
und gefasst worden.
Schäuble selbst hat seinen Ruf nach Erweiterung der
Telekommunikationsüberwachung verteidigt. Schnelle technologische
Veränderungen würden rasche Reaktionen des Rechtsstaates erfordern,
betonte der Minister am Freitag auf einem Sicherheitskongress der CDU
in Hamburg. "Kein Grundrecht ist absolut", meinte der auch für den
Schutz der Verfassung
verantwortliche Politiker. Zugleich forderte er erneut den Einsatz der
Bundeswehr im Inneren.
Doch auch die Proteste dauern an. Die geplante Lockerung der
Einschränkungen für Abhörmaßnahmen sei nicht akzeptabel, sagte Ulrich
Schellenberg aus dem Vorstand des Deutschen Anwaltvereins. Schäuble ziehe nun sogar die erst Anfang des Jahres in
Kraft getretenen,
an sich bereits sehr löchrigen Bestimmungen zum Schutz von
Berufsgeheimnisträgern im Rahmen der Neuregelung der allgemeinen
Telekommunikationsüberwachung in Zweifel. "Durch den Vorstoß des
Bundesinnenministeriums entsteht der Eindruck, dass das
Haltbarkeitsdatum eines Gesetzes unter dem eines Joghurts liegt".
Die Kirchen fürchten zudem um den Schutz des Beichtgeheimnisses.
Dieses dürfe nicht ausgehöhlt werden, verlangte der Leiter des
Katholischen Büros der Deutschen Bischöfe in Berlin, Prälat Karl
Jüsten. Laut dem stellvertretenden Bevollmächtigten des Rates der
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)
in Berlin, David Gill, sagte, zählen Beicht- und Seelsorgegespräche zum
Kernbereich privater Lebensführung, in den laut
Bundesverfassungsgericht
nicht eingegriffen werden dürfe. Ein Sicherheitsgewinn sei nicht zu
erwarten, wenn das hohe Gut des Beichtgeheimnisses geopfert werde,
ergänzte der Präsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau,
Peter Steinacker. Seelsorger könnten im Rahmen dieser Gespräche sogar
Schlimmes verhindern, sofern die Diskretion gewahrt bleibe.
Kirchenvertreter forderten zudem, dass auch Briefe oder Telefonate aus
dem Seelsorgebereich geschützt bleiben müssten. (Stefan Krempl) /
(uma/c’t)
Source: http://www.heise.de/newsticker/meldung/102071/from/atom10