Wissenschaftler auf den Spuren des Verbrechens

Als 1969 beim
sogenannten „Soldatenmord von Lebach“ vier Militärangehörige erschossen
wurden, waren es die am Tatort gefundenen Projektile und Hülsen, die
den Mordfall letztlich aufklären halfen. Sie waren nur wenige
Millimeter groß, leicht zu übersehen. Dennoch schrieben sie
Kriminalgeschichte, denn sie ließen Rückschlüsse auf den Waffentyp zu
und führten die Ermittler schließlich zu den Tätern. Seit diesem
Mordfall sind fast vier Jahrzehnte vergangen. Die Kriminalwissenschaft
hat sich weiterentwickelt.

Die Bestimmung von Projektilen ist für
Kriminalisten inzwischen keine große Herausforderung mehr, und statt
dem bloßen Fingerabdruck zählt heute vor allem die DNS. Sollte es
künftig aber ähnlich spektakuläre Fälle geben, werden die Spuren wohl
nur noch an eine Adresse geschickt: nach Wiesbaden, an die Äppelallee,
wo das Bundeskriminalamt (BKA) gestern sein neues Kriminaltechnisches
Institut eröffnet hat.

„DNS-Analyse – Revolution des 21. Jahrhunderts“

Wer
in dem Gebäude mit 12.500 Quadratmetern Fläche über die Flure
schleicht, wird nicht das Gefühl haben, in einer Polizeibehörde zu
sein. An den Tischen sitzen Frauen und Männer in sterilen Kitteln,
Maschinen bewegen sich roboterartig hin und her und geben fauchende
Laute ab. Polizeiarbeit, sagte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble
(CDU) gestern bei der Eröffnung, komme heutzutage nicht mehr ohne
technischen und wissenschaftlichen Fortschritt aus. Und so ist der
BKA-Neubau ein 53 Millionen Euro teures Vorzeigeobjekt der größten
deutschen Sicherheitsbehörde, deren Kriminaltechnisches Institut schon
vor dem Umzug hohes Ansehen genossen hat und auch Asservate im Auftrag
von anderen europäischen Ländern untersucht.

In einem der 620 Räume sitzt Marion Dötsch an einem Mikroskop. Sie
untersucht eine schwarze Jacke, die vor ihr auf dem Tisch liegt, am
Kragen. Einem Gegenstand hafteten in der Regel unzählige Fremdzellen
an, sagt Hermann Schmitter, der Fachmann für DNS-Spuren ist. Maschinen
könnten die Spuren zwar auswerten, aber nicht aussortieren. Das könne
nur das geübte Auge eines Menschen. Dötsch sichert nur jene Spuren, die
potentiell dem Täter zugeschrieben werden können. Erst dann wird die
DNS analysiert.

„Die DNS-Analyse“, sagt BKA-Chef Jörg Ziercke,
„ist eine Erfolgsgeschichte, eine Revolution des 21. Jahrhunderts, ein
wahrer Quantensprung“. Und weil für diese Analysen Fachleute nötig
seien, sei die Allianz zwischen Wissenschaft und Polizeiarbeit
unverzichtbar. 300 Mitarbeiter aus 60 verschiedenen Berufssparten –
darunter Biologen, Chemiker und Physiker – gibt es beim BKA. Sie
arbeiten nun erstmals unter einem Dach.

Untersuchung von synthetischen Drogen

Ein
solcher Wissenschaftler ist auch Thomas Schäfer, promovierter Chemiker
und Fachmann für Kernresonanzspektroskopie und für die
Charakterisierung organisch-chemischer Produkte. Auch er hat in dem
Neubau seine eigene Abteilung, die sich über einen der vielen Trakte
erstreckt. Sein neuestes Arbeitsgerät ist der sogenannte
NMR-Spektrometer – ein etwa 2,50 Meter hohes zylindrisches Gerät, das
innerhalb von fünf bis sieben Minuten eine synthetische Droge in ihre
Bestandteile zerlegt und diese analysiert. Schäfer zeigt das am
Beispiel einer Ecstasy-Tablette.

Auf dem Computermonitor sind
unterschiedlich hohe Ausschläge zu erkennen – die chemische
Komposition. Die Untersuchung von synthetischen Drogen sei seit jeher
eine der Hauptaufgaben des BKA, sagt Schäfer. „Wir wollen schließlich
wissen, aus welchen illegalen Laboren die Drogen kommen, wie die
Vertriebswege sind und nicht zuletzt auch, was tatsächlich auf den
Straßen verkauft wird.“ Das könne man nur, wenn man „die Handschrift“
zuordne, die das beschlagnahmte Rauschgift trage.

„Hauptfaktor ist der Mensch“

Nach
den Worten Zierckes will das BKA weiterhin „Vorreiter für neue Wege“
sein. Die DNS-Technik sei noch längst nicht ausgereizt, sagt der
BKA-Chef. Im Sinne einer „kreativen Spurensuche“ bekämen auch Boden-
und Vegetationsspuren eine immer größere Bedeutung. Gerade kürzlich hat
das Kriminaltechnische Institut in einem Forschungsprojekt versucht,
pflanzliches Material mittels molekulargenetischer Verfahren zu
analysieren – ähnlich wie bei der Untersuchung menschlicher DNS. Es
gelang, bei einer Mordermittlung ein Eichenblatt aus dem Fahrzeug des
Tatverdächtigen einem bestimmten Baum in der Nähe des Leichenfundorts
zuzuordnen.

Dies gilt nach Ansicht von Gottfried Vordermaier
schon jetzt als „bahnbrechender Erfolg“. Vordermaier, der das
Kriminaltechnische Institut seit 2002 leitet, kennt sich mit den
kriminalwissenschaftlichen Möglichkeiten wohl wie kein zweiter aus.
Trotz aller technischer Errungenschaften, sagt er, bleibe „der
wesentliche Hauptfaktor“ aber der Mensch. Denn untersucht werden könne
am Ende nur das, was am Tatort gefunden werde.

Source: http://www.faz.net