Die Schweiz wappnet sich vor gewalttätigen Fans: Unterirdische Haftzellen, Drohnen über Stadien. Die Armee hilft aus. In Österreich ist das Heer in Bereitschaft.
[die presse] WIEN/BERN. Während der Fußball-Europameisterschaft stehen sowohl in der Schweiz als auch in Österreich Soldaten Gewehr bei Fuß. Zwar sind die Tätigkeiten, für die sie eingeteilt werden, in beiden Ländern unterschiedlich – allerdings werden weder in der Schweiz noch in Österreich Soldaten gegen gewaltbereite Fans eingesetzt.
In der Schweiz sollen Armeeangehörige zu Ordnerdiensten auf Parkplätzen abkommandiert werden. Da die Schweizer Polizei über keine eigenen Hubschrauber verfügt, muss hier die Armee einspringen. Zur Not muss die Armee auch Mannschaftstransporte für die Polizei durchführen. Eingesetzt werden auch unbemannte und ferngesteuerte Überwachungsflugzeuge (Drohnen). Sie sind mit Kameras ausgerüstet und werden rund um die Schweizer Euro-Stadien ihre Kreise ziehen. In Österreich ist ein Drohnen-Einsatz nicht geplant – er wäre auch gar nicht durchführbar: Das Bundesheer verfüge laut Klaus Roch aus dem Streitkräfte-Führungskommando über keine Drohnen.
Trotz Krawallen: Zuversicht in der Schweiz
In Österreich hat das Bundesheer neben der Luftraumüberwachung vor allem Aufgaben im Sanitätsbereich. Roch erklärt, dass an Spieltagen in Wien 300 bis 400 Soldaten in Bereitschaft stehen werden. Ihre Hauptaufgabe: Sie sollen im Katastrophenfall als Krankenträger Verletzte abtransportieren. Außerdem stellt das Heer sieben Sanitäts-Pinzgauer, zwei Busse und 180 Pakete Sanitätsmaterial zur Verfügung. Darüber hinaus werden Spezialisten der ABC-Abwehr (sie sind Experten auf dem Gebiet von atomaren, biologischen und chemischen Kampfstoffen) abrufbereit sein. Parkplatz-Einweiser in Heeresuniform wird es in Österreich bei der Euro nicht geben.
Gegen Hooligans will die Schweiz mit harter Hand vorgehen. Krawalle mit 45 verletzten Personen nach Meisterschaftsspielen in Bern und Basel Anfang Mai haben kein gutes Bild abgegeben. „Unser Konzept ist sicher: Wir wollen gute Gastgeber sein, auch als Polizisten“, meint hingegen Martin Jäggi, Schweizer Euro-Sicherheitschef.
Das Bundesparlament in Bern verabschiedete ein „Gesetz über Maßnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit“. Randalierern kann dabei – ähnlich wie in Österreich – der Eintritt in Stadien verboten werden. Personen ab dem 15. Lebensjahr droht bei Nichtbeachtung eine Polizeihaft von bis zu 24 Stunden. Das Gesetz schafft auch die Rechtsgrundlage, um gewaltbereite Fans mit einem Aufenthaltsverbot von bestimmten Plätzen fernzuhalten.
„Wir haben die Sicherheit im Griff“, betont Benedikt Weibel, Euro-Delegierter der Bundesregierung. Zur Verstärkung der 16.000 Schweizer Polizisten werden 600 deutsche und 250 französische Polizeikräfte zum Einsatz kommen. Die Mehrheit der Kosten für die Sicherheit von 60 Millionen Euro übernimmt der Bund. Allerdings müssen die vier Austragungsstädte Basel, Bern, Zürich und Genf mehrstellige Millionenbeiträge an Aufwendungen bezahlen. Neben strengen Zugangskontrollen zu den Stadien und starker Präsenz in den Fanzonen setzt die Schweizer Polizei vor allem auf Prävention. So laden die Polizeien in den Kantonen zahlreiche in Datenbanken registrierte Hooligans vor. Vorstellig müssen Personen werden, die in der Vergangenheit wegen Gewaltbereitschaft aufgefallen sind.
Mängel: Keine einheitliche Kontrolle
Doch Kopfweh bereiten den Sicherheitskräften nicht nur Hooligans sondern vor allem alkoholisierte Fußballfans und Menschenmassen in den Innenstädten. Mehrere Städte werden Ausnüchterungszentren aufbauen. Dort sollen die Fans von Sanitätern und Ärzten untersucht werden. Während der Euro werden auch „Schnellabfertigungszentren“ für Verhaftete betrieben. Und das beispielsweise auch in unterirdischen Zivilschutzbunkern. In Bern heißt dieses Zentrum im Beamtendeutsch „Abarbeitungszentrum für personelle Überprüfungen bei allfälligen Zwischenfällen“.
Wie die österreichische Polizei setzt auch die Schweiz auf das Motto „Dialog, Deeskalation, Durchgreifen“. Alle Polizisten und Mitarbeiter von privaten Sicherheitsdiensten sollen nach dieser Einsatzdoktrin handeln. Allerdings zeigten Tests in der Praxis verschiedene Mängel auf. Die Polizei kontrolliere in den vier Austragungsorten nicht einheitlich, bemängelten Experten der niederländischen Polizeiakademie. Wichtig sei, Fans und Besuchern von Beginn an Grenzen zu setzen. Die Sicherheitskräfte müssten sich besser über die Gewohnheiten der Fangruppen informieren, so die Experten.
In der Schweizer Hooligan-Datei sind derzeit ca. 300 gewaltbereite Personen erfasst. Jene Spiele, die in der Schweiz ausgetragen werden, gelten unter Experten weniger risikoträchtig als jene in Österreich. Nach den schweren Krawallen von Anfang Mai bei Spielen in Basel und Bern hagelt es aber Kritik an der Schweizer Polizei.
Source: Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2008