[telepolis] Während in Kanada eine Anhörung über einen Todesfalls nach dem
Gebrauch einer Taserwaffe stattfindet, zweifelt ein wissenschaftlicher
Bericht deren Harmlosigkeit an
Die US-Firma Taser
(1) bietet für Sicherheitskräfte und Privatpersonen ihre gleichnamige
Elektroschockwaffe als zugleich hoch effizient und praktisch völlig
ungefährlich an. Die Menschen würden durch die Stromschläge mit einer
Spannung bis zu 50.000 Volt, aber nur einer geringen Stärke kurzzeitig
gelähmt und bewegungsfähig, was große Schmerzen hervorruft.
Todesfälle,
die beim Einsatz der verschiedenen Elektroschockwaffen auftreten hätten
nichts mir der Waffe selbst zu tun, versichert das Unternehmen.
Kanadische Wissenschaftler gehen aber davon aus, dass die
Elektroschocks nicht nur die äußeren Skelettmuskeln lähmen können,
sondern beispielsweise auch die Herzmuskeln stimulieren. Taser
behauptet hingen, die Elektroschockwaffen "cannot stopp the heart" –
und versucht mit allen Mitteln, seine angeblich harmlosen Produkte
unters Volk zu bringen ( Die MP3-Elektroschockwaffe (2), Von der Tupper- zur Taserparty (3)).
Dokumentiert wurden bislang über 300 Todesfälle in Nordamerika, die
zusammen mit dem Einsatz der so genannten nichttödlichen
Elektroschockwaffe aufgetreten sind. In Kanada wurden 20 Tote
registriert. Derzeit wird gerade vor Gericht der Fall des Polen Robert
Dziekanski untersucht, der letztes Jahr im Oktober bei der Einreise
nach Kanada auf dem Flughafen Vancouver "getasert" wurde, um ihn ruhig
zu stellen. Wie so oft war der Einsatz der angeblichen ungefährlichen
Waffe, bei der die Schwelle zum Abdrücken entsprechend gering ist,
vermutlich unnötig. Dziekanski war verwirrt und unbewaffnet, die
Polizisten in Überzahl. Kurz nach Verabreichung des Schocks ist er
gestorben.
Der kanadische Polizist "tasert" Robert Dziekanski
Weil ein Flugpassagier zufällig auf dem Flughafen anwesend war und den
Vorfall filmte, löste das Video, das zuerst von der Polizei konfisziert
und dann doch freigegeben wurde, große Beunruhigung aus ( Der Tod aus der nichttödlichen Taser-Waffe
(4)). In der anschließenden Diskussion ging es nicht nur darum, wie
gefährlich die Waffe ist, sondern auch über deren missbräuchlicher
Verwendung, die schon vielfach deutlich wurde, wenn sie zum Bestrafen,
Unterwerfen oder Quälen eingesetzt wird ( Elektroschockwaffen zur Disziplinierung (5)).
Da der Wert der Elektroschockwaffen unmittelbar mit deren angeblicher
Ungefährlichkeit zusammenhängt, setzt Taser alles daran, die
Harmlosigkeit unter Beweis zu stellen und Einwände sowie Kritiker
beiseite zu drängen. Eine nichttödliche Waffe, die im Prinzip jeder
bedenkenlos zur Selbstverteidigung benutzen kann, steht und fällt mit
dem Image von Effizienz und Harmlosigkeit. Obgleich die Waffe große
Schmerzen verursacht und eben oft zur Demütigung eingesetzt wird – auch
die Wirkung, sich plötzlich nicht mehr halten zu können, kann
traumatisieren -, lässt Taser nur mögliche körperliche Folgen
untersuchen ( Der neue Schlagstock
(6)). Und dabei wird trotz der Todesfälle immer wieder festgestellt,
dass niemand direkt an den Folgen gestorben sei oder sich Verletzungen
zugefügt hat. Die Verletzungen, die durch den Sturz geschehen, gelten
gewissermaßen als Kollaterschaden.
Gegen Kritiker geht die Firma schon auch einmal gerichtlich vor. Gerade eben hat Taser vor einem amerikanischen Gericht erreicht
(7), dass eine Ärztin die Autopsieberichte bei drei mit dem Gebrauch
von Elektroschockwaffen zusammen hängenden Todesfällen verändern muss.
Entfernt werden mussten alle Hinweise auf Elektroschockwaffen, weil
nicht zweifelsfrei bewiesen werden konnte, dass diese den Tod
verursacht hatten. Für Matthew Stanbrook von der Canadian Medical
Association (CMA) ist das Urteil absurd, weil oft nicht zweifelsfrei
die Todesursache festgestellt werden könne und man dann immer
"Todesursache unbekannt" angeben müsse. Der Arzt treffe vielmehr eine
bestmögliche Beurteilung nach dem Stand der Fakten. Stanbrook wirft in
einem Editorial (8) der Mai-Ausgabe des CMA Journal
(9) der Firma Taser auch vor, dass die meisten Studien, die der Waffe
Unbedenklichkeit attestierten, von dieser selbst bezahlt würden und es
kaum unabhängige Forschung gebe.
Aus diesen Gründen ist nicht nur die Untersuchung des Todes von Dziekanski vor dem kanadischen Gericht, sondern auch die Studie
(10) der kanadischen Kardiologen über Wirkungen der Elektroschockwaffe
interessant, die bislang nicht bekannt waren und ebenfalls im CMA
Journal erschienen sind. Bei der Durchsicht von Forschungsarbeiten über
Taser-Waffen habe man Hineise bei drei unabhängigen Untersuchungen
gefunden, dass Elektroschocks doch das Herz wie ein Defibrillator
"stimulieren" können. Abhängig sei dies von der Dauer des
Elektroschocks, seiner Spannung und seiner Stärke – und davon, wo am
Körper sich die Drähte entladen.
Offenbar kann es gefährlich werden, wenn die beiden Drähte der
Taserwaffe so auf den Körper treffen, dass der Strom durch das Herz
fließt. Bei den Versuchen mit Schweinen, die die Autoren durchgeführt
haben, ist deren Blutdruck stark nach einem Elektroschock abgesackt,
bei einer anderen Studie sind zwei Schweine unmittelbar nach dem
Elektroschock an Herzversagen gestorben. Das würde nahelegen, dass die
Stromstärke doch ausreichen kann, um die Herzfunktionen zu
beeinflussen.
Die Behauptung, dass Elektroschockwaffen das Herz nicht
beeinträchtigten können, beruhe nur vor allem "theoretischen Studien",
die annehmen, dass diese nicht genug Energie liefern, um zum Herz
vorzudringen. Die empirischen Studien mit Schweinen oder Menschen
hätten "Worst-case-Fälle vermieden, beispielsweise wenn mehrere
aufeinander folgende Elektroschocks gegeben werden, wie dies meist
geschieht, und die Elektroden mit den Pfeilen sich an der Brust
befinden, wodurch der Strom nahe am Herz eindringt.
Die Kardiologen weisen zwar darauf hin, dass man
vorsichtig sein müsse, Erkenntnisse, die man bei Versuchen an Schweinen
gewonnen hat, auf Menschen zu übertragen. Allerdings seien die
grundlegenden Konzepte der Herzstimulation zur Behebung von
Defibrillation und Kardioversion anhand von Experimenten mit Schweinen
entstanden. Die Kardiologen schließen aus ihrer Studie, dass zumindest
unter gewissen Bedingungen Elektroschockwaffen das Herz stimulieren
können. Das müsse die weitere Forschung berücksichtigen. Möglich wäre
auch, aus den neuen Erkenntnissen Elektroschockwaffen zu entwickeln,
die das Herz nicht beeinträchtigen.
Zian Tseng, ein Kardiologe aus San Francisco, bestätigte
(11) in der Anhörung in Kanada, dass Elektroschocks das Herz betreffen
können, wenn sie auf Brusthöhe und in Richtung Herz gehen. Das
Todesrisiko werde verstärkt, wenn das Opfer hohe Adrenalinwerte oder
Drogen eingenommen hat. Gefährdet sei überdies, wer sowieso
Herzprobleme hat. Findet man bei einem Todesfall unmittelbar nach
Gebrauch einer Elektroschockwaffe in der Autopsie keine andere Ursache,
dann würde Tseng darauf tippen, dass diese ein Herversagen
herbeigeführt hat.
Taser hält noch daran fest, dass die Elektroschockwaffen nicht töten können. In der Anhörung in Kanada sagte
(12) Taser-Chef Jim Smith gestern, dass die Elektroschockwaffen
sicherer seien als andere Waffen der Polizei wie Pfefferspray, Knüppel
oder Schusswaffen. Und er stellte noch einmal fest, dass die
Elektroschockwaffen von Taser nicht zu einem Herzversagen führen
können.
Als Grund für die Sterbefälle nach Gebrauch der Waffe wird etwa von "excited delirium" genannt
(13) – eine Diagnose, die es offiziell gar nicht gibt. Wie Stanbrook
süffisant anmerkt, wird auch schon mit Unterstützung von Taser davon
gesprochen, dass bei dieser Störung angeblich Taserwaffen eingesetzt
werden können, um sie zu beheben. Damit würden die Elektroschockwaffen
zu einem medizinischen Gerät. Dann aber müssten diese einer weitaus
genaueren Prüfung unterzogen werden, als dies bei Waffen für die
Sicherheitskräfte notwendig ist. Stanbrook legt auf jeden Fall nahe,
dass genauer überprüft werden müsse, ob Elektroschockwaffen nicht doch
töten können, und schlägt vor, dass die Sicherheitskräfte ihre
Datenbanken über den Einsatz der Waffen für unabhängige Forscher öffnen
sollten.
Links
(1) http://www.taser.com/
(2) http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27025/1.html
(3) http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27003/1.html
(4) http://www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26618/1.html
(5) http://www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26227/1.html
(6) http://www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26373/1.html
(7) http://www.cbc.ca/canada/story/2008/05/07/taser-court.html
(8) http://www.cmaj.ca/cgi/rapidpdf/cmaj.080592
(9) http://www.cmaj.ca/
(10) http://www.cmaj.ca/cgi/rapidpdf/cmaj.071867
(11) http://www.thestar.com/News/Canada/article/423950
(12) http://www.nationalpost.com/news/story.html?id=510207
(13) http://www.taser.com/research/Science/Pages/TASERBlameForInjuries.aspx
Florian Rötzer 13.05.2008