Fast zwei Jahre lang warf die
Bundesanwaltschaft elf jungen Leuten vor, Terroristen zu sein. Die
Ermittlungen erbrachten keinen einzigen Beweis
[berlinonline.de] Es ist ein Dienstag im Juni vergangenen Jahres, als Torsten zum
Terroristen erklärt wird. Morgens um sechs klopft es an der Tür seiner
Wohnung in Berlin-Friedrichshain. "Als ich aufmache, stürmt ein Trupp
Vermummter herein und wirft mich zu Boden", erzählt er. Plötzlich liegt
er auf dem Bauch, seine Hände sind auf dem Rücken gefesselt. Er hört,
wie jemand "Wohnung sicher" ruft. Dann hebt jemand ihn hoch, nimmt ihm
die Handschellen wieder ab und setzt ihn auf eine Couch. "Etwa fünfzehn
Leute standen in der Wohnung, SEK-Kämpfer und Zivilisten."
Als
nächstes sei ein Mann in einem Anzug an ihn herangetreten und habe
einen Durchsuchungsbeschluss der Bundesanwaltschaft vorgelesen, erzählt
Torsten weiter. Er sei der Mitgliedschaft in einer terroristischen
Vereinigung verdächtig, hört er. Die Gruppe, zu der angeblich zehn
Männer und eine Frau gehören, soll Brandanschläge in Bad Oldesloe
verübt haben. "Ich wusste nicht, ob ich weinen oder lachen soll", sagt
Torsten. "Ich ein Terrorist? Das kann doch nur ein Irrtum sein, dachte
ich."
Torsten sitzt in einem Straßencafé in Berlin-Kreuzberg. Er
ist 29 Jahre alt, Sozialpädagoge. Er heißt eigentlich nicht Torsten,
seine Freunde, um die es später gehen wird, heißen eigentlich auch
nicht Klaus, Julius, Paul oder Peter.
Der schmal gewachsene Mann,
der Torsten genannt werden will, wirkt unsicher. Fahrig wühlt er in den
Papieren vor sich auf dem Tisch. Abgehört habe man ihn und observiert,
sagt er, ein Peilsender sei an seinem Auto angebracht worden. Die
soziale Einrichtung, bei der er arbeitet, darf seit der Durchsuchung
bei ihm vor einem Jahr keine straffällig gewordenen Jugendlichen mehr
betreuen. "Dabei habe ich doch nichts mit diesen Anschlägen zu tun",
sagt Torsten.
Das Landgericht in Flensburg hat am vergangenen
Donnerstag die Razzien bei Torsten und den anderen vom Juni 2007 für
rechtswidrig erklärt. Wohnungen und Arbeitsräume von elf angeblichen
Linksterroristen in Hamburg, Bad Oldesloe und Berlin waren durchsucht
worden. Das hätte nicht angeordnet werden dürfen, sagen die Richter.
Damit
dürfte bald das im Frühjahr 2006 von der Bundesanwaltschaft eröffnete
Ermittlungsverfahren gegen die vermeintliche Terrorgruppe von Bad
Oldesloe eingestellt werden. Es ist längst zu einem Justizskandal
geworden. "In dem Bad-Oldesloe-Verfahren sind massivste
Grundrechtseingriffe angeordnet und genehmigt worden, obwohl von Beginn
an kein hinreichender Tatverdacht gegen auch nur einen der elf
Beschuldigten bestanden hat", sagt der Kieler Rechtsanwalt Alexander
Hoffmann, der einen der Betroffenen vertritt.
Die Ermittlungen
gegen die angeblichen Terroristen beginnen am 27. März 2006. An diesem
Tag, morgens gegen halb drei, geraten sechs Fahrzeuge einer Firma für
Schweißtechnik in der schleswig-holsteinischen Kreisstadt Bad Oldesloe
in Brand. In einem Bekennerschreiben wirft eine Gruppe, die sich
"Internationalistische Zellen" nennt, der Firma "ökonomische
Ausbeutung" in Afrika vor, weil die im Südsudan an einem
Eisenbahnprojekt mitarbeitet. Die bisher unbekannte Gruppe schreibt
auch, der Brandanschlag sei Teil des Protests gegen den G8-Gipfel, der
ein Jahr später im Ostseebad Heiligendamm stattfinden soll.
Weil
der G8-Gipfel erwähnt ist, übernimmt die Bundesanwaltschaft die
Ermittlungen. Gut ein Jahr vor dem Treffen der acht führenden
Industrienationen haben die deutschen Sicherheitsbehörden ihr Vorgehen
gegen linksradikale Globalisierungskritiker längst verschärft. Immer
wieder gehen in Berlin und Hamburg Autos in Flammen auf, Häuser von
Politikern und Unternehmern werden mit Steinen oder Farbbeuteln
beworfen. In Bekennerschreiben oder Parolen an den Tatorten wird zum
Widerstand gegen G8 aufgerufen. Experten aus Sicherheitsbehörden und
Ministerien vermuten in linken Szenetreffs Bombenbastler und militante
Gruppen, die mit Anschlägen den Gipfel verhindern wollen.
Beweise
für eine neue linksterroristische Bewegung gibt es zwar nicht. Trotzdem
eröffnet die Bundesanwaltschaft mehrere Verfahren nach dem
Terrorismus-Paragrafen 129a. Dieser Paragraf erlaubt den Einsatz weit
reichender Ermittlungsmaßnahmen, von der Wohnraumüberwachung über die
Postkontrolle bis zur Ortung von Personen über das Navigationssystem
GPS. Zwar müssen Richter diese Maßnahmen stets genehmigen – bei
129a-Verfahren wird allerdings kaum ein Antrag der Bundesanwaltschaft
abgelehnt.
Auch in Bad Oldesloe lässt die Bundesanwaltschaft im
Frühjahr 2006 nach Linksterroristen fahnden. Es hatte zwei Jahre zuvor
schon einmal einen Brandanschlag auf einem Firmengelände in der Stadt
gegeben. Und im Jahr 2002 hatte jemand versucht, einen Bus der
Bundeswehr im nahen Örtchen Glinde anzuzünden. Die drei Anschläge – der
erste auf den Bus war gescheitert – werden nun der vermeintlichen
Terrorgruppe von Bad Oldesloe zugeschrieben. Dass die Brände von den
gleichen Tätern gelegt wurden, ist nicht belegt. Sondern nur eine
Vermutung der Ermittler.
Der erste Verdächtige ist Klaus. Er
wohnt in Bad Oldesloe und ist "in linksgerichteten und
antifaschistischen Gruppierungen aktiv", wie die Ermittler schreiben.
Die Bundesanwaltschaft erklärt Klaus kurzerhand zum Kopf der
angeblichen Terrorgruppe. Verdächtig macht ihn allein, dass er in der
Nacht des Anschlags im März 2006 vier Mal mit seiner Freundin
telefoniert.
Die Telefonate des Paars sind in einer Funkzelle
registriert worden, in der Klaus Wohnung liegt – aber auch der Tatort
des Anschlags. Die Freundin von Klaus wird zur zweiten Beschuldigten.
Nach
Klaus und seiner Freundin gibt es schnell weitere Beschuldigte. Die
meisten der jungen Leute sind Polizei und Staatsschutz bekannt. Sie
stammen alle aus dem politisch linken Spektrum, aus der Antifa. Sie
spähen Neonazis aus, fotografieren sie und organisieren Proteste gegen
Nazidemos und Rechtsrock-Konzerte. Dabei geht es auch mal richtig zur
Sache, es kommt etwa zu Prügeleien. Gegen einige der Freunde wurde das
eine oder andere Mal ermittelt – wegen Landfriedensbruch etwa oder
versuchter Körperverletzung. Aber keiner von ihnen ist vorbestraft.
Sie
sind Linke und Linksradikale. Aber Terroristen? Der Blick in die Akten
zeigt, mit welch vagen Indizien und zum Teil haarsträubenden
Begründungen die jungen Leute zu Terrorverdächtigen erklärt wurden.
Julius
etwa ist verdächtig, weil er mit Klaus zusammen wohnt und mit ihm
Antifa-Aktionen organisiert. Auffällig ist laut Ermittlerbericht auch,
dass Julius misstrauisch auf ein Wohnungsangebot in Hamburg reagierte.
Dies lasse "Sorge, in eine von staatlicher Seite überwachte Wohnung
gelockt zu werden, erkennen", heißt es in einem Vermerk der
Bundesanwaltschaft.
Hans ist ein Freund von Klaus und Julius und
wird allein deshalb ebenfalls zur Terrorgruppe gerechnet. Er sei "stark
in die Personenbeziehung eingebunden", vermerkt die Bundesanwaltschaft.
Auch
Paul ist ein Freund von Klaus. Ihn macht verdächtig, dass seine Haare
auf einer Seite des Kopfs kurz rasiert sind. "Dies entsprach weder
seiner bis dahin bekannten Frisur noch der szenetypischen Mode und
lässt den Schluss zu, dass die Haare beim Brandanschlag . einen Monat
zuvor versengt wurden", schreibt die Bundesanwaltschaft.
Peter
wird zum Beschuldigten, nachdem Julius eines Abends einen Computer im
linken Szenetreff Ini-Haus in Bad Oldesloe vergessen hat. Von zu Hause
ruft Julius deshalb Peter an, der im Ini-Haus arbeitet. Er bittet
Peter, den Computer in einem sicheren Raum einzuschließen. Im Bericht
der Bundesanwaltschaft heißt es: "Erkenntnissen aus der
Telekommunikationsüberwachung zufolge" habe Peter für den Beschuldigten
Julius einen Datenträger versteckt.
Torsten, der Sozialpädagoge
aus Kreuzberg, gerät als einer der letzten ins Visier der Fahnder. Ihm
wird zum Verhängnis, dass er einen Freund hat, der wiederum einige der
Bad Oldesloer Beschuldigten kennt. Verdächtig macht Torsten laut
Ermittlungsbericht zudem, dass er sich am Telefon mit Freunden
auffallend wenig über politische Dinge unterhält.
Bevor die
Bundesanwaltschaft die Hausdurchsuchungen bei Torsten und den anderen
anordnet, lässt sie die elf angeblichen Linksterroristen monatelang
ausspähen. Peilsender werden an Autos montiert, Überwachungskameras in
Hausfluren installiert, Mikrofone in Wohnungen eingebaut,
Observationskommandos in die Spur geschickt. Die Überwachungsprotokolle
und Ermittlungsberichte füllen mehr als fünfzig Leitz-Ordner.
Viel kommt bei der langen und teuren Antiterror-Operation allerdings nicht heraus.
Die
zehn Männer und die Frau basteln weder Brandbomben noch schmieden sie
Anschlagspläne. In den belauschten Gesprächen geht es meist um
Kundgebungen von und Aktionen gegen Neonazis. Und nicht um
Globalisierungs-Themen oder den G8-Gipfel. Der interessiert die
Antifa-Aktivisten einfach nicht.
Dennoch erwirkt die
Bundesanwaltschaft im Mai 2007 beim zuständigen Landgericht in
Karlsruhe eine weitere Verlängerung des Lauschangriffs auf die Wohnung
der beiden Hauptverdächtigen Klaus und Julius in Bad Oldesloe. Dass die
Beschuldigten nicht über Anschlagspläne und den G8-Gipfel reden, sei
Ausdruck einer besonderen Konspiration, argumentieren die Ermittler.
Indizien oder gar Beweise für den Terrorismusvorwurf ergibt dieser
Lauschangriff nicht. Ebenso wenig wie die Durchsuchungen bei den elf
Beschuldigten im Juni.
Im Januar 2008 lässt die
Bundesanwaltschaft den Terrorismusvorwurf fallen und gibt das Verfahren
an die Staatsanwaltschaft Flensburg ab. Der Bundesgerichtshof hatte in
den Monaten zuvor bereits zwei andere Verfahren gegen angebliche
Linksterroristen kassiert.
Der Verdacht, dass die Gruppe den
G8-Gipfel zum Anlass eines spektakulären Anschlags nehmen würde, habe
sich nicht bestätigt, heißt es in dem Abgabevermerk. Und: "Auch aus den
bislang durchgeführten Ermittlungen haben sich keine weiteren Hinweise
ergeben, die die zunächst angenommene hochgradige Gefährlichkeit der
Gruppierung untermauerten."
Und die Flensburger Richter, die
vergangene Woche die Razzien nachträglich für rechtswidrig erklärt
haben, stellten fest: "Ein Anfangsverdacht nach Paragraf 129a war von
vornherein nicht gegeben."
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Verdächtig macht Torsten laut Ermittlungsbericht, dass er sich am Telefon auffallend wenig über politische Dinge unterhält.
Andreas Förster
Source: http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2008/0609/seite3/0001/index.html