Italien ruft Notstand aus

italien migrantinnenGewaltiger Flüchtlingszustrom – Kritik von deutschen Grünen

[heute.de] Der Vatikan ist beunruhigt, die Opposition spricht vom Klima eines Polizeistaats. Der Umgang mit Flüchtlingen erhitzt in Italien die Gemüter. Jetzt hat die italienische Regierung wegen des Ansturms afrikanischer Flüchtlinge den Notstand ausgerufen.

Mit der Verhängung eines landesweiten Flüchtlings-Notstands setzte die italienische Regierung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi ihren harten Kurs gegen illegale Einwanderer fort. Innenminister Roberto Maroni verkündete die Maßnahme, mit der Italien auf die anhaltende Flüchtlingswelle aus Afrika reagiert, am Freitagabend in Rom. Der Notstand galt in einigen Regionen des Landes bereits seit einigen Jahren und wurde nun auf ganz Italien ausgedehnt. Die Opposition kritisierte die Entscheidung der Regierung scharf. Die deutschen Grünen reagierten mit großer Besorgnis und forderten ein Eingreifen der EU-Kommission.
 
Entkräftete Kinder sterben

In einer neuen Flüchtlingswelle sind innerhalb weniger Stunden nahezu 400 illegale Einwanderer in Süditalien angekommen, darunter zahlreiche Frauen und Kinder. Ein Nigerianer berichtete nach der Ankunft auf Sizilien, bei der Überfahrt von Libyen aus seien seine zwei und vier Jahre alten Kinder an den Folgen von Entkräftung gestorben. Sie hätten die Leichen ins Mittelmeer werfen müssen. Nach italienischen Medienberichten vom Samstag kamen in der jüngsten Flüchtlingswelle auf Sardinien etwa 150 Immigranten überwiegend aus Marokko und Algerien an und auf der Insel Lampedusa knapp 230. Sie werden auf Aufnahmelager verteilt.

Der nationale Notstand erlaubt nach Reghierungsangaben einen "verstärkten Einsatz" im Kampf gegen illegale Einwanderung. Unter anderem könne der Bau neuer Aufnahmelager für Flüchtlinge beschleunigt werden, sagte Maroni. Die Maßnahme war bereits 2002 in Kraft getreten, wurde Anfang 2008 jedoch auf die drei südlichen Regionen Kalabrien, Sizilien und Apulien begrenzt. Am Dienstag muss Maroni die Entscheidung vor dem Parlament verteidigen.
 
Entscheidung "verabscheungswert"

Die linke Opposition im italienischen Abgeordnetenhaus verurteilte dagegen die Ausweitung des Notstands mit scharfen Worten. Der stellvertretende Fraktionschef der Demokratischen Partei (PD), Giancarlo Bressa, bezeichnete die Entscheidung als "verabscheuenswert". Die Regierung befasse sich nicht mit den wichtigen Fragen, sondern mache der Bevölkerung Angst. Die stellvertretende Parlamentspräsidentin Rosy Bindi sprach von einem "Klima eines Polizeistaates".
 
Der Vatikan kritisierte die Ausrufung des Notstands durch die italienische Regierung wegen der Einreise illegaler Flüchtlinge heftig. Der vatikanische Migrantenrat mahnte am Samstag "Respekt vor den Menschenrechten aller Arbeitsmigranten und ihrer Familien" an.

Beck: EU-Standards noch erfüllt?

"Die EU-Kommission und die Gremien des Europarates sollten das italienische Vorgehen kontrollieren", sagte Grünen-Parlamentsgeschäftsführer Volker Beck am Samstag der Nachrichtenagentur AFP. Es müsse geprüft werden, ob in dem Land noch die Standards nach dem EU-Recht oder auch der Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen eingehalten werden. Im Mai hatte EU-Sozialkommissar Vladimir Spidla Italien bereits wegen seiner harten Haltung in der Einwanderungspolitik gerügt. Das Europaparlament verurteilte eine geplante Fingerabdruck-Datei für nicht sesshafte Einwanderer Anfang Juli als "rassistische Diskriminierung".

Seit ihrem Amtsantritt im Frühjahr hat die rechtskonservative Berlusconi-Regierung die Polizeieinsätze gegen illegale Einwanderer spürbar ausgeweitet. Von dem rigiden Vorgehen sind auch die Minderheiten der Sinti und Roma aus Rumänien betroffen. Am Mittwoch verabschiedete das Parlament in Rom ein umstrittenes Gesetz, das für illegales Einreisen nach Italien Gefängnisstrafen von sechs Monaten bis vier Jahren vorsieht und Abschiebungen erleichtert.

Gefährliche Überfahrten

Italien und andere südliche EU-Staaten sind das Ziel von Flüchtlingen aus verarmten und von Kriegen geschüttelten afrikanischen Regionen. Die illegalen Einwanderer wagen in meist viel zu kleinen und nicht hochseetauglichen Booten die gefährliche Überfahrt von Afrika nach Europa. Mehr als 130 Flüchtlinge gingen laut Nachrichtenagentur Ansa am Samstag an der Westküste Sardiniens an Land. Vor Lampedusa stoppte die Küstenwache ein Boot mit 79 illegalen Einwanderern an Bord.
 
Nach Angaben des Innenministeriums in Rom hat sich die Zahl der Bootsflüchtlinge im ersten Halbjahr 2008 verglichen mit dem Vorjahreszeitraum fast verdoppelt. Erreichten in den ersten sechs Monaten des vergangenen Jahres 5378 illegale Einwanderer die italienische Küste, seien in diesem Jahr 10.611 Flüchtlinge gezählt worden. Seit Januar hat das Innenministerium sechs neue Auffanglager eingerichtet.

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