EU-Parlament vor Kompromiss zur Inhaltskontrolle durch Telekom-Anbieter
[dradio.de] Recht.
– Auch in Europa entdecken Gesetzgeber und -vollstrecker das
Betätigungsfeld Internet. Jetzt hat das EU-Parlament erste Schritte
eingeleitet, um einheitliche Regeln für die Kontrolle des Datennetzes
zu erlassen. Wie dabei Schutz der Privatsphäre und Bekämpfung von
Unrecht austariert werden, ist noch offen.
Am
Montag dieser Woche [inwzischen: letzter Woche – Anm. europolice] haben zwei Ausschüsse des Europäischen Parlaments
über ein Gesetzespaket zur Telekommunikationsregulierung entschieden.
Das hört sich dröge an, hat aber Konsequenzen für alle Internet-Nutzer.
Die betrifft zunächst die Frage, ob Internet-Provider in Zukunft
einschreiten können oder sogar müssen, wenn sie bemerken, dass ihre
Kunden sich illegale Inhalte auf ihre Rechner holen. Der Knackpunkt:
Das würde eine Kontrolle der Datenströme durch die Provider
voraussetzen. In Frankreich wird sogar darüber diskutiert, nach drei
Warnhinweisen an die Nutzer deren Internet-Zugänge dicht zu machen.
Bürgerrechtler haben deshalb im Vorfeld der Sitzungen in Straßburg
drastisch vor einer "Sowjetisierung des Internet" gewarnt.
Verabschiedet wurde nun ein Kompromiss. Er lässt die Kontrolle in
einzelnen Ländern zwar zu, fordert sie aber nicht zwingend. Damit ist
Angelika Niebler, Mitglied der Fraktion der Europäischen Volkspartei
und Vorsitzende des Industrieausschusses des Europäischen Parlaments
ganz zufrieden:
"Wir wollten
natürlich schon sicherstellen, dass keine ungesetzlichen Inhalte auf
den Internet-Seiten zu finden sind und wollten die Provider in die
Pflicht nehmen. Auf der anderen Seite wollten wir aber verhindern, dass
die Provider jetzt hier die Funktion eines Staatsanwaltes übernehmen
und nach Inhalten suchen. Ich denke, da hätten wir die Pflicht der
Telekomanbieter auch überspannt. Jetzt haben wir einen Kompromiss
gefunden, der beide Seiten zu einer engen Zusammenarbeit auffordert,
und ich denke, das ist auch der richtige Ansatz."
Rebecca
Harms, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen und für diese
Fraktion im Industrieausschuss, hätte sich gewünscht, dass der Umgang
mit möglicherweise illegalen Inhalten überhaupt nicht im
Telekommunikationspaket geregelt wird, sondern dass hier auf bereits
bestehende Regelungen verwiesen wird:
"Ich
bin mit meiner Idee, dass wir zum Umgang mit sogenannten illegalen
Inhalten nur auf die bestehende Rechtslage verweisen sollten,
gescheitert. Meiner Meinung nach sollte dieses ganze Problem jetzt im
Rahmen des Telekom-Pakets überhaupt nicht angefasst werden, das ist
nicht die richtige Regulierung, die wir da machen, um uns mit dem Thema
auseinanderzusetzen."
Für sie ist die Gefahr, dass es
auch in Deutschland zu einer Überwachung der Netze durch die Provider
kommen wird, keineswegs vom Tisch:
Provider
wären gezwungen, so wie das auch derzeit in Frankreich diskutiert wird,
wären gezwungen, mitzuhören und mitzuschauen, was sich unter ihren
Nutzern tut. Das wäre meiner Meinung nach ein ganz klarer Verstoß gegen
den Schutz von Privacy im Internet."
Ihr Vorwurf an die Fraktion der Konservativen:
"Ich
finde schon, dass unter diesem emotionalen Begriff "Unlawful content"
eigentlich knallharte Interessenspolitik gemacht wurde zugunsten von
einigen großen Unternehmen der Unterhaltungsindustrie."
Deshalb
wird Harms auch die Sommerferien nutzen, um weiter für ihre Position zu
werben und dann möglicherweise in den Plenardebatten im September noch
einmal Veränderungen zu erreichen. Die CSU-Frau Niebler dagegen kann
mit dem jetzigen Kompromiss leben:
"Ich
werde den Kompromiss, so wie er jetzt beschlossen ist, mittragen, ich
werde also keine neuen Änderungsanträge einreichen, weil ich der
Meinung bin, dass dieser Kompromiss ein sehr guter Kompromiss ist."
Man
müsse es den Telekomanbietern überlassen, sich mit den Inhalteanbietern
zu arrangieren und zu entscheiden, was machbar ist und was nicht
machbar ist.
"Da kann auch die
Netzagentur als Moderator eingeschaltet werden zwischen den betroffenen
Kreisen, wie es im Einzelnen laufen wird, sollte man denen überlassen,
die da das Fachwissen haben",
argumentiert Niebler.
Debattiert wurde beim Telekommunikationspaket auch über eine neue
Europabehörde, die, so die EU-Komission, Telekommunikationsregulierung
übernehmen soll. Das hat den Parlamentariern nicht gepasst, sie haben
den Plan abgelehnt. Entstehen soll nun nach dem Willen der
Parlamentarier eine Institution, in der die Regulierungsbehörden aus
den 27 EU-Ländern in den Fragen zusammenarbeiten, die EU-weite Relevanz
haben. On der Ablehnung der zentralen Behörde waren sich am Montag alle
Fraktionen einig. Rebecca Harms freut sich insbesondere, dass damit der
Vorschlag von EU-Kommissarin Viviane Reding, freiwerdende Frequenzen
nach Marktgesetzen zu vergeben, vom Tisch sein dürfte. Mit der jetzigen
Regelung sei gewährleistet, dass die nationalen Radio- und
Medienstrukturen berücksichtigt werden, freut sich Harms.
Von Pia Grund-Ludwig
Source: dradio.de