Die bayerische Justiz und die Piratenpartei

[spiegelfechter.com] Am Freitagmorgen um 5.00 standen Beamte der bayerischen Polizei vor der Tür von Ralph Hunderlach. Hunderlach ist Pressesprecher der Piratenpartei, einer Kleinpartei, die sich vor allem für die Freiheit von Information und damit gegen die Pläne zur Ausweitung des Überwachungsstaates stark macht. Der Piratenpartei wurden zu Anfang des Jahres nach eigenen Angaben Unterlagen des bayerischen Justizministeriums zugespielt, aus denen hervorgeht, dass die bayerische Polizei im Rahmen von genehmigten Telekommunikationsüberwachungen auch Software auf Rechnern von Verdächtigen installiert hat, die verschlüsselte VOIP-Telefonate, die mit der Software „Skype“ geführt wurden, aufgezeichnet hat. Hunderlach, der im Januar dieses Jahres auf den Internetseiten der Piratenpartei einen Artikel zu diesem Thema verfasste und die zugespielten Dokumente veröffentlichte, galt für die Staatsanwaltschaft München als Zeuge in einem Verfahren gegen unbekannt, wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses. Da die Polizei Hunderlach verdächtigte, er könne im Besitz von Unterlagen sein, die auf die Identität des „Whistle-Blowers“ hinweisen, erließ das Amtsgericht München einen Durchsuchungsbefehl. Die Beamten drohten Hunderlach, der als selbstständiger IT-Experte tätig ist, seine gesamten Datenträger zu beschlagnahmen, wenn er nicht mit ihnen kooperieren würde. Beschlagnahmt wurden dann nach Angaben von Andreas Popp, dem Vorsitzenden der bayerischen Piratenpartei allerdings nur einige Mails von der öffentlichen Mailingliste der Partei.

In ersten Reaktion zeigte sich das Netz geschockt – im Diskussionsforum des Heise-Portals schäumen die User vor Wut und sehen die Vorgänge als Beweis, dass der umstrittene Bundestrojaner bereits im Einsatz ist. Dies ist so nicht richtig, aber die Bezeichnung „Bayerntrojaner“, die die Piratenpartei gewählt hat, legt diesen Verdacht nahe. Das Abhören von verschlüsselten Internettelefonaten mittels einer Software, die auf dem Rechner des Verdächtigen installiert ist, ist verfassungsrechtlich umstritten. Die deutschen Zollbehörden setzen dieses Technik jedoch bereits seit längerem ein. Der Unterschied zur Onlinedurchsuchung ist, dass beim Mitschneiden von Skype-Gesprächen nur Gespräche mitgeschnitten werden, aber nicht sonstige Daten vom Computer des Verdächtigen ausgelesen werden. Somit unterscheidet sie sich kaum von der traditionellen Telefonüberwachung. Ein Unterschied liegt hingegen im Ort der Überwachungsmaßnahme. Während Telefongespräche in aller Regel durch Installationen außerhalb der Wohnung des Verdächtigten abgehört werden, setzt die sogenannte Quellen-TKÜ an der Quelle an – also bei Skype-Telefonaten auf dem Rechner des Verdächtigen, der in der Regel in einem grundgesetzlich geschützten Raum, dazu zählen neben der Wohnung auch Büros und Geschäftsgebäude, steht.

Die Genehmigung solcher Quellen-TKÜ Maßnahmen ist daher umstritten. Das Amtsgericht München und der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof haben bereits Quellen-TKÜ auf den Rechnern von Verdächtigen gestattet – das Landesgericht Hamburg hat in einem ähnlichen Fall dem Wunsch der Staatsanwaltschaft abgelehnt. Trotz der Genehmigung des Münchner Amtsgerichtes stellt die Veröffentlichung der Piratenpartei ein Politikum dar. Am 6. Oktober 2007 veröffentlichte der SPIEGEL einen Artikel, der dem bayerischen LKA vorwirft, in mehreren Fällen mittels auf dem Zielrechner installierter Software Internettelefonate abgehört zu haben. In einem Gespräch mit Tagesschau.de räumte der Sprecher des bayerischen LKA Ludwig Waldinger zwar ein, „in weniger als zehn Fällen“ Telefongespräche über das Internet abgehört zu haben, widersprach aber dem SPIEGEL-Artikel, dass dies mittels einer Software geschehen sei, die auf dem Rechner der Verdächtigen installiert wurde. Laut Waldinger würden „die Daten […] auf dem Weg zwischen den Kommunikationspartnern abgehört.“ Eine auf dem Computer des Verdächtigen installierte Software hielt Waldinger für unnötig – „das würde technisch auch keinen Sinn machen“.

Aus dem Schreiben, das die Piratenpartei veröffentlichte, geht allerdings hervor, dass in einem Verfahren der Staatsanwaltschaft München I durch Beamte des Landeskriminalamts ein Verfahren der Firma Digitask eingesetzt werden sollte, das die Gespräche mittels einer auf dem Rechner des Verdächtigen installierten Software abhört. Das Angebot von Digitask ist auf den 7. September 2007 datiert. Im Schreiben geht es nur noch um die Finanzierung der Maßnahme. Das Datum des Schreibens ist nicht bekannt, es muss aber kurz nach dem 10. Dezember 2007 aufgesetzt worden sein, da das Justizministerium auf ein inhaltsgleiches Schreiben an die internen Stellen mit diesem Datum verweist.

LKA-Sprecher Waldinger hat im Interview mit Tagesschau.de also entweder die Unwahrheit gesagt, oder wichtige Details der bayerischen Abhörpraxis verschwiegen. Das Angebot der Digitask ging rund einen Monat vor dem Interview bei den bayerischen Behörden ein. Abhörmaßnahmen am Rechner der Verdächtigen waren also zum Zeitpunkt des Interviews entweder bereits erfolgt oder zumindest ernsthaft erwogen worden. Das Dementi, so etwas „würde technisch keinen Sinn machen“, ist also falsch und im Rahmen der Diskussion rund um die Onlinedurchsuchung als Verschleierung der umstrittenen Praxis zu werten.

Es verwundert da kaum, dass die bayerischen Behörden Interesse haben, die Informationsquelle der Piratenpartei auszumachen. Wer einmal brisante Informationen über strittige Maßnahmen der Behörden weiterreichte, wird dies wahrscheinlich auch bei künftigen strittigen Maßnahmen tun. Nur so ist die Unverhältnismäßigkeit im Falle Hunderlach zu erklären. Für einen selbstständigen IT-Experten kann die Beschlagnahmung seiner Datenträger wirtschaftlich verheerende Folgen haben. Wenn man sich vor Augen hält, dass Hunderlach nicht etwa Verdächtiger, sondern lediglich Zeuge in diesem Fall ist, erscheint das Verhalten der bayerischen Justiz skandalös. Anstatt rechtliche Klarheit für die eigenen Maßnahmen zu suchen, werden diejenigen drangsaliert, die Dokumente an die Öffentlichkeit bringen, die ernste Zweifel an der gängigen Abhörpraxis in Bayern wecken und die eigenen Aussagen in Frage stellen. Grundvoraussetzung für umstrittene Abhörmaßnahmen ist Transparenz und ein Vertrauen in die Justiz und die Ermittlungsbehörden. Dieses Vertrauen verspielen Behörden, die alles tun, um Informationen zu unterdrücken, welche auf Fehler der Behörden hinweisen, allerdings zusehends.

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