[cop2cop.de] „Nach
der jüngsten politischen Entscheidung zur Durchführung des NATO-Gipfels
werden die Konturen für die polizeiliche Lage deutlicher. Dadurch, dass
die Einsatzbewältigung zwischen Deutschland und Frankreich ausgewogen
verteilt und die Abendveranstaltung am 3. April 2009 von Kehl nach
Baden-Baden verlagert wird, ist eine neue Situation für uns entstanden.
Jetzt wissen wir, dass wir Gastgeber für die Hälfte der erwarteten rund
3.500 Gäste sein werden. Wir wissen, dass darunter höchste politische
Repräsentanten – verbunden mit einem entsprechend sensiblen
Schutzauftrag – sein werden. Wir müssen davon ausgehen, dass eine
Vielzahl von Flugbewegungen über Flughäfen in der Region abgewickelt
wird. Die Sicherheitsmaßnahmen gewinnen damit in Qualität und Quantität
eine völlig neue Dimension.” Das sagte Landespolizeipräsident Erwin
Hetger heute in Baden-Baden. Zuvor hatte er gemeinsam mit den
Regierungspräsidenten Dr. Rudolf Kühner (Karlsruhe) und Julian
Würtenberger (Freiburg) die neue Situation erörtert.
Der Einsatz sei aber kein Anlass, die Situation zu dramatisieren. Es
werde in der Grenzregion kein Ausnahmezustand entstehen. Die hälftige
Verteilung der Durchführung des Gipfeltreffens auf Deutschland und
Frankreich bedeute aber eine immense Herausforderung und große
Belastung für die Polizei. Die Schutzpersonen müssten bei der An- und
Abreise sowie bei den Transfers zu den Veranstaltungen eskortiert und
geschützt werden. Auch an den zahlreichen Quartieren seien umfangreiche
und kräfteintensive Maßnahmen notwendig.
„Mit der bewussten Auswahl der Grenzregion entlang des Oberrheins
für den Jubiläumsgipfel ist ein gemeinsamer deutsch-französischer
Einsatzraum für die Sicherheitsmaßnahmen mit allen Herausforderungen
einer grenzüberschreitenden Lage entstanden. Den Grundstein für eine
eng verzahnte, unbürokratische Zusammenarbeit auf der Grundlage der
bestehenden Verträge haben wir in einem ersten Gespräch mit dem
Präfekten der Region Elsass bereits gelegt. Die Grenze darf und wird
bei der Durchführung der Einsatzmaßnahmen kein Hindernis sein”, so der
Landespolizeipräsident. Dies gelte besonders für die Begleitung der
Schutzpersonen. „Wer die Begleitung beginnt, führt diese bis zum Ziel
durch, egal ob diesseits oder jenseits des Rheins”, so die klare
Aussage von Hetger.
Für die Gegner des Gipfels werde der Rhein keine unüberwindbare
Barriere sein, es werde grenzüberschreitende Aktionen geben. Daher sei
auch der Informationsaustausch über die Grenze hinweg zur Erstellung
eines stets aktuellen gemeinsamen Lagebilds für den gesamten
Einsatzraum zwingend notwendig. Auch Einsatzkräfte müssten, wenn es die
Lage erfordere, grenzüberschreitend eingesetzt werden.
Die Sicherheit des Gipfels und der Teilnehmer bedeute eine
Herausforderung besonders in drei Bereichen: internationaler
islamistischer Terrorismus, Aktionen gewaltbereiter Störer und
friedliche Demonstrationen mit einer großen Teilnehmerzahl. Derzeit
lägen keine konkreten Gefährdungshinweise vor. Aber mit Blick auf das
Bedrohungspotenzial des internationalen, insbesondere des
islamistischen Terrorismus müsse von einer hohen abstrakten Gefahr
ausgegangen werden. Deutschland sei bekanntlich Teil des weltweiten
Gefahrenraums, und viele der teilnehmenden Nationen sowie die NATO
seien in die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus eingebunden.
„Auf den rund 600 in Baden-Württemberg und den etwa 6.300 bundesweit
als gewaltbereit bekannten Extremisten liegt unser besonderes
Augenmerk”, so der Landespolizeipräsident. Allerdings beschränke sich
der Blickwinkel nicht nur auf die regionale oder nationale Ebene. Auf
Grund der zu erwartenden europaweiten Mobilisierung rückten auch die
etwa 3.500 beim Bundeskriminalamt als international agierende
Gewalttäter registrierten Personen in den Fokus der
Sicherheitsbehörden. Eine ähnlich breite Mobilisierung wie beim
G8-Gipfel in Heiligendamm sei aber eher unwahrscheinlich. Dennoch sei
mit bundesweiten und regionalen, auch militanten Protestaktionen zu
rechnen. Die Vorbereitungen in der linksextremistischen Szene liefen
seit April 2008.
„Mit gezielter Erkenntnisgewinnung und Aufklärung hat für uns der
Einsatz bereits begonnen. Wir wenden die bewährte Einsatzstrategie an,
möglichem Gefahrenpotenzial bereits im Ansatz entgegenzuwirken”, sagte
Hetger. Die gewonnenen Erkenntnisse dienten als Grundlage für
präventiv-polizeiliche Maßnahmen wie Aus- und Einreiseuntersagungen bis
hin zu Ingewahrsamnahmen. Zudem werde man mit gezielten Kontrollen,
gegebenenfalls mit temporär wiedereingeführten Grenzkontrollen,
anreisende Gewalttäter herausfiltern. „Wir wissen sehr wohl, dass die
Mehrzahl der Demonstranten keine gewaltbereiten Chaoten sind. Bei
friedlichen Protesten werden wir einen störungsfreien Verlauf der
Versammlungen gewährleisten”, so Hetger. Diese Differenzierung sei ein
wesentlicher Punkt der Einsatzphilosophie, bei der Deeskalation und die
Entschärfung spannungsgeladener Situationen im Vordergrund stehen
würden.
Camps werde man nicht generell verbieten können. Sie dürften aber
keine Rückzugsmöglichkeiten für Straftäter und Chaoten in die
Anonymität der Masse bieten. Landespolizeipräsident Hetger: „Camps wird
es nur abgesetzt und mit gewissen Auflagen geben. Rechtsfreie Räume
wird es in Baden-Württemberg nicht geben.” Auf andere Aktionsformen wie
Blockaden oder Aktionen der sogenannten Rebells Clowns Army werde sich
die Polizei gezielt vorbereiten.
„Einschränkungen in der betroffenen Region, besonders im
Verkehrsbereich, werden unvermeidbar sein”, so Hetger weiter. Aber es
sei das Ziel, diese so gering wie möglich zu halten und die betroffene
Bevölkerung offensiv und frühzeitig zu informieren. Auch die
Verantwortlichen in den Kommunen würden rechtzeitig in die
Entscheidungen einbezogen.
Zur Dimension des Einsatzes sagte Hetger: „Wir werden wohl den
größten Polizeieinsatz in der Geschichte Baden-Württembergs erleben.
Deshalb ist die gesamte Polizei des Landes mit allen ihren Einheiten
gefordert. Zudem ist eine umfangreiche Unterstützung durch Kräfte des
Bundes und der anderen Länder notwendig. Der geplante Einsatz reize das
eigene Kräftepotenzial bis an die Grenze aus. Urlaubssperren sowie eine
Verschiebung von Fortbildungsmaßnahmen und Änderungen in den
Zeitabläufen der Ausbildung seien notwendig. Man habe sich auch
frühzeitig dafür entschieden, die Vorbereitung in eine Hand zu geben
und die Landespolizeidirektion Freiburg mit der Planung und Führung des
Einsatzes zu betrauen. Wegen der Verlagerung der Abendveranstaltung
nach Baden-Baden würde die Verantwortung für den Einsatz letztlich
gemeinsam von den Landespolizeidirektionen Freiburg und Karlsruhe
getragen.
Die Gewährleistung der Sicherheit rund um das Gipfeltreffen sei aber
nicht alleinige Aufgabe der Polizei. Beispielhaft sei der Bereich des
Bevölkerungs- und Katastrophenschutzes oder des Rettungswesens zu
nennen. „Ein wesentlicher Baustein ist die frühzeitige und dauerhafte
Einbeziehung aller Partner in einen abgestimmten Vorbereitungsprozess.
Neben den Landkreisen, Städten und Gemeinden sind hier die
Regierungspräsidien in der ganzen Breite ihrer Zuständigkeit
betroffen”, so Hetger. Zur Erörterung der Maßnahmen werde man sich mit
den zuständigen Vertretern der Kommunen am 4. November 2008
zusammensetzen. Die Kosten des Einsatzes ließen sich im jetzigen
Planungsstadium noch nicht beziffern, man gehe aber von einem
zweistelligen Millionenbetrag aus.