Schwarmintelligenz bei Maschinen: Neue Roboter bilden Rudel

[ftd.de] Es ist der wichtigste Grundsatz der Feuerwehr: Gearbeitet wird ausschließlich im Team, Einzelkämpfer sind nicht gefragt. Was für die Menschen gilt, wird erst recht für die Maschinen gelten, die bald in den Dienst der Feuerwehr treten sollen. Jedenfalls wenn sich Klaus Schäfers Wunsch erfüllt: Der Leiter der Feuerwehr Dortmund will eine Armada kleiner Flugroboter in Dienst stellen, die bei Chemieunfällen oder Großbränden ausschwärmt und Giftgaswolken aufspürt. Dabei sollen die Drohnen als intelligenter Schwarm zusammenarbeiten. Sie werden also nicht einzeln ferngesteuert, sondern agieren selbstständig als Team in über 100 Metern Höhe. Über Funk ermitteln die Drohnen die Positionen der nächstgelegenen Gruppenmitglieder. So kann sich der Schwarm optimal über dem Gefahrengebiet verteilen. Mit ihren Bordsensoren spüren die Drohnen giftige Wolken auf, analysieren ihre Zusammensetzung und erstellen eine genaue Karte.

"Diese Technik wird unseren Alltag verändern", sagt Schäfer: "Anstatt Menschen mit anfälliger Schutzkleidung, teuren Transport- und Messgeräten in den Gefahrenbereich zu bringen, kann diesen Job bald Airshield erledigen." Unter dem Projektnamen Airshield arbeitet die Dortmunder Feuerwehr mit Hochschulen, Firmen und Forschungsinstituten zusammen, um in den nächsten drei Jahren die kleinen Katastrophenhelfer zu konstruieren. 3,5 Mio. Euro investieren der Bund und die Partnerunternehmen in der ersten Entwicklungsphase. Projektleiter Christian Wietfeld von der TU Dortmund hofft auf gute Absatzchancen für das fertige Produkt: "Wir sehen einen Markt für alle Rettungsorganisationen weltweit."

Airshield ist nur eines von mehreren Projekten, bei denen Forscher Robotern beibringen wollen, wie Bienen, Ameisen, Fische oder Zugvögel zusammenzuarbeiten – als Schwarm, in dem kein Individuum das Ganze begreift, aber jedes einen kleinen Beitrag zur Gesamtlösung leistet. Ameisen etwa ermitteln gemeinsam den kürzesten Weg von ihrem Bau zu einer Futterquelle, indem sie beim Laufen eine Duftspur legen. An ihr orientieren sich die Artgenossen. Auf einem direkten Weg schafft eine Ameise in derselben Zeit mehr Touren als auf einem Umweg – also wird auch das Duftsignal schneller stärker und zieht mehr Kollegen an, bis nach kurzer Zeit alle die direkte Route nehmen.

Auch die Airshield-Drohnen orientieren sich am Geruch, um die Konturen einer Gaswolke zu ermitteln. Sie senden ständig die aktuell gemessene Gaskonzentration an die anderen Mitglieder des Schwarms. Bemerkt eine Drohne, dass ihre Messwerte weit unter denen der anderen liegen, weiß sie, dass sie sich zu weit vom Wolkenrand entfernt hat und umkehren muss.

"Die Schwarmintelligenz ist schon lange auf dem Weg in die Praxis", sagt Andreas Birk. Er leitet an der Jacobs University Bremen eine Forschungsgruppe, die teamfähige Roboter für Rettungsmissionen entwickelt. "Allerdings streiten Fachkollegen heftig darüber, wann man von Schwarmintelligenz sprechen kann." Genügt es, dass eine Gruppe von Robotern sich selbst organisiert und Aufgaben schneller erledigt, als es ein einzelner schaffen würde? Oder ist ein Schwarm erst dann "intelligent", wenn er Fähigkeiten hat, die seine Mitglieder nicht haben?

Eine einzelne Flugdrohne etwa könnte sich gar kein aktuelles Bild der Ausmaße von Giftwolken machen, da diese sich bewegen und oft über mehrere Kilometer erstrecken. Für eine laufend aktualisierte Karte muss gleichzeitig an mehreren Stellen gemessen werden. Nach der Devise "Gemeinsam geht es schneller" arbeiten dagegen die Schwimmroboter, die im von der EU geförderten Projekt Eu-Mop entwickelt werden. Sie sollen eigenständig auf dem Meer Ölteppiche absaugen, vor allem in seichten Gewässern und Hafenbecken, wo große Pumpschiffe nicht operieren können. Die Schwimmroboter werden von einem Mutterschiff ausgesendet und machen sich dann eigenständig über den Ölteppich her. Ihre genaue Position stimmen sie selbständig über Funk ab. Jeder Roboter ist mit einer Pumpe und einem Tank ausgestattet, der drei Tonnen Öl fasst, bevor der schwimmende Sauger zum Mutterschiff zurückfahren muss, um sich zu entleeren und die Arbeit fortzusetzen.

In Computersimulationen hätten sich die Steuerprogramme für die Roboter schon bewährt, sagt Dennis Fritsch vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA). Erfolgreich verliefen auch Trockenübungen, bei denen sich in einer Werkhalle Modellroboter über einen mit Farbe simulierten Ölteppich bewegen. "Der erste reale Roboterschwarm kann in zweieinhalb Jahren gebaut werden", sagt Fritsch – wenn die EU weitere Fördergelder für die nächste Projektphase bereitstelle.

Wimmelbild mit Regeln

Basis
Kontrollfreaks haben an Tierschwärmen wenig Freude: Niemand hat das Sagen, wenn Zugvögel in Formation fliegen, Elchherden Raubtiere ausmanövrieren, Ameisen die kürzeste Route zu einer Futterquelle ermitteln oder Bienenvölker ein neues Zuhause auswählen. Das Schwarmverhalten ergibt sich aus Regeln, denen jedes einzelne Tier folgt.

Ordnung
In Fisch- oder Vogelschwärmen bestimmen diese Regeln beispielsweise, in welchem Abstand oder Winkel man sich zu seinem Nebenmann bewegen soll. Forscher haben solche Regelsätze ermittelt und in Sozialexperimenten an Menschengruppen getestet: Obwohl niemand die Mengen lenkte, entwickelten sie ein zielstrebiges, geordnetes Verhalten.

Anwendung
Vor allem die Informatik macht sich die Erkenntnisse der Schwarmforschung zunutze. Die Entscheidungsfindung von Insektenschwärmen dient als Vorbild für Routenplaner oder die Zuteilung von Computer-Ressourcen in Netzwerken. Internetsuchmaschinen wie Google setzen auf die kollektive Intelligenz Tausender Nutzer, um Websites zu bewerten.

Noch länger werden Krankenhausmanager warten müssen, bis sie die ersten Roboter-Putzkolonnen einsetzen können. "Eine Marktreife erreichen wir wohl erst in vier bis fünf Jahren", sagt Simon Thiel vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO). Es entwickelt im Forschungsprojekt Iward mit mehreren Partnern 50 Zentimeter große Serviceroboter, die in Kliniken putzen und Botengänge durchführen sollen. Was zu tun ist, ermitteln sie selbstständig und teilen sich die Arbeit per Funksignal auf. In Bereichen mit empfindlichen Geräten schalten sie die Übertragung ab und arbeiten eigenständig, bevor sie wieder zur Gruppe aufschließen. Im Februar sollen die ersten drei Prototypen getestet werden.

Auch bei Airshield ist es noch ein weiter Weg bis zum Markteintritt. Die erste Demonstration beim Kickoff-Meeting ist wenig beeindrucken: Eine ferngesteuerte Drohne erhebt sich unsicher in die Luft, das ist alles. "Das sind erst die Anfänge", sagt Christian Wietfeld von der TU Dortmund. Wie viele seiner Fachkollegen glaubt er, dass die Zeiten vorbei sind, in denen Roboter den Menschen lediglich zuarbeiten. Ihre Botschaft: Autonome Roboter haben den Fuß in der Tür – und sie kommen nicht allein.

von Jörn Petring (Dortmund)

Source: http://www.ftd.de