Herrschaftswissen

»SFB 700«: Ein Institut an der FU Berlin liefert Informationen und Strategiekonzepte für bundesdeutsche Großmachtpolitik

[jungewelt.de] Politologen sind, so ließe sich in Anlehnung an Bertolt Brecht formulieren, »ein Geschlecht erfinderischer Zwerge, die für alles gemietet werden können«. Äußerst erfinderisch ist auch Sven Chojnacki, seines Zeichens Juniorprofessor am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin und einer der Projektleiter des ebendort angesiedelten »Sonderforschungsbereichs 700 – Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit« (SFB 700). In letztgenannter Funktion arbeitet der Politologe an einem »Datenbankprojekt«, das Informationen zu »Akteurskonstellationen, Strukturbedingungen und Gewaltdynamiken inner- und substaatlicher Kriege nach 1990« bereitstellen soll. Ziel, so Chojnacki, sei die »präzise Erfassung von gewaltsamen Konflikthandlungen auf Ereignisbasis« und die Kartierung »lokaler, regionaler oder transnationaler Konfliktformationen«. Wie der Projektleiter weiter ausführt, sei es auf diese Weise möglich, einen »systematischen Einblick« in »Eskalations- und Deeskalationsdynamiken« zu gewinnen. Neben Angaben zu den »militärischen und finanziellen Möglichkeiten der involvierten Akteure« soll die Datenbank auch »Informationen zu militärischen Handlungen« enthalten und »Häufigkeiten und Charakteristika externer Steuerungsversuche (militärische Intervention)« berücksichtigen. Chojnacki zufolge schließt das Projekt mit dieser »innovativen Eigenleistung« nicht nur eine »zentrale Lücke in der nationalen und internationalen Konflikt- und Sicherheitsforschung«, sondern übernimmt zugleich sowohl eine »Dienstleistungs-« wie auch eine »Pilotfunktion« für ähnlich gelagerte Forschungsaktivitäten. Mit anderen Worten: Auf der Basis der Untersuchung der Modalitäten vergangener Bürger- und Interventionskriege sollen Informationen über zukünftige Interventionsgebiete umfassend gebündelt und ausgewertet werden.

Das Interesse der Berliner Forscher erstreckt sich vor allem auf die rohstoffreichen Länder des Südens, die als »Räume begrenzter Staatlichkeit« betrachtet werden. So befassen sich zwei diesen Monat in Berlin und Kapstadt stattfindende Konferenzen des SFB 700 mit der Frage, inwieweit private Großunternehmen der Rohstofförderung die »Sicherheit« (»security«) und damit die »Regierbarkeit« (»governance«) in den ressourcenreichen Gebieten Süd- und Zentralafrikas gewährleisten können. Dies sei notwendig, so heißt es, weil den dortigen Regierungen entweder die Fähigkeit oder der Wille fehle, die für eine erfolgreiche Geschäftstätigkeit notwendige Infrastruktur einschließlich eines funktionierenden Repressionsapparates bereitzustellen (»governments lack the capacity or the will to provide for public goods«). Explizit genannt werden Provinzen der Demokratischen Republik Kongo (Katanga) und Südafrikas (Witwatersrand), die über zahlreiche für die westlichen Industrienationen unverzichtbare Bodenschätze verfügen.

Alfried Krupp steht Pate

Der SFB 700 hat 2006 mit etwa 40 Mitarbeitern seine Arbeit aufgenommen und wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit insgesamt 6,5 Millionen Euro finanziert. Beteiligt sind neben der FU Berlin als »Sprecheruniversität« die Universität Potsdam, das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB), die regierungsnahe Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die Hertie School of Governance und das European University Institute Florenz. Ihren Sitz hat die Forschungseinrichtung im nach dem Rüstungsindustriellen Alfried Krupp von Bohlen und Halbach benannten Alfried-Krupp-Haus in Berlin, das den Wissenschaftlern von der gleichnamigen Stiftung zur Verfügung gestellt wurde. Krupp, seit 1931 förderndes Mitglied der SS, ab 1937 »Wehrwirtschaftsführer« und ab 1938 NSDAP-Mitglied, wurde am 31. Juli 1948 vom US-Militärtribunal in Nürnberg wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu zwölf Jahren Haft und zur Einziehung seines gesamten Vermögens verurteilt. Dem Alleininhaber des Krupp-Konzerns, des größten Rüstungsbetriebes des »Dritten Reichs«, war nachgewiesen worden, daß er nicht nur von der Ausbeutung von Zwangsarbeitern profitiert hatte, sondern auch an der Plünderung von Wirtschaftsgütern in den von Deutschland während des Zweiten Weltkriegs besetzten Gebieten beteiligt war. Dabei dürfte er sich nicht zuletzt auf die Erhebungen und Datensammlungen willfähriger Wissenschaftler gestützt haben. Bereits 1951 wurde Krupp aus der Haft entlassen, 1953 erhielt er sein gesamtes Vermögen zurück.

Die Grundlage der Arbeit des SFB 700 bildet die Einteilung der Länder der sogenannten Dritten Welt in drei Gruppen: »zerfallen(d)e Staaten« in »Krisenregionen«, bei denen nach Auffassung der Berliner Wissenschaftler weder das staatliche »Gewaltmonopol« noch die Fähigkeit des Staates »zur effektiven Durchsetzung politischer Entscheidungen« vorhanden sind (Afghanistan, Kolumbien, Kongo, Nigeria, Tadschikistan); »schwache Staaten«, die in beiden Bereichen, wie es heißt, »große Defizite aufweisen« (Argentinien, Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Indien, Indonesien, Mexiko, Pakistan) sowie »Schwellenländer«, bei denen dies für »Teilbereiche ihres Territoriums« gelte (Brasilien, China, Südafrika, Südkorea). Abgeglichen werden die diagnostizierten »Defizite« in historischer Perspektive mit den Problemen deutscher, britischer, französischer und japanischer »Kolonialregierungen« bei der Sicherung ihrer Herrschaft über die von ihnen okkupierten »Räume«.

So untersucht das Forscherteam unter Leitung von Ursula Lehmkuhl am Beispiel englischer und französischer Kolonialbesitzungen in Nordamerika, »das Zusammenspiel von hierarchisch konstruierten Herrschaftsverhältnissen und weichen Steuerungsformen«, wobei letztere als »Zustandekommen von Entscheidungen durch Verhandlungen« verstanden werden. Die von Sebastian Conrad geleitete Projektgruppe des SFB 700 will in Erfahrung bringen, inwieweit das von deutschen und japanischen Wissenschaftlern akkumulierte »geographische, ethnologische, linguistische und juristische Wissen über die kolonialen Gesellschaften« dazu beitrug, »politische Kontrolle und das Delegieren von Befugnissen und Zuständigkeiten möglichst effektiv zu gestalten«. Die von Mechthild Leutner geleitete Arbeitsgruppe zum Thema »Ernährung, Wasserversorgung und Bildung im semi-kolonialen China« der Jahre 1860 bis 1911 schließlich fragt nach den »Erfolgsfaktoren« und der »Nachhaltigkeit« von »informellen und institutionalisierten Kooperationen staatlicher und nicht-staatlicher chinesischer sowie westlicher Akteure« bei der Etablierung »moderne(r) Selbstverwaltungsorgane« und »zivilgesellschaftlicher Strukturen«.

Interventionsforschung

Der SFB 700 gliedert sich in mehrere Teilbereiche: In den Forschungsprojekten des Teilbereichs A (»Theoretische Grundlagen«) wird unter anderem der Frage nachgegangen, wie internationale Institutionen und Nichtregierungsorganisationen (Non-Governmental-Organizations – NGOs) eine »gute Regierungsführung« (»Good Governance«) »verdeckt steuern« können und inwieweit »externe Eingriffe und Aufbauhilfen« notwendig sind. Exemplarisch geschieht dies anhand von Fallstudien zu einem »Schwellenland, dessen Gebietsherrschaft in Teilen des Territoriums in Frage steht« (Mexiko/Chiapas), und einem »zerfallenden Staat« (Georgien). Die in diesem Zusammenhang entwickelten »Lösungsstrategien« sollen »für andere Auseinandersetzungen mit vergleichbaren Akteurskonstellationen fruchtbar gemacht werden«, wobei die »Umsetzungskontrolle« externer Vorgaben eine zentrale Rolle spielt. Daß damit die Souveränität der genannten Staaten gewissen »Einschränkungen« unterworfen werde, sei insofern »legitim«, als diese »durch Vorteile in der Ergebnisdimen­sion aufgewogen« würden, heißt es.

Mit der »Durchsetzung« externer »Vorgaben zu Gutem Regieren« befaßt sich auch Teilbereich B (»Herrschaft«); hier geschieht dies am Beispiel der von der Europäischen Union geforderten »Korruptionsbekämpfung« in Belarus, Georgien, Armenien und Aserbaidschan. Um ihre Ziele zu erreichen, könne die EU sowohl auf »Überzeugungs- und Lernprozesse« als auch auf »positive und negative finanzielle Anreize« sowie die »Kooperation mit nicht-staatlichen Akteuren« zurückgreifen, schreibt Projektleiterin Tanja Anita Börzel. Ein Schuft, wer dabei gleich an die vom Westen via NGOs gesteuerten und finanzierten »farbigen Revolutionen« in ehemaligen Sowjetrepubliken denkt.

»Empirie aus erster Hand«

Unter Leitung von Christoph Zürcher und Ulrich Schneckener, die bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) als Regierungsberater tätig sind, analysieren die Forscher des Teilbereichs C (»Sicherheit«) ob »externe Stabilisierungsstrategien« zur »Herstellung von Sicherheit« in Afghanistan beigetragen haben. Die Legitimität des der afghanischen Gesellschaft oktroyierten Besatzungsregimes steht dabei gar nicht erst zur Debatte: »In den vergangenen fünfzehn Jahren intervenierte die internationale Gemeinschaft zunehmend in innerstaatliche Konflikte beziehungsweise in Nachkriegsgesellschaften. Diese Interventionen variieren beträchtlich bezüglich Mandat und eingesetzter Ressourcen und reichen von Maßnahmen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit im Umfeld von Krisen und Konflikten bis hin zur Etablierung eines militärischen Gewaltmonopols und einer Interimsverwaltung. In ihrer Intention zielen diese Interventionen darauf ab, Staatsfunktionen zu stärken oder wiederherzustellen. In der Praxis tun sie dies, indem sie die Bereitstellung funktionaler Äquivalente von Staatlichkeit (…) zu fördern versuchen.« Deutlicher wurde nur Georg Boom­gaarden in seiner Rede anläßlich der Eröffnung des SFB 700: Unverblümt erklärte der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, daß die hier untersuchten »Länder des Südens« im Falle der Mißachtung »humanitäre(r) Grundregeln« selbstverständlich mit der »gewaltsame(n) Intervention der Staatengemeinschaft (…) rechnen« müßten.

Bei ihren Untersuchungen legen Zürcher und Schneckener nach eigener Aussage »größten Wert auf Empirie aus erster Hand«: »(D)ie qualitativen Fallstudien basieren auf längeren Feldforschungsaufenthalten, welche es uns ermöglichen, die Realitäten vor Ort zu erfassen.« In Afghanistan habe man beispielsweise gemeinsam mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) eine breit angelegte Befragung der Bevölkerung über die Infrastrukturprogramme der Besatzungstruppen durchgeführt. Die Kooperation unter dem Schutz der Bundeswehr sei für beide Seiten fruchtbar, sagte Zürcher im Februar 2007 zu Beginn des Projekts: »Dank der Unterstützung des BMZ können wir trotz schwieriger Bedingungen unsere Feldforschung durchführen und erhalten Zugang zu wichtigen Daten. Auf der anderen Seite ist das BMZ an unseren Ergebnissen interessiert.«
Zum Beispiel Kongo
»Feldforschung« findet auch in der rohstoffreichen Provinz Nord-Kivu der Demokratischen Republik Kongo statt; in diesem Fall soll unter Leitung von Sven Chojnacki untersucht werden, inwieweit die »Bereitstellung von Sicherheit durch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen« übernommen werden kann. Auch bei der Klärung dieser Frage dürfte die Zusammenarbeit mit deutschen Regierungsstellen weiterhelfen: In Nord-Kivu liegt die Mine Lueshe, in der das seltene und für die Rüstungsproduktion unverzichtbare Mineral Pyrochlor gefördert wird. Als Eigentümer der Mine firmiert das Unternehmen Somikivu, das nach Recherchen des Internet-Dienstes german-foreign-policy.com in dem begründeten Verdacht steht, die ostkongolesische Bürgerkriegsmiliz von Laurent Nkunda zu finanzieren, der schwere Kriegsverbrechen wie Massaker an Zivilisten und die Rekrutierung von Kindersoldaten zur Last gelegt werden. Somikivu wiederum befindet sich zu 70 Prozent im Besitz der Nürnberger Gesellschaft für Elektrometallurgie (GfE), die ihrerseits zu 100 Prozent dem US-Konzern Metalurg gehört. Zwar hat sich die GfE bereits Anfang der 1990er Jahre aus dem Bürgerkriegsgebiet zurückgezogen, hält aber weiterhin ihre Anteile an der Mine. Dies geschehe, wie das Unternehmen unlängst erklärte, »lediglich im Interesse der Bundesrepublik Deutschland«: »Alle Kontakte laufen über Behörden der Bundesrepublik Deutschland und die Kreditanstalt für Wiederaufbau.«

Wer der Ansicht ist, Bürgerkriegsmilizen könnten der »Bereitstellung von Sicherheit« dienen, hat selbstverständlich auch kein Problem damit, transnational agierende Konzerne der Privatwirtschaft mit der Bereitstellung öffentlicher Güter wie der Wasser- oder Gesundheitsversorgung in den Ländern der sogenannten Dritten Welt zu beauftragen. Die Argumentation der SFB-Mitarbeiter des Projektbereichs D (»Wohlfahrt und Umwelt«) zeichnet sich in diesem Zusammenhang durch eine bemerkenswerte Mischung aus Naivität und Zynismus aus. So ist den Forschern durchaus bewußt, wie ein Teilnehmer der Eröffnungskonferenz ausführte, daß beispielsweise im Jahr 2000 der Versuch der seinerzeitigen Regierung Boliviens, »privaten Wasserunternehmen die vorher staatliche Aufgabe der Grundversorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser (…) zu übertragen«, in der Stadt Cochabamba dazu führte, »daß ärmere Bevölkerungsschichten den Zugang zu Trinkwasserressourcen vollständig verloren, da sie entweder die Gebühren nicht bezahlen konnten oder von jeglichem Leitungsnetz abgekoppelt blieben, weil sich für das Wasserunternehmen das Piping, die Bereitstellung eines solchen Zugangs, nicht rechnete«. Gleichzeitig hält das Forscher­team um Thomas Risse, das sich mit den »Erfolgsbedingungen transnationaler Public Private Partnerships in den Bereichen Umwelt, Gesundheit und Soziales« beschäftigt, nach wie vor daran fest, daß die »Einbeziehung privater Akteure vielfach (…) entscheidend für die Problemlösungsfähigkeit« bei der »Herstellung von Gemeinschaftsgütern« in »schwachen Staaten« ist.

Zur entscheidenden Größe wird deshalb laut Risse die Selbstverpflichtung von Privatfirmen auf sozial verantwortliches Handeln (»Corpo­rate Social Responsibility/CSR«): Wie er in einer Publikation des SFB 700 ausführt, geht es ihm »(n)icht darum, daß Unternehmen aufhören, gewinnorientierte wirtschaftliche Akteure zu sein«, sondern darum, diese »an ihre externe Verantwortlichkeit zu erinnern und sie über diesen Prozeß zu legitimen Governance-Akteuren zu machen«. Apodiktisch behauptet er: »Inzwischen gibt es fast kein Großunternehmen in der Weltwirtschaft mehr, das sich nicht verpflichtet hätte, zur Umsetzung internationaler Normen und zur Bereitstellung öffentlicher Güter in Räumen begrenzter Staatlichkeit beizutragen.« Es lasse sich, so Risse weiter, »ohne Übertreibung sagen, daß es sich viele Großunternehmen – und zwar bis hinein in die Zulieferbetriebe – nicht mehr leisten können, CSR-Normen zu ignorieren«, denn die Einhaltung dieser Normen werde nicht zuletzt international durch »Marktmechanismen« wie die Aufnahme der entsprechenden Firmenwerte in »ökologisch- und sozialverträgliche Investitionsfonds« überwacht. Daß sich Selbstverpflichtungen dieser Art bei näherer Betrachtung in der überwiegenden Zahl der Fälle als reine Public-Relations-Maßnahmen zur Aufbesserung des Firmenimages angesichts öffentlicher Kritik entpuppt haben, ist dem Wissenschaftler offensichtlich nolens volens entgangen.

Das »Krisenspiel«

Die in insgesamt neunzehn Teilprojekten am SFB 700 im Dienste transnationaler Konzerne, des Militärs und deutscher Regierungsstellen betriebene Forschung wird gezielt mit der Förderung des akademischen Nachwuchses verbunden: Die Einrichtung beschäftigt mehrere Juniorprofessoren sowie zahlreiche wissenschaftliche Mitarbeiter und studentische Hilfskräfte; mehr als 30 Doktorarbeiten werden hier betreut. Einen besonders guten Ruf auf diesem Gebiet genießt offenbar Sven Chojnacki, von dem bereits mehrfach die Rede war. Er firmiert als »Schirmherr« des »Mentor/inn/en-Programms« am Otto-Suhr-Institut, wurde von den Studenten für seine »herausragende Lehre« ausgezeichnet und spielt mit diesen regelmäßig das sogenannte Krisenspiel.

Dabei handelt es sich um die Simulation einer internationalen Krise, die einmal jährlich in einem »abgeschiedene(n) Tagungshaus« inszeniert wird; die Finanzierung übernehmen von der studentischen Planungsgruppe nicht näher genannte »Sponsoren«. Im Verlauf des Spiels schlüpfen die Teilnehmer in die Rolle der für die »Zuspitzung« der Krise »relevanten Akteure« und versuchen, ihre jeweiligen Ziele »durch geschicktes politisches Handeln« zu erreichen, wobei sie die Wahl zwischen dem Einsatz »offene(r)« und »geheime(r)« Maßnahmen und Instrumente haben. Über den Verlauf der Ereignisse berichtet regelmäßig eine eigens zu diesem Zweck eingerichtete »Mediengruppe«, deren Mitglieder durch »Manipulation, Hervorheben beziehungsweise Vernachlässigen bestimmter Sachverhalte« den Spielverlauf beeinflussen können. Die Vorbereitung der Teilnehmer und deren »Einführung in den Konflikt« übernehmen »Experten«, die unter anderem vom Auswärtigen Amt und der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) gestellt werden. Fast alle Kriegs- und Bürgerkriegsgebiete dieser Welt waren schon – teilweise sogar mehrfach – Gegenstand des Spiels: Somalia in den Jahren 2002 und 2007, der Sudan 1996 und 2005, der Nahe Osten 1999 und 2001; aktuell beschäftigt man sich mit dem Libanon, vor dessen Küste deutsche Kriegsschiffe kreuzen.

Der »Krisenherd Kaukasus«, der, wie die studentische Vorbereitungsgruppe formuliert, im »Fokus geopolitischer Strategien« steht, war zuletzt 2003 Thema des Spiels; der Region komme neben dem Persischen Golf »eine nicht zu unterschätzende Bedeutung« bei der »Diversifizierung der Energieversorgung« Deutschlands zu – gemeint ist der »Bau von Pipelines« unter Umgehung russischen Territoriums, der als »brisante politische und strategische Herausforderung« begriffen wird. Zu berücksichtigen sei dabei, so heißt es weiter, daß die Staaten des Kaukasus einerseits von einer »Vielzahl ethno-territorialer Konflikte«, »schwache(n) demokratische(n) Institutionen«, »Korruption« und den »Auseinandersetzungen« zwischen »neue(n) und alten Eliten« geprägt seien, während andererseits das »sich manifestierende Interesse« der USA und Europas an der Region das hier existierende »machtpolitische Gefüge (…) nachhaltig verändern« könne. Da sage noch einer, die Produktion und Reproduktion von Herrschaftswissen mache keinen Spaß – selbst wenn die Aneignung der hierfür erforderlichen Sprachcodes für manchen harte Arbeit sein dürfte.

Peer Heinelt ist Politologe und lebt als freier Autor in Frankfurt/Main

Source: http://www.jungewelt.de