[heise.de] Forscher warnten auf einer Konferenz über die gesellschaftlichen Dimensionen der Sicherheitsforschung am Mittwoch in Berlin vor einer Überschätzung des Potenzials von Sicherheitstechnik zur Abwehr von Straftaten oder zur Reaktion auf Krisensituationen. Die Befürworter eines verstärkten Einsatzes von Überwachungs- und Kontrolltechniken würden zwar große Hoffnungen wie den besseren Schutz öffentlicher Güter und eine effektivere Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden damit verknüpfen, erläuterte Detlef Nogala vom European Police College CEPOL. Dem stünden aber nicht nur Bedenken entgegen, dass mit dem derzeitigen Technisierungsschub bei der Polizei ein Verlust bürgerlicher Freiheiten verloren gehe. Vielmehr trage die Entwicklung "das Risiko der Symbolpolitik" in sich, durch die nur eine angebliche Verbesserung der Sicherheit erreicht werde.
Nogala räumte ein, dass es in der Bevölkerung ein wachsendes Misstrauen gegenüber dem Einsatz von Sicherheitstechnik von Amts wegen gebe. Immer wieder gebe es Berichte über "absurde Auswüchse" des Missbrauchs von Überwachungsbefugnissen jenseits jeglicher Verhältnismäßigkeit. Tatsächlich seien die Menschen durch die neue "Techno-Logik" "noch nie so transparent und so kontrollierbar" gewesen wie heute. "Das ist eine neue conditio humana, die wir kulturell noch nicht begriffen und verarbeitet haben."
Generell plädierte der Wissenschaftler für eine "effektiv aufgeklärte Polizei" im Zeitalter verstärkter Präventionsbemühungen mithilfe von Technik. Schließlich würden nicht alle abgesetzten Sicherheitsprodukte auch effektiv eingesetzt, und nicht alle eingesetzte Technik führe zu einem Sicherheitsgewinn. Oft könne man vielmehr den Eindruck gewinnen, dass sich allein die Industrie mit der Vermarktung immer neuer Sicherheitstechniken auf die Suche nach der Lösung eines finanziellen Problems gemacht habe. Es gelte nun, automatische Kontrollverfahren wie die Videoüberwachung von ihrem Mythos zu befreien, intelligent und zielgerichtet einzusetzen sowie auf ihre sozialen Wirkungen hin zu untersuchen.
Auch Stefan Strohschneider, Psychologe an der Universität Jena, bezeichnete die Sicherheitstechnik als zweischneidiges Schwert. Er verwies auf die Folgen des Verlustes menschlichen Kompetenzempfindens durch die Automatisierung im Sicherheitsbereich. Die Nutzer seien so darauf angewiesen, sich etwa über regelwidrige soziale Kontakte wie das Versenden von SMS im Einsatz andere Quellen für Bestätigung zu suchen. Ansonsten drohe bei der Vernachlässigung dieses "Human Factor" die Flucht in Tagträume und Phantasien etwa vor den Bildschirmen von Überwachungskameras. Zudem drohe allen, die immer nur auf bestimmte Warnhinweise der Technik reagieren müssten, eine Verkümmerung ihrer Diskursfähigkeit. Damit könne das nötige Vertrauen für das Finden flexibler Antworten auf Krisen, das im besten Fall auf Kommunikation von Angesicht zu Angesicht beruhe, nicht aufgebaut werden. Technische Sicherheitslösungen und Organisationsplattformen würden so nicht nur neue Sicherheitsrisiken schaffen, sondern auch eine Barriere für mehr Sicherheit bilden.
Was die Aufrechterhaltung von Sicherheit in der Risikogesellschaft kostet, lässt sich laut Reinhard Kreissl vom Wiener Institut für Rechts und Kriminalsoziologie kaum beantworten. Deutlich sei der Trend zur Privatisierung von Sicherheits- und Kontrollfunktionen etwa mit dem Anwerben von Söldnern für die Ruhigstellung des Iraks oder den Betrieb ganzer Gefängniskomplexe durch Unternehmen als andere Form der Hotelunterbringung mit Dauerbelegung. Im letzteren Fall lägen die zu zahlenden Tagessätze deutlich niedriger als in staatlichen Haftanstalten. So werde es billiger, einen Kriminellen mit Knast zu bestrafen. Dies führe wiederum zu einer "Ausdehnung der Repression". Insgesamt habe die Sicherheitsindustrie ein "profitables Marktfeld" entdeckt und es komme zu immer engeren Partnerschaften und Grenzverwischungen zwischen staatlichen und wirtschaftlichen Akteuren im Überwachungskomplex. Polizei und Feuerwehr liefern nach Kreissl so nur noch eine "Grundversorgung". Sicherheit verliere ihren öffentlichen Charakter und werde zum "Club-Gut", das sich die Reichen am einfachsten leisten könnten.
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