Überwachung total: Software meldet Verbrechen, bevor sie passieren

Big Brother in Großbritannien

Im südenglischen Portsmouth wird ein neues Kamera-Überwachungssystem getestet. Herzstück der Anlage ist "Perceptrak": Die Software schlägt Alarm, sobald sich ein Verbrechen anbahnt.
 
[heute.de] Im Science-Fiction-Thriller "Minority Report", der im Jahr 2054 spielt, sind Kapitalverbrechen wie Mord kein Thema mehr. Denn eine spezielle Polizei-Einheit namens "Pre-Crime" erkennt mit Hilfe von drei hellseherisch begabten Personen alle Gewalttaten, noch bevor sie stattfinden und setzt die potenziellen Missetäter rechtzeitig außer Gefecht.
 
Intelligente Kameras bereits im Einsatz

Nur in drei Punkten haben sich die Macher des Hollywood-Streifens geirrt: Solche Systeme gibt es erstens schon heute und nicht erst in 46 Jahren. Zweitens: Die Aufgabe der "Hellseher" im Film übernimmt in der wirklichen Welt ein intelligentes Stück Software. Und drittens schließlich – die Geschichte spielt nicht in Washington D.C., sondern im südenglischen Portsmouth.
 
In der knapp 200.000 Einwohner zählenden Hafenstadt in der Grafschaft Hampshire wird seit kurzem nämlich ein neues Video-Überwachungssystem getestet. Das Besondere daran: Statt herkömmlicher Überwachungmethoden, die entsprechend viel geschultes Personal benötigen, kommt ein Programm namens "Perceptrak" zum Einsatz, das die laufenden Bilder auf verdächtiges Verhalten hin analysiert und bei Bedarf Alarm schlägt.
 
Software als moderner Nachtwächter

Der für Sicherheitsfragen zuständige Stadtrat, Jason Fazackarley, ist vom Perceptrak-Projekt geradezu begeistert: "Es ist das Gegenstück zum Nachtwächter im 21. Jahrhundert, aber im Gegensatz zu einem Nachtwächter blinzelt es nicht, legt keine Pause ein und langweilt sich nie."
 
Was Fazackarley so ins Schwärmen bringt, das sind die ungewöhnlichen Fähigkeiten von Perceptrak, die bisherige Überwachungssysteme alt aussehen lassen. Denn die von der amerikanischen Firma Cernium entwickelte Software kann mehr als nur Bewegungen in Videobildern erfassen. Dank komplexer mathematischer Algorithmen erkennt das Programm in Echtzeit, wenn eine Person, ein Fahrzeug oder eine bestimmte Situation verdächtig erscheinen.
 
In 18 Fällen schlägt Programm Alarm

Insgesamt kennt "Perceptrak" 18 verdächtige Ereignisse. Dazu gehören beispielsweise herumlungernde Personen, die sich auffällig lange an einer Stelle aufhalten. Oder Individuen, die sich schneller als gewohnt bewegen. Daneben erfasst das System auch Menschenansammlungen, die sich gerade bilden oder auflösen sowie zu schnell beziehungsweise zu langsam fahrende Autos. Im "Museums"-Modus wiederum bekommt Perceptrak mit, falls sich ein Objekt nicht mehr an seinem Platz befindet, während der "Bahnhofs"-Modus auf herrenlose Gegenstände wie Koffer achtet.
 
Ein Mensch kann nur ein paar solcher Ereignisse gleichzeitig erfassen. "Perceptrak" dagegen ist in der Lage, Dutzende davon auf einmal zu verfolgen. Im Ernstfall schlägt es Alarm und informiert den zuständigen Sicherheitsbeamten, der sich die betreffende Aufnahme dann genauer auf dem Monitor ansieht und bei Bedarf eine Polizeistreife an den Ort des Geschehens schicken kann.
 
Überwachung der Bürger wird leichter

Für das englische Unternehmen Smart CCTV, das den Testlauf in Portsmouth betreut, ist "Perceptrak" deshalb die ideale Lösung, um kritische Gegenden wie verlassene Parkhäuser und -plätze oder auch dunkle Treppen in großen Gebäuden sicherer zu machen. Dennoch ist man sich dort der Grenzen des Systems bewusst, wie der geschäftsführende Direktor des Unternehmens, Nick Hewitson, bestätigt: "Was es [Perceptrak] nicht kann, ist zu sagen, ob ein Typ gerade auf seine Freundin wartet oder kurz davor ist, ein Verbrechen zu begehen. Das ist eine subjektive menschliche Entscheidung, die nur der Sicherheitsbeamte treffen kann."
 
Trotz solcher Beschwichtigungen: Im Vereinigten Königreich mehren sich die Stimmen, die die neue Technik ablehnen. Zu den entschiedensten Gegnern zählt die Bürgerrechtsorganisation "Liberty". Die seit 1934 existierende Vereinigung befürchtet, dass "Perceptrak" letzten Endes dazu dient, das Recht des Einzelnen auf Privatsphäre noch weiter einzuschränken, wie ein Sprecher meint: "Diese Technologie macht es dem Staat nur noch einfacher, jeden einzelnen Schritt der Menschen zu beobachten."
 

Teures Equipment aus Hollywood-Filmen, so fügt er mit Blick auf den Film "Minority Report" hinzu, könne zudem niemals so wirkungsvoll sein wie eine Polizeistreife, die auf den Straßen den Kampf gegen das Verbrechen führt. 

Infobox
Überwachungs-Weltmeister Großbritannien

In keinem anderen Land der Welt gibt es so viele Überwachungskameras
wie in Großbritannien. Nach Aussage der britischen
Bürgerrechtsorganisation "Liberty" sind auf der Insel vier Millionen
Kameras im Einsatz. Statistisch betrachtet kommt so auf vierzehn Bürger
jeweils eine Kamera. In der Hauptstadt London ist die
Wahrscheinlichkeit hoch, bis zu 300 Mal am Tag erfasst zu werden.

Laut "Liberty" gab das britische Innenministerium in den letzten zehn
Jahren knapp 78 Prozent seines Budgets für Verbrechensbekämpfung nur
für die Videoüberwachung (englisch "Closed Circuit Television", kurz
CCTV) aus.

Viele Briten begrüßen übrigens die Maßnahmen. Das hat unter anderem mit
einem Verbrechen aus dem Jahr 1993 zu tun: Damals wurde der drei Jahre
alte James ("Jamie") Bulger von zwei zehnjährigen Jungen aus einem
Einkaufzentrum entführt, grausam gefoltert und getötet. Der Fall
erregte weltweites Aufsehen, nur mit Hilfe von Überwachungsvideos
konnten die minderjährigen Mörder Jon Venables und Robert Thompson
schließlich identifiziert und verurteilt werden.

von Georg H. Przikling

Source: http://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/22/0,3672,7490902,00.html