Technik gegen den Terror

[zeit.de] Die Bundesregierung fördert erstmals zivile Forschung zum Schutz vor
Anschlägen und Katastrophen – ein höchst umstrittenes Projekt. Kameras und Sensoren sollen vor Attacken auf öffentliche Verkehrssysteme warnen

Das Geheimnis verbirgt sich unter der Erdoberfläche. Andreas Pflitsch stoppt mitten auf der Treppe in den Schacht. Ein paar Stufen sind es noch bis zur U-Bahn. Menschen eilen vorbei, ärgern sich über den Mann, der da im Weg steht. Pflitsch bemerkt von all dem nichts, seine Sinne sind auf Subtileres gerichtet. »Spüren Sie den Luftzug?«, fragt der Klimatologe. »Hier messen wir die Strömung.«
An insgesamt 30 Stellen der Station hat der Forscher aus Bochum unauffällige »Ultraschall-Anemometer« angebracht. Die Sensoren zeichnen die »Hintergrundströmung« auf, einen schwachen Luftzug, der immer da ist – auch nachts, wenn keine Züge fahren. Er ist kaum spürbar. Und doch sollte man ihn kennen. Für den Notfall. Wenn nach einem Terroranschlag giftige Gaswolken die Haltestellen durchdringen oder beißender Rauch die Luft nimmt, kann die Kenntnis der Luftströmung Leben retten.
Vor den Anschlägen vom 11. September 2001 vermaß der Höhlenklimatologe Pflitsch die New Yorker U-Bahn – und wurde damals noch für seine Tunnelforschung belächelt. Heute ist der Experte gefragt. Derzeit untersucht er drei deutsche U-Bahnhöfe, die er durch neue Rettungssysteme sicherer machen soll. Orgamir heißt sein Forschungsprojekt. In welcher Großstadt er arbeitet, darf er nicht verraten. Die Verkehrsgesellschaft, mit der er kooperiert, möchte nicht im Zusammenhang mit dem Wort »Terror« erwähnt werden. »Die haben Angst, dass das Fahrgäste abschreckt.«
Orgamir gehört zu den ersten Projekten, die das Bundesforschungsministerium (BMBF) im Programm zur zivilen Sicherheitsforschung fördert. Bis 2010 werden 123 Millionen Euro zur Entwicklung »intelligenter Sicherheitslösungen« gegen Terroranschläge, Organisierte Kriminalität und Naturkatastrophen zur Verfügung gestellt. In den Förderszenarien, mit denen das Ministerium beschreibt, wo Gefahren drohen könnten, dominieren Terroranschläge: auf Großveranstaltungen wie dem Oktoberfest, bei Popkonzerten oder Fußballspielen. Als »kritische Infrastrukturen« gelten Flughäfen, Bahnhöfe, Strom- und Gasleitungen.
»Da muss die Regierung nicht noch Geld hinterherwerfen«
Zum Schutz soll Sicherheitstechnik entwickelt werden: Detektoren, die Mensch und Gepäck am Flughafen kontrollieren, automatische Zugangskontrollen mit integrierten biometrischen Systemen. Gegen Anschläge auf Lebensmittel- oder Wasserversorgung wünscht sich das BMBF Sensoren zur Detektion von Giftstoffen und RFID-Chips (Radio Frequency Identification), die Informationen über ihre Träger funken können.
Angesichts der neuen Bedrohungen für die moderne Gesellschaft »mobilisieren wir die Forschung«, sagt Annette Schavan. Das ist eine neue Richtung der Forschungspolitik – unter der ehemaligen rot-grünen Bundesregierung hätte es so ein Programm nicht gegeben. Schavans Amtsvorgängerin, Edelgard Bulmahn, zweifelt schlicht am Sinn des Ansatzes. »Technik gegen Terrorangriffe einzusetzen hat zum Beispiel bei Selbstmordattentätern nur eine begrenzte Wirkung. Deshalb sind politische Lösungen umso wichtiger«, sagt die SPD-Politikerin. Zu groß sei außerdem die Gefahr, dass Kenntnisse aus der zivilen Sicherheitsforschung zu militärischen Zwecken missbraucht würden.

Priska Hinz, forschungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen, plädiert im Kampf gegen den Terror für sozialwissenschaftliche Ursachen- und Friedensforschung. »Durch mehr Technologie bekämpft man bestenfalls die Symptome des Terrorismus«, sagt Hinz. Zudem hätten Unternehmen der Sicherheitsbranche längst erkannt, dass es sich lohne, in biometrische Erkennungssysteme oder Sprengstoffdetektoren zu investieren. Die Sicherheitstechnologie komme also von allein. »Da muss die Regierung nicht noch Geld hinterherwerfen.«

Die Kritik wird auch von Forschern geteilt, vor allem von Geistes- und Sozialwissenschaftlern. Mit seinem Technologieprogramm ziele das BMBF sicherlich auf einen lukrativen Milliardenmarkt, sagt Martin Kahl, Politikwissenschaftler am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg. Die gefühlte Bedrohung durch Terror im Al-Qaida-Stil, der mit hohem technischen und finanziellen Aufwand die Lebensadern der westlichen Welt treffen könne, sei groß. Und darum auch das Bedürfnis nach technischem Schutz. »Dass diese Bedrohungsszenarien populär, aber nicht unbedingt real sind, spielt aus ökonomischem Blickwinkel keine Rolle«, sagt Kahl.
Einreisekontrollen helfen nicht gegen Täter, die bereits im Land leben
Was Schavan in ihrem neuen Programm fördere, helfe kaum gegen den Terror von heute. Die jüngeren Anschläge in der westlichen Welt, etwa in London oder Madrid, seien nicht von strategisch im Netzwerk agierenden Attentätern ausgeführt worden, die viel reisten und untereinander kommunizierten, sagt Martin Kahl, sondern durch »Amateurterroristen«, radikalisierte Jugendliche, die ihre Anschläge mit wenig technischem Know-how vorbereiteten und isoliert agierten. Im Zweifelsfall schlüpften sie durch alle technologischen Sicherheitsnetze.
Sie durch biometrische Hightecherfassung bei der Einreise aufhalten zu wollen sei witzlos, sagt Kahl. Schließlich lebten die Täter schon in der zweiten oder dritten Einwanderergeneration im Land – oder seien gar Deutsche. »Terrorismus ist ein so komplexes Problem, dass keine Technik dagegen wirklich hilft«, sagt der Hamburger Friedensforscher. Selbst wenn Detektoren einst jeden Sprengstoff erschnüffeln können sollten, sei es für Attentäter immer noch ein Leichtes, die Waffe zu wechseln. Auch nütze es wenig, bestimmte Orte hochtechnologisch zu sichern. Die Terroristen könnten einfach eine ungeschützte Alternative wählen. Einen Anschlag auf offener Straße etwa oder eine Attacke auf ein Schwellenland wie vergangene Woche das Terrordrama in Indien.
»Man kann nicht alles schützen«, sagt Kahl. Sinnvoller als das technologielastige Sicherheitsforschungsprogramm sei es darum, die Erforschung von Präventionsmaßnahmen voranzubringen: Wie lassen sich potenzielle jugendliche Täter entradikalisieren, indem sie integriert und beschäftigt werden? Wie lässt sich Diskriminierung in der Gesellschaft verhindern? Doch die dadurch ausbleibenden Anschläge, sagt der Friedensforscher, seien als Erfolg schwer nachweisbar.
Nicht alle Geisteswissenschaftler haben so fundamentale Zweifel am Sinn des Programms wie Kahl. Doch viele treibt die Frage um, ob die geförderte Forschung ethisch vertretbar ist. Zum Beispiel dort, wo es um die sogenannten Nacktscanner geht. Sie durchdringen Kleidung bis auf die Haut und machen sichtbar, was darunter verborgen ist – ohne dass der Bestrahlte etwas davon merkt. Fünf Projekte dieser Art fördert das BMBF allein im Bereich der Gefahrstoffdetektion.
Regina Ammicht Quinn vom Tübinger Zentrum für Ethik in den Wissenschaften leitet im BMBF-Programm ein Projekt zu dessen ethischen Aspekten. »Wir haben kein Vetorecht«, sagt sie. »Unsere Aufgabe ist die kritische Begleitung der Forschung, und unsere Mittel sind die der Argumentation.« Sie tut, was sie kann: ethische Empfehlungen an natur- und ingenieurwissenschaftliche Forscher geben und Handreichungen drucken, die die brennendsten ethischen Fragen aufwerfen.
Dass ihr Projekt überhaupt ins Programm aufgenommen wurde, bezeichnet Ammicht Quinn schon als Erfolg. In der ausländischen Sicherheitsforschung sei so etwas nicht üblich. Auch bescheinigt sie dem Berliner Forschungsministerium größte Offenheit für ethische Aspekte. Nach Ansicht der Grünen Priska Hinz hätte eine Debatte über die ethischen Folgen der Technologie im Sicherheitsforschungsprogramm allerdings bereits geführt werden sollen, bevor es überhaupt gestartet wurde. Und zwar von der ganzen Gesellschaft: Will sie die Konsequenzen der Technik tragen, die mit ihren Steuermitteln entwickelt wird?
Freilich gilt nicht jedes der geförderten Projekte als ethisch bedenklich, und das BMBF-Programm findet nicht nur Kritiker, sondern auch Freunde. So ist man bei den Feuerwehren hellauf begeistert von der Förderung des Themenfeldes »Integrierte Schutzsysteme für Sicherheits- und Rettungskräfte«. Endlich, schwärmt Hartmut Ziebs, Vizepräsident des deutschen Feuerwehrverbandes, werde die Ausstattung der Feuerwehr weiterentwickelt und modernisiert. Darauf warte er seit 30 Jahren.Dass es nun vorangehe, sagt Ziebs, sei der Tatsache zu verdanken, dass die entsprechenden Forschungsverbünde fast ausschließlich von Unternehmen geleitet würden.
Diese hätten ein reges Interesse daran, Schutzkleidung und Aufklärungstechnologie für Katastrophenfälle zu verbessern. Nicht primär für Naturkatastrophen, Brände oder Unfälle, wie im Sicherheitsforschungsprogramm vorgesehen, sondern für den großen militärischen Markt.
Denn vieles, was für die persönliche Schutzausrüstung eines Feuerwehrmannes entwickelt werde – neueste digitale Funktechnik, Sensoren und Informationstechnik im Anzug –, werde auch für die Ausstattung moderner Infanteristen benötigt. Lokalisierungs- und Kommunikationssysteme können ebenso gut Katastrophenopfer aufspüren helfen wie Feinde. Und die ferngelenkte Drohne mit dem BMBF-Förderkennzeichen 13N9834 kann nicht nur Lageaufklärung am Brandort leisten, sondern auch feindliches Gebiet ausspähen.
Die Partner aus der Wirtschaft würden das Wissen am liebsten geheim halten
Im Forschungsministerium betont man, zivile und militärische Forschung streng auseinanderhalten zu wollen. »Diese beiden Bereiche waren und bleiben in Deutschland getrennt«, sagt Ministerin Annette Schavan. Für den Feuerwehrmann Hartmut Ziebs ist es aber keine Frage, dass beides vermischt werde. »Das Militär wird diese Technologie letztlich kaufen und einen großen Markt schaffen«, sagt Ziebs. Erst dadurch würden die Produkte in ausreichend großen Mengen produziert und so preiswert, dass Feuerwehren und andere zivile Katastrophenschützer sie sich leisten könnten.
Doch wo Unternehmen aus der militärischen Sicherheitsforschung mit der zivilen Wissenschaft kooperieren, treffen zwei Denkweisen aufeinander. Während es für die Forscher normal ist, ihre Ergebnisse zu veröffentlichen und auf diese Weise den Wettbewerb anzutreiben, würden die Partner aus der Wirtschaft das neue Wissen lieber geheim halten.
Tatsächlich heißt es im BMBF, dass Forschungsergebnisse möglicherweise nicht veröffentlicht würden, wenn sie Schwachstellen in bestehenden Sicherheitssystemen berührten. Man wolle Terroristen ja nicht mit der Nase auf empfindliche Anschlagsziele stoßen. Feste Regeln, wie mit solchem Forschungswissen verfahren wird, gibt es aber nicht. Das Ministerium signalisiert: Letztlich sei alles offen und transparent. Schließlich würden ja alle Projekte öffentlich ausgeschrieben. Eine Pflicht zur Verschwiegenheit gebe es nicht.
In den Forschungsverbünden des Programms klingt das ganz anders. »Wir haben eine Geheimhaltungsvereinbarung«, sagt Fereshte Sedehizade. Die Mitarbeiterin der Berliner Wasserwerke ist Sprecherin des im Dezember 2007 angelaufenen BMBF-Projekts Aquabiotox. Dessen Forscher entwickeln ein Sensorsystem, das schnell entdecken soll, ob Trinkwasser vergiftet oder verunreinigt ist. Wie das geht? Kleinstlebewesen, die sensibel auf Fremdstoffe im Wasser reagieren, werden von einer Kamera mit automatischer Bildauswertung überwacht. Fereshte Sedehizade bedauert, dass sie Näheres nicht sagen dürfe, nicht einmal, um welche Art von Organismen es sich handele. Schweigen auch am beteiligten Fraunhofer-Institut für Umwelttechnologie und Bioverfahrenstechnik in Stuttgart: Das Projekt unterliege »größter Geheimhaltung«.
Es geht um einen Markt von jährlich zehn Milliarden Euro
Wer zu recherchieren versucht, welches die wahren Inhalte der Sicherheitsforschungsprojekte sind, stößt auf Schweigen, wird abgewimmelt oder hingehalten. Mit den Wissenschaftlern selbst zu sprechen ist oft gar nicht möglich. Viele Forschungsverbünde werden von Unternehmen geleitet. Und die blockieren. Auf Anfrage sagt etwa der Rüstungskonzern EADS, dass man zwar an einem BMBF-Projekt beteiligt sei, dazu aber keine Auskunft geben könne.
Beim Unternehmen Rohde Schwarz, das an der Entwicklung eines Terahertz-Detektors mitarbeitet, gibt man vor, es gäbe derzeit noch nichts zu berichten. Zu einem Pressetermin über das Terahertz-Projekt TEKZAS in Frankfurt reisen zwar sechs Gesprächspartner an. Aber in der Runde mag keiner etwas über Einzelheiten des Projektes erzählen – weder die Firmenvertreter noch die Wissenschaftler von den Universitäten in Frankfurt und Kaiserslautern. Später, unter vier Augen, gesteht einer der Teilnehmer, wie unangenehm er den Druck zur Geheimhaltung empfände. Die Forderung des BMBF nach Transparenz wird so zur Farce.
Der Erfolgsdruck aber ist offenbar hoch. Dass das Forschungsministerium sich der Sicherheitsforschung widmet, liegt nicht nur an der Angst vor Terror. Sondern auch an der Befürchtung, von der globalen Konkurrenz bald abgehängt zu werden. Andere Länder waren viel schneller. Vor allem die USA, wo nach dem 11. September 2001 die Regierungsausgaben für die Entwicklung neuer Sicherheitstechniken sprunghaft anstiegen. Über vier Milliarden Dollar fließen jährlich in diese Forschung.
In Deutschland habe der Markt für Sicherheitstechnik und Dienstleistungen ein Volumen von zehn Milliarden Euro, bei Wachstumsraten von bis zu acht Prozent jährlich, sagt Thomas Rachel, zuständiger Staatssekretär im BMBF. Ein Narr, wer da nicht investiere: »Eine Gesellschaft, die die zivile Sicherheitstechnik nicht abdeckt, vergibt große Chancen auf Zukunftsmärkte. Daher wird das Programm auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie stärken.« Das passt zur Strategie der Bundesregierung: Unterstützt wird, was Mehrwert schafft.
In Berlin wünscht man sich, dass auch in Deutschland die zivile Sicherheitsforschung wächst und gedeiht. Eine Verlängerung des Programms über das Jahr 2010 hinaus ist bereits angedacht. Zumindest ein Teil der Wissenschaftslandschaft dürfte damit auf Dauer verschlossener werden.
In den kommenden Tagen gibt es auf ZEIT ONLINE weitere Hintergründe und multimediale Informationen zur Sicherheitsforschung. Alle Beiträge finden Sie gesammelt auf unserem Schwerpunkt zum Thema. Die Stücke wurden gefördert durch den »Peter Hans Hofschneider Recherchepreis für Wissenschafts- und Medizinjournalismus«

Von Nicola Kuhrt und Björn Schwentker | ©
DIE ZEIT, 04.12.2008 Nr. 50

Quelle: zeit.de

 

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