Hintergrund: Umstrittener Armeefilm auf „Youtube“

Volltreffer oder Schuss nach hinten

[derstandard.at] Jerusalem
– Die israelische Drohne über dem Gazastreifen beobachtet minutenlang,
wie mehrere Männer Rohre auf einen Lastwagen heben. Immer wieder laufen
sie in ein Gebäude und kehren mit länglichen Rohren zurück. Die rollen
sie auf die Ladefläche. Die Kamera der Drohne macht Nahaufnahmen und
zieht immer wieder das Objektiv auf. Abwechselnd ist das Bild scharf
und dann wieder "verpixelt". Man sieht ein Wohngebiet und dann wieder
die schwarz-weißen Figuren mit den Rohren.

Das Fadenkreuz richtet sich in dem Augenblick auf den Lastwagen, als
einer der Männer gerade einsteigen und losfahren will. In dem
Augenblick, nach genau zwei Minuten und 10 Sekunden kommt
erwartungsgemäß, wie in einem echten Krimi, das "happy End": eine
Explosion und eine riesige Rauchwolke, die die ganze Szene verhüllt. Es
bleibt der Fantasie des Zuschauers überlassen, sich vorzustellen, was
mit all den Figuren passiert ist, die da eben noch geschäftig
umherliefen.

"Live" aus der Pilotenkanzel

Dieser Film wurde neben anderen Filmchen aus Pilotenkanzeln vom israelischen Militärsprecher bei dem Internet-Netzwerk Youtube
hochgeladen. Da werden andere Volltreffer dokumentiert mitsamt der
Drohnenbeobachtung vor dem Abschuss der Rakete vom Kampfflugzeug.

Zunächst erhielt dieser Film im eigenen "Kanal" des
Militärsprechers bei Youtube, "idfnadesk", keine besondere Beachtung,
bis die Betreiber ihn wieder herunternahmen. Der Film sei "nicht
angemessen", hieß es bei Youtube. Offensichtlich gab es Proteste von
arabischer Seite. Doch echte Zensur ist heutzutage im welt-weiten Netz
kaum mehr möglich.

Der rechtsgerichtete israelische Fernsehsender Arutz 7
veröffentlichte prompt das Filmchen der Luftwaffe auf seiner
Internet-Seite. Auch der Militärsprecher sorgte auf seiner eigenen
Internetseite dafür, dass das Filmchen weiterhin zugänglich blieb.

Sauerstoffflaschen statt Raketen?

Am Mittwochabend verschickte die israelische
Menschenrechtsorganisation Betzelem eine empörte Email an die Medien.
Da seien keine Raketen verladen worden, sondern "unschuldige"
Sauerstoffflaschen, wie man sie in Krankenhäusern und zum Schweißen
verwendet. Abu-Imad Sanur habe sich bei der Organisation gemeldet. Er
sei der Besitzer des zerstörten Lastwagens und habe in der Salah-D-Din
Straße harmlose Sauerstoff Flaschen geladen und keineswegs
Grad-Raketen, wie der Militärsprecher behauptet.

Weiter erzählt Sanur, dass er Material und Werkzeug aus seiner
Metallwerkstatt in Sicherheit bringen wollte, damit es nicht von
Plünderern gestohlen werde, nachdem ein benachbartes Haus von den
Israelis bombardiert worden war. Sanur dementierte jegliche Verbindung
mit "Militanten", er verübe keinerlei "militärische Aktivitäten", womit
wohl die Herstellung von Kassam-Raketen gemeint ist. In der Mail wurden
dann die Namen von acht Palästinensern erwähnt, mit Altersangabe. Unter
den Toten sei auch der 32 Jahre alte Sohn von Sanur. Das jüngste
Todesopfer sei der 14-jährige Muhammad Ghabayan. Dessen Brüder, 16 und
19 Jahre alt, seien verletzt worden.

Betzelem veröffentlichte im Internet Fotos des ausgebrannten
Lastwagens, vom Besitzer der Werkstatt und einer nicht-verbrannten
Sauerstoff Flasche mit der hebräischen Aufschrift "Eigentum (von)
Maksima". Das ist eine israelische Firma in Ramat Hovav. Sie stellt
"industrielle Gase" her.

Keine Flügel

Bei mehrfachem Anschauen des Films kann man deutlich sehen, dass
die Rohre, also die vermeintlichen Raketen oder Gasflaschen, auf der
Ladefläche hin- und hergerollt werden. Auch ohne Militärexperte zu
sein, kann man sehen, dass an diese Rohre keine Flügelchen angeschweißt
sind. Ohne Flügel geriete eine Rakete jedoch ins Trudeln. Sämtliche in
Sderot nahe dem Gazastreifen in der Polizeistation ausgestellten
Raketenreste haben angeschweißte Flügel.

So bleibt nur noch eine Anfrage beim Militärsprecher, zumal
nach Angaben des Geheimdienstchefs Diskin die Israelis angeblich genau
wissen, so sich jedes Hamas-Mitglied aufhält und welches Hemd er gerade
trägt. "Das Video spricht für sich selber", antwortete die angerufene
Militärsprecherin kurz und bündig. "Alle anderslautenden Behauptungen
sind Medien-Manipulation der Hamas."

Das sei die vorformulierte Antwort, die jedem nachfragenden
Journalisten gegeben werde. Etwas später schieben wir die Frage nach,
ob es denn Raketen ohne angeschweißte Flügelchen geben könne, denn die
Rohre seien auf dem Lastwagen gerollt worden. Der junge Soldat meint:
"Das ist eine gute Beobachtung. Da muss ich mal meine Vorgesetzten
fragen."

Solange da keine eindeutige Erklärung vom Militärsprecher
kommt, bleibt offen, ob die israelische Luftwaffe tatsächlich einen
Volltreffer gelandet hat, oder aber, ob der Militärsprecher mit seinem
Propaganda-Filmchen eher einen Schuss nach hinten ausgelöst hat.  (Von
Ulrich W. Sahm/APA)

One response to “Hintergrund: Umstrittener Armeefilm auf „Youtube“”

  1. Argysh

    Der Originalbericht von n-tv (n-tv.de/1078498.html) wurde nach einem Leserbrief etwas verändert.

    Die Hamas setzt nämlich auch Raketen ein die ihre Flügel erst nach dem Start ausklappen. (die Grad z.B.)