Elektrifizierung der Waffen

[heise.de] Das Fraunhofer-Institut veranstaltet das "5th Symposium on Non-lethal Weapons"
Als Ende des 19. Jahrhunderts die Elektrifizierung begann, wurde
die neue Technik zuerst zur Beleuchtung eingesetzt. Tragödien wie der Brand
im Wiener Ringtheater sollten sich nicht wiederholen, und so wurde das
bis dahin übliche gefährliche Gaslicht nach und nach durch ein
risikoarmes Pendant ersetzt. Die Geschichte der Elektrifizierung soll
nun in der Stadthalle Ettlingen weitergeschrieben werden, wo das
Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie (ICT) vom 11.-13. Mai das fünfte Symposium on Non-lethal Weapons, besser bekannt als Taser, veranstaltet.

Taser sind Elektroschockwaffen. Bei einem Schuss werden mit kurzem
zeitlichen Abstand zwei Widerhaken abgegeben, die an Drähten befestigt
sind. Durch Elektroschocks wird die Zielperson dann handlungsunfähig
gemacht. Laut Herstellerangaben
fließt dabei für ungefähr fünf Sekunden ein Strom mit der Stärke von
maximal 2,1 mA bei einer Spannung von bis zu 50.000 Volt. Doch nach
einer vom kanadischen Rundfunk CBC bei National Technical Systems in Auftrag gegebenen Studie
werden diese Werte zum Teil deutlich überschritten. Die Verwendung
nicht-letaler Waffen, kurz NLW, deren Ungefährlichkeit von Herstellern
wie Anwendern immer wieder betont wird, birgt ein nicht zu
unterschätzendes Risiko. Allein im Zeitraum von 1999 bis 2005 sind in
den USA und Kanada 167 Personen im Zusammenhang mit Einsätzen dieser
als risikoarm bezeichneten Waffe gestorben, wobei sich die genaue
Todesursache oft nicht feststellen ließ. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International üben deshalb heftige Kritik am Einsatz von Tasern, die UNO spricht im Zusammenhang mit der Anwendung von NLW von Folter.

Auf dem Programm
der Veranstaltung in Ettlingen, deren Ziel es ist, die so genannte
"NLW-Gemeinschaft" zu stärken und zu vergrößern, steht ein
Diskussionsforum mit dem Titel "What Is The Truth About Taser?",
geleitet von Franz Wolf, einem Mitarbeiter der Wehrtechnischen
Dienststelle für Schutz- und Sondertechnik (WTD 52)
des Bundesamtes für Wehrtechnik und Beschaffung. Die Wehrtechnische
Dienststelle 52 sieht ihre Kernkompetenz unter anderem auf dem Gebiet
der nicht-letalen Waffen und ist laut eigener Aussage federführend in
der Entwicklung und Untersuchung von NLW für die Bundeswehr.

Über "Military Requirements For The Employment Of
Non-Lethal Weapons" (Militärische Anforderungen zum Einsatz von
nicht-letalen Waffen") spricht der Referent im Führungsstab des Heeres,
Oberstleutnant Jörg Hoogeveen, der laut "aktuell – Zeitung für die
Bundeswehr" auf seine Führungsaufgaben in der Bundeswehr dort
vorbereitet wurde "wo einst Napoleon Schüler war"[1].
Hoogeveen schrieb in der Zeitschrift "Europäische Sicherheit", dass
Einsätze in städtischen Gebieten Waffensysteme mit "besonderen
Fähigkeiten" erfordern würden – gemeint sind damit Taser:


Die kontrollierte Eskalation und Deeskalation ,
insbesondere bei gewaltbereiten Menschenmengen und Ausschreitungen oder
wenn gegnerische Kräfte aus der Bevölkerung heraus agieren, wird
maßgeblich durch die Verfügbarkeit nicht-letaler Wirkmittel erreicht.

Oberstleutnant Jörg Hoogeveen[2]

Durch den Einsatz dieses Waffentyps sollen "Kollateralschäden"
vermieden und die "Nutzbarkeit wichtiger Infrastruktur" in den
kontrollierten Gebieten erhalten bleiben.

Erwartet
wird auch die Firma Diehl. Sie stellt einen "Electro-Magnetic
Neuromuscular Movement Inhibitor" (ENEMI) vor. Wie aus der
elektronischen Vorab-Fassung
der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion
Die Linke hervorgeht, erhält die Firma Diehl BGT Defence Mittel aus dem
Bundeshaushalt, um den "’Taser-Effekt‘ und seine Auswirkungen auf den
menschlichen Körper" zu erforschen. 180.000 Euro stehen Diehl zudem für
die "Untersuchung der Wirksamkeit und Einsatztauglichkeit von Liquid
Taser" zur Verfügung. Liquid Taser (siehe Abb.) übertragen die
Stromstöße nicht mehr per Kabel, sondern über eine spezielle
Flüssigkeit.

Darüber hinaus hat die Bundesregierung Kenntnis über
die "Erforschung der Übertragbarkeit des ‚Taser-Effekts‘ durch die
Luft", die ebenfalls von Diehl durchgeführt wird.

Zwar fördert die Bundesregierung die Erforschung der
Distanz-Elektroimpulswaffen, mit den Folgen möchte man dort aber
anscheinend wenig zu tun haben. So gab es bisher weder Untersuchungen
über die Auswirkungen von Tasern auf Risikogruppen wie beispielsweise
Schwangere oder Kinder, noch zu medizinischen Langzeitfolgen. Laut
Auskunft der Bundesregierung ist das auch "derzeit nicht beabsichtigt".

Stattdessen "beurteilt die Bundesregierung den
Einsatz von Elektroimpulsgeräten gegen Personen zurückhaltend" – und
genehmigt deren Ausfuhr in die Schweiz, wo sie bei der Abschiebung von
Flüchtlingen Anwendung finden
und nach Saudi-Arabien, ein Land, in dem die Sharia das Strafrecht ist
und dessen Menschenrechtslage das Auswärtige Amt als "unbefriedigend" einschätzt.
Immerhin muss der Abnehmer der Waffen "die beabsichtige Verwendung des
beantragten Gutes mit(…)teilen und durch geeignete Unterlagen
belegen".

Durch die wiederholte Betonung, es handele sich bei
Tasern nicht um eine tödliche Waffengattung, ist damit zu rechnen, dass
die Hemmschwelle zum Einsatz dieses Mittels sinkt. Verstärkt wird dies
dadurch, dass bisher lediglich in wenigen Fällen ein direkter
Zusammenhang zwischen dem Tod einer Zielperson und dem Tasereinsatz
bewiesen werden konnte. Wenig verwunderlich erscheint in diesem Kontext
ein Brief, der sich auf dem Server der Gewerkschaft der Polizei (GDP) findet.

Wolfgang Dicke, der Beauftragte für Waffentechnik und Waffenrecht der Gewerkschaft der Polizei (GDP),
schreibt in diesem Brief an seinen Geschäftsführenden Bundesvorstand
vom September 2005 übrigens, dass es bei weltweit insgesamt 200.000
Einsätzen von Tasern durch die Polizei nur zu rund 70 Todesfällen oder
Verletzungen gekommen sei, deren Zusammenhang mit dem Einsatz von NLW
in keinem Fall nachgewiesen worden sein soll. Diese niedrige Rate
könnte aber daher rühren, dass "Schlaumeier unter den Polizisten die
dienstlich gelieferten leistungsfähigen Batterien lieber in ihrem
Walkman benutzt und im Taser durch billige Massenware ersetzt – und
sich dann gewundert haben, weshalb das Gerät eine unzureichende Wirkung
erzielte!" Auf musikalische Polizisten sollte heute aber niemand mehr
hoffen, die Batterien der elektrifizierten Waffen wurden mittlerweile
durch digitale Akkus ersetzt.

So bringt die Elektrifizierung über einhundert Jahre
nach der Einführung der nichttödlichen Beleuchtung nun auch die
Einführung der nichttödlichen Waffe – der Fortschritt scheint
unaufhaltbar.

Quelle: heise.de