Trennung von Polizei und Verfassungsschutz nur noch „rechtshistorisch bedeutsam“

Die Bundesakademie für Sicherheitspolitik will die "heiligen Kühe" der deutschen Sicherheitsarchitektur schlachten

Silvio Duve

[heise.de] Tiefgreifende Veränderungen brechen oft Tabus. Doch diese
Tabubrüche haben in der Geschichte oft für notwendigen Fortschritt
gesorgt. Es bedurfte einigen Mutes, das geozentrische Weltbild
anzuzweifeln, die Herrschaft von Kaisern und Königen in Frage zu
stellen, und bisweilen muss heute noch um die Trennungvon Staat und Kirche gerungen werden. In solch großen Traditionen möchte sich wohl auch die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) gern sehen. In einem Papier von BAKS-Studienreferent Rafael Hoffmann mit dem Titel Revision des status quo? Deutscher Sicherheitsföderalismus im Lichte asymmetrischer Gefahren und Herausforderungen
wird gefordert, die "heiligen Kühe" unserer Sicherheitsarchitektur
gründlich zu untersuchen, da sie den "Gefahren und Herausforderungen
für unsere Sicherheit" nicht mehr gerecht würden.

Auf den Prüfstand soll zunächst das Prinzip des Föderalismus. 16
Landespolizeien, dazu noch eine Bundespolizei, und obendrein noch die
gleiche Anzahl von Verfassungsschutzämtern? Diese "Fragmentierung der
Sicherheitsbehörden" behindere deren Arbeit und sei obendrein zu teuer,
so das Papier. Hinzu komme, dass die Grenzen zwischen innerer und
äußerer Sicherheit immer weiter verwischen würden. Die Lösung des
Problems ist für die BAKS denn auch schlicht:

Terminologisch sollte fortan von Gefahren und
Herausforderungen für die Nationale Sicherheit gesprochen werden, mit
ausschließlicher Regelungskompetenz beim Bund.

Rafael Hoffmann

Der Bund soll laut dem Vorschlag die zentrale Kompetenz für den Bereich
des Verfassungsschutzes bekommen, die Landesämter für Verfassungsschutz
zu Außenstellen des Bundes werden. Begründung: Personalmangel. FDP und
der Grüne Bundestagsabgeordnete Ströbele dagegen würden eher die
Ausstattung der einzelnen Landesämter verbessern. Ob aber die kleinsten
Bundesländer, wie Berlin oder Bremen, eigene Verfassungsschutzämter
benötigen, oder hier in Ausnahmefällen eine Zusammenlegung mit einem
benachbarten Bundesland sinnvoll sei, könne man prüfen, so beide
Parteien gegenüber Telepolis.

Grundsätzliche Kritik an der Arbeit des Verfassungsschutzes kommt dagegen vom Vorsitzenden der Humanistischen Union, Sven Lüders.

Die Sicherheitsbehörden gehen den falschen Leuten auf den
Leim, und verpassen echte Gefährdungen. Die Ursache für diese
"Fehlleitungen" der Sicherheitsbehörden sehe ich in einer mangelnden
Anerkennung der Meinungsfreiheit, aber auch in mangelndem
Unterscheidungsvermögen zwischen politischen Protest und echten
Sicherheitsgefahren. Durch mehr Personal oder einfache Zusammenlegungen
von VS-Landesämtern ist da nicht viel zu erreichen. Nötig wäre hier ein
anderes Sicherheitsdenken, das bei der Gefahrenanalyse neu ansetzen
müsste.

Sven Lüders, Humanistische Union

Auch die Befugnisse des Bundeskriminalamts sollen laut dem BAKS-Vorschlag erweitert werden. Im Papier wird gefordert:

Strafverfolgung und Gefahrenabwehr von
Staatsschutzdelikten (Terrorismus, Extremismus, Spionage) sowie die
Bekämpfung der Organisierten Kriminalität sind grundsätzlich Aufgabe
des Bundes.

Rafael Hoffmann

Die Länder sollen lediglich für die "übrige Gefahrenabwehr und
Strafverfolgung" ihre Zuständigkeit behalten. "Eine zentrale Analyse-
und Steuerungseinheit auf nationaler Ebene" soll die Zusammenarbeit von
Polizei und Verfassungsschutz laut den Vorstellungen aus der
Bundesakademie zukünftig koordinieren. Dafür komme das Gemeinsame
Terrorismusabwehrzentrum in Frage, es benötige jedoch zusätzlich die
"Fähigkeit zur operativen Führung".

Die schleichende Aufhebung des Trennungsgebots von Polizei und
Verfassungsschutz, die Bürgerrechtler schon beim Gemeinsamen
Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) gegeben sehen, würde damit vollends
Realität. Das wird vom BAKS auch nicht bestritten, sondern als
wichtiger Schritt nach vorn gesehen, denn:

Spätestens seit 1990, mit der Wiedererlangung der
vollständigen staatlichen Souveränität Deutschlands, sind Hintergrund
und Motive für das Trennungsgebot nur noch rechtshistorisch bedeutsam.

Rafael Hoffmann

Heftige Kritik an Äußerungen wie dieser kommt aus der Linkspartei.
Gerade seit 1990 sei das Trennungsgebot als innenpolitische Bremse
unverzichtbar. Die BAKS-Thesen seien eine verschärfte Form dessen, was
die Minister Schäuble und Jung seit Jahren forderten. Die BAKS fordere
nicht weniger als ein Bundessicherheitshauptamt. Die Akademie, die dem
Verteidigungsministerium untersteht, verfolge das Ziel, auch die
Bundeswehr in ihr Sicherheitskonzept mit einzubinden, wie dies bereits
bei der Zivil-Militärischen-Zusammenarbeit (Der Schutz der kritischen Infrastruktur und Einsatz der Bundeswehr im Inneren) geschehen sei, und trete für Inlandseinsätze der Bundeswehr ein, so die Linke gegenüber Telepolis.

Auch Hans-Christian-Ströbele kann über solche Forderungen nur den Kopf
schütteln. "Die haben nichts gelernt", so das Mitglied im
parlamentarischen Kontrollausschuss für die Geheimdienste. Sein Ansatz?
"Ich will nichts Zusätzliches machen, sondern versuchen, die Umsetzung,
die Praxis zu verbessern", so Ströbele gegenüber dieser Redaktion. In
der Sicherheitspolitik sei bereits sehr viel getan worden, in einigen
sogar "eher zu viel", so Ströbele weiter. Bei der FDP sieht man das
ähnlich. Das Trennungsgebot sei ein Grundstein der
Sicherheitsarchitektur, so die Liberalen. Eine
"Vernachrichtendienstlichung" der Polizei, wie bereits im BKA-Gesetz
vorgesehen, lehnt man dort strikt ab.

Die CDU hingegen sieht die Notwendigkeit, aufgrund
"neuer sicherheitspolitischer Herausforderungen" die
Sicherheitsarchitektur weiter anzupassen. Das BKA solle verstärkt
präventiv aktiv werden, "Organe und Fähigkeiten der inneren und äußeren
Sicherheit" sollen "miteinander verzahnt" werden. Als Vorbild dafür
nennt die CDU das Gemeinsame Terrorismus-Abwehrzentrum. Gleichzeitig
erklärt die Partei jedoch, dass die strikte Trennung von Polizei und
Verfassungsschutz gewahrt bleiben müsse.

Wie das zusammengeht, ist auf den ersten Blick nicht so ganz klar,
deshalb fragt Telepolis noch einmal genauer nach, ob die CDU den Thesen
aus dem BAKS-Papier, beispielsweise zur veränderten Bedeutung des
Trennungsgebots seit 1990 grundsätzlich zustimmend oder eher ablehnend
gegenüber steht. Eine eindeutige Antwort auf diese Nachfrage gibt es
nicht, stattdessen wird auf die Vorstellung des gemeinsamen
Wahlprogramms von CDU und CSU am 29. Juni verwiesen. Nachfragen an die
CSU wurden bis Redaktionsschluss für diesen Artikel nicht beantwortet
(gleiches gilt auch für die SPD).

Planen die Unionsparteien also für die nächste
Legislaturperiode bereits weitere deutliche Grundrechtseingriffe unter
dem Deckmantel Terrorismusbekämpfung? Unmöglich ist das nicht, doch
auch innerhalb von CDU/CSU gebe es erhebliche Differenzen, die eine
Einigung auf solch ein Programm erschweren, meint zumindest
Hans-Christian Ströbele:

Die Gesamt-CDU, also die Bundes-CDU, häufig auf
Fraktionsebene oder auf Ministerebene, ist auf dem Weg der
Zentralisierung der Sicherheitsinstitutionen auf Bundesebene. Sie
wollen möglichst viel in einer zentralen Behörde konzentrieren. Aber
wie das glücklicherweise immer noch so ist, gibt es in den Ländern, in
Bayern, aber auch in anderen Bundesländern, dagegen Widerstände. Die
muss man fördern, weil das sind ja durchaus auch Fachleute, und die
sind für die föderale Struktur zuständig.

Hans-Christian Ströbele

Die Bundesakademie für Sicherheitspolitik wurde 1990 gegründet und
führt Fortbildungsveranstaltungen im Bereich der Sicherheitspolitik
durch, welche auch für Personen aus den Bereichen Wirtschaft,
Wissenschaft, Medien, Kirchen und Gewerkschaften offen stehen. In ihrem
Beirat sitzen nicht nur Vertreter aus Politik und Militär, sondern auch
aus Medien wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Süddeutschen
Zeitung, sowie Industrie (Hewlett-Packard) und Bildung (Professor Dr.
Herfried Müller, Humboldt-Universität Berlin). Die Arbeit der
Bundesakademie ist demnach geeignet, große Teile der öffentlichen
Wahrnehmung zu erreichen.

Den Sinn ihrer Tätigkeit sieht
die BAKS in der Förderung des "Konsens in Fragen der
Sicherheitspolitik". Rafael Hoffmann selbst trat zu diesem Zweck
bereits als Referent eines BAKS-Seminars für Richter und Staatsanwälte
auf.

Source: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30288/1.html