EU-Kommission will das Internet regieren


US-Regierung soll Alleinkontrolle über ICANN aufgeben

[golem.de] Die EU-Kommission fordert in einer aktuellen Mitteilung eine "offene, unabhängige und rechenschaftspflichtige Verwaltung des Internet". Sie spricht sich für mehr Regierungseinfluss bei der Weiterentwicklung des Internets aus.

In der Mitteilung "Verwaltung des Internet: Die nächsten Schritte"
stellte die EU-Kommission am vergangenen Donnerstag ihr Vorstellungen
über die Weiterentwicklung des Internets vor. Der private Sektor hätte
beim Ausbau und der Verwaltung des Internets seit Mitte der neunziger
Jahre gute Arbeit geleistet, meint die Kommission. Nun sei es aber an
der Zeit, "dass die Regierungen in den Entscheidungsprozessen, die
die Entwicklung des Internet bestimmen, eine aktivere Rolle übernehmen."

Diese Forderung begründet die EU-Kommission nicht zuletzt mit der
aktuellen Finanzkrise. Das Internet sei in den vergangenen Jahren zu
einer kritischen Ressource geworden. Und bei solchen Ressourcen
bestünden heute "verständlicherweise höhere Erwartungen an die Regierungen, dass diese sich proaktiver
als früher für öffentliche Interessen einsetzen."

Die EU-Kommission lässt dabei einigermaßen offen, was genau sie
darunter versteht. Auf jeden Fall geht es ihr um klare politische
Rahmenbedingungen und "allgemeine politische Ziele". Die Kommission will "rote Linien" gezogen wissen, "die nicht überschritten werden dürfen". Und wo es rote Linien gibt, muss auch dafür gesorgt
werden, dass sie beachtet werden. Deshalb will die Kommission sich in die Lage versetzt wissen, "festzustellen, ob diese Grundsätze eingehalten werden". Für die Durchsetzung der Grundsätze soll "den privaten Stellen, die für den laufenden Internetbetrieb zuständig sind, eine Rechenschaftspflicht auferlegt werden".

In erster Linie meint die EU-Kommission damit die für die Vergabe von
Internetadressen und Domainnamen zuständigen Stellen, besonders die
Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN). Die ICANN
ist eine private Organisation mit Sitz in Kalifornien. Aufsichtsbehörde
für die ICANN ist das US-Wirtschaftsministerium. Der EU-Kommission oder
Regierungen anderer Länder gegenüber ist ICANN zu keinerlei
Rechenschaft verpflichtet. Schon seit Jahren dringt die Kommission
darauf, das zu ändern. Die jetzt vorgelegte Mitteilung unterstreicht
diese Position erneut.

Nach eigenen Worten will die Kommission mit ihren Vorschlägen erreichen, "dass das Internet ein Instrument für Innovation, freie Meinungsäußerung und wirtschaftliche Entwicklung bleibt."

Skeptiker dürften allerdings hellhörig werden, wenn in diesem Zusammenhang von in Brüssel gezogenen
"roten Linien" die Rede ist, die nicht überschritten werden dürfen. Gerade erst hat der Bundestag mit dem sogenannten Zugangserschwerungsgesetz die Voraussetzungen für eine allgemeine Internetzensur geschaffen. Verschiedene Koalitionspolitiker haben angekündigt, sich dafür einzusetzen, vergleichbare Maßnahmen EU-weit zu verankern. [von Robert A. Gehring]
(ji)
Source: http://www.golem.de/0906/67888.html