Choreografie des Terrors

Bild: Peilsender
Das § 129a-Verfahren gegen „AK Origami“

von Daniel Wölky

Artikel aus: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 91 (3/2008)

Gerade politische Strafverfahren folgen einer strengen Choreografie,
die bewirkt, dass Schutzrechte Beschuldigter missachtet werden.

Kurz vor und nach dem G8-Gipfel von Heiligendamm im Sommer 2007
wurden gleich drei Verfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in
einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129a des Strafgesetzbuchs
(StGB) bekannt. Über jene gegen angebliche Mitglieder der „militanten
Gruppe“ (mg) und gegen die „militante Kampagne zur Verhinderung des
G8-Gipfels“ hat Bürgerrechte & Polizei/CILIP
bereits berichtet.1 Zu dem Trio gehört schließlich noch das Verfahren
gegen eine angebliche Vereinigung, die sich u.a. „AK Origami“ genannt
haben soll.

Das Drehbuch hierfür lieferte die Bundesanwaltschaft (BA) im Jahre
2006, indem sie unter dem Aktenzeichen – 2 BJs 44/06 – ein
Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer
terroristischen Vereinigung nach § 129a StGB einleitete. Durch eine
Analyse von Bekennerschreiben habe sich ergeben, dass eine Gruppe unter
wechselnden Bezeichnungen in den Jahren 2002, 2004 und 2006 insgesamt
vier Brandanschläge begangen habe. Alle Taten hätten eine
antimilitaristische Zielrichtung gehabt: Am 22. Februar 2002 sei
versucht worden, einen Bus der Bundeswehr in Glinde
(Schleswig-Holstein) in Brand zu setzen. Das in der linken Zeitschrift
„Interim“ ­ allerdings ohne Bezeichnung der Gruppe – abgedruckte
Bekennerschreiben habe sich gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr
gerichtet. In der Nacht vom 19. auf den 20. März 2004 seien gleich zwei
Brandanschläge verübt worden. Zum einen sei in Bad Oldesloe ein Gebäude
der Firma Hako angezündet worden. Zum andern hätten in derselben Nacht
zwei Fahrzeuge der Bundeswehr auf dem Gelände der Firma Endres in
Berlin gebrannt. Das Unternehmen gehöre wirtschaftlich zu Hako. Ein „AK
Origami (Rüstungsprojekte zusammenfalten)“ habe sich in Schreiben an
verschiedene Tageszeitungen zu den Brandanschlägen bekannt und
insbesondere die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung
kritisiert. Die Firma Hako, so habe es in den Bekennerbriefen geheißen,
sei wegen ihrer Beteiligung an Rüstungsprojekten als Anschlagsziel
ausgewählt worden.
Am 27. März 2006 schließlich seien Fahrzeuge auf dem Gelände der Firma
Thormählen Schweißtechnik in Bad Oldesloe abgebrannt worden. Auch in
diesem Fall vermerkt die Bundesanwaltschaft den Eingang eines
Bekennerbriefs bei mehreren Zeitungen. Die „Internationalistischen
Zellen“, die als Absender firmierten, hätten die Rolle der Bundeswehr
in Afrika thematisiert und erklärt, die Firma Thormälen wegen ihrer
Tätigkeit im Südsudan ausgesucht zu haben. Sie hätten ihre Tat überdies
mit der Kampagne gegen den damals bevorstehenden G8-Gipfel in
Zusammenhang gebracht und die Hoffnung geäußert, „dass weitere Gruppen
aus dem antimilitaristischen und antirassistischen Spektrum sich
anschließen werden“.
Den Ausschlag für die Zusammenfassung dieser vier Straftaten unter ein
einziges Ermittlungsverfahren gab der bereits erwähnte Vergleich der
Bekennerschreiben durch das Bundesinnenministerium. Diese Untersuchung,
so behauptete die BA, habe signifikante Übereinstimmungen in Aufbau,
Stil und Inhalt und damit eine eindeutige Verbindung zwischen den
Brandanschlägen ergeben.

Tatsächlich konnte von einer solchen Eindutigkeit nicht die Rede
sein. Was den Aufbau betrifft, zeigte der Vergleich nur
Übereinstimmungen bei den Schreiben von 2006 und 2002, aber nicht bei
dem von 2004. Eine Stilanalyse wurde nicht vorgenommen. In textlicher
Hinsicht wiederum wiesen nur die Briefe von 2006 und 2004
Wortübereinstimmungen auf, nämlich: „Krieg gegen den Terror“;
„strategische und ökonomische Interessen“; „Startlöcher/Siemens“;
„Hunger, Elend und Tod“.

Eine standardisierte wissenschaftliche und damit nachprüfbare
Methodik zur Autorenerkennung durch einen Textvergleich existiert
nicht. Die erhobenen Befunde werden lediglich interpretiert. Damit
entzieht sich eine solche „Analyse“ jeder Nachprüfbarkeit. Sie bietet
allenfalls eine Ermittlungshypothese – aber keine gesicherte
Erkenntnis. Gleichsam verschafft sie durch den enormen
Interpretationsspielraum massive Missbrauchsmöglichkeiten.2 Auffällig
ist, dass sowohl in diesem als auch in den beiden anderen anfangs
genannten Ermittlungsverfahren nach § 129a StGB ein
Textvergleichsgutachten herangezogen wurde, um einen Anfangsverdacht zu
schaffen bzw. – wie hier – überhaupt eine Gruppierung im Sinne des §
129a StGB zu konstruieren.

Casting

Um den Brandanschlag aus dem Jahre 2006 aufzuklären, hatte das Landeskriminalamt (LKA)
Schleswig-Holstein eigens eine Ermittlungsgruppe „Sudan“ ins Leben
gerufen, die bei der Suche nach den Tätern unter anderem zum Mittel der
so genannten Funkzellenabfrage (gemäß §§ 100g, 100h Abs. 1 S. 2 a.F.
StPO) griff. Dabei handelt es sich um eine Auswertung der bei der
Kommunikation per Handy anfallenden Verkehrsdaten. Die
Ermittlungsbehörden erfahren dadurch die Kennungen der Geräte, mit
denen während einer Zeitspanne in einer bestimmten Funkzelle
telefoniert wurde, und damit letztlich auch die Identität der
betreffenden Personen. Eine Mobilfunkzelle ist in Form einer Wabe
angelegt, in deren Mitte sich der Sende- und Empfangsmast
(Basisstation) befindet. Abhängig von den örtlichen Gegebenheiten und
dem Bevölkerungsaufkommen variiert die Größe einer Funkzelle. In
Großstädten finden sich viele kleinere (Umkreis von 30m), in ländlichen
Gebieten dagegen weniger und größere.3

Die Methode der Funkzellenabfrage beruht also auf zwei Vermutungen:
nämlich, dass die noch unbekannten Täter sich in diesem Raum
aufgehalten haben und im Zeitraum der Tat auch mittels Handy
kommunizierten.4 Im vorliegenden Fall erbrachte die Auswertung unter
anderem Telefonate zweier Personen aus Bad Oldesloe, die der linken
Szene zugerechnet wurden. Allerdings wohnten die beiden im Bereich der
betreffenden Funkzelle und waren zudem miteinander liiert, weshalb die
Telefonate nicht gerade ungewöhnlich waren. Dennoch nahmen die
Ermittler einen Anfangsverdacht an.
Es folgte die Telefonüberwachung der beiden Beschuldigten. Dadurch
stießen die Ermittler auf Freunde, Mitbewohner und Bekannte, die
ebenfalls politisch aktiv waren, was wiederum ausreichte, um
Ermittlungsverfahren gegen weitere sieben Personen aus
Schleswig-Holstein und Hamburg einzuleiten. Auch deren Telefone wurden
nun abgehört. Zudem wurde die gesamte Bandbreite heimlicher
Ermittlungsmethoden ins Feld geführt: Erstellung von Bewegungsdaten
über „Stealth-Ping“ (verdeckte SMS), Observationen, Wohnraum-Innenüberwachung, Fahrzeug-Innenüberwachung, Anbringen von Peilsendern an Pkws etc.
Im Rahmen der Telefonüberwachung der Beschuldigten wurden auch
zahlreiche Gespräche mit Verteidigern mitgehört, aufgezeichnet,
ausgewertet und protokolliert. Dieses, obwohl nach einhelliger
Auffassung der Rechtsprechung die Kommunikation des Beschuldigten mit
seinem Verteidiger frei von jeder Überwachung sein muss, weshalb der
Telefonanschluss des Verteidigers nicht abgehört werden darf.5 Die
Überwachung muss zudem unterbrochen werden, wenn feststeht, dass der
Verteidiger Gesprächspartner ist.6 Kann ein Abbruch aus technischen
Gründen nicht erfolgen, muss eine inhaltliche Auswertung unterbleiben.7
Abgehört wurden darüber hinaus auch zahlreiche Telefongespräche mit
diversen Journalisten. Nachdem ein unter einem PKW angebrachter Peilsender zufällig gefunden worden war,8 erklärte das LKA
auf Anfrage: „Davon, dass durch Angehörige der Landespolizei
Schleswig-Holstein unter dem Fahrzeug Ihres Mandanten ein ‚Peilgerät‘
angebracht worden sein soll, konnte nichts in Erfahrung gebracht
werden.“ Gleichwohl strengte das Amt eine Klage auf Herausgabe des
Peilsenders an. In der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Bad
Oldesloe vermochte es jedoch nicht sein Eigentum an dem Gerät zu
beweisen, weswegen die Klage abgewiesen wurde.9 Nach wie vor ist nicht
geklärt, welche Behörde den Peilsender aufgrund welcher Rechtsgrundlage
angebracht hat.

Aus dem späteren Durchsuchungsbeschluss ist ersichtlich, anhand
welcher Argumentation die Berliner X. und Y. als weitere Beschuldigte
ausgemacht wurde:
„X stammt gleichfalls aus Bad Oldesloe. Er lebt seit 2001 in Berlin …
Angesichts der Tatsache, dass die Anschläge unter der
Gruppenbezeichnung AK Origami in Berlin und Bad Oldesloe gleichzeitig
mit der gleichen Zielrichtung begangen wurden, muss davon ausgegangen
werden, dass X an der Brandstiftung in Berlin beteiligt war.“
„Der Beschuldigte Y ist der engste Vertraute des Beschuldigten X. Y
unterhält darüber hinaus auch Kontakte zu den weiteren Beschuldigten
und hält sich zeitweilig in Bad Oldesloe auf. So besuchte er 2005 eine
Weihnachtsfeier im … oder nahm an Demonstrationen in Hamburg teil …
Neben der Antifa-Arbeit tritt Y auch aktiv als Globalisierungs- und
Militarismusgegner in Erscheinung. Seine politischen Aktivitäten
entsprechen uneingeschränkt dem Betätigungsfeld der vorliegenden
terroristischen Vereinigung. Es ist daher davon auszugehen, dass Y
neben dem Beschuldigten X als weiteres Mitglied der Vereinigung in
Berlin agiert und zumindest an dem Brandanschlag vom 20. März zum
Nachteil der Firma Endres in Berlin, die wirtschaftlich zur Firma Hako
in Bad Oldesloe gehört, beteiligt gewesen ist.“10
Am Fall des zweiten Berliner Beschuldigten zeigt sich exemplarisch,
dass die juristischen Voraussetzungen für einen Anfangsverdacht, der
erst die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens erlaubt, nicht
vorlagen. Anfangsverdacht bedeutet, dass konkrete tatsächliche
Anhaltspunkte gegeben sind, die nach den kriminalistischen Erfahrungen
die Beteiligung des Betroffenen an einer verfolgbaren Straftat als
möglich erscheinen lassen.11 Tatsächliche Anhaltspunkte waren nicht
ersichtlich. Es handelte sich lediglich um bloße Vermutungen oder vage
Hinweise, was nach einhelliger Rechtsprechung nicht ausreicht.12 Auch
in den anderen § 129a-Verfahren erfolgte die Einleitung der
Ermittlungsverfahren in den meisten Fällen ohne Anfangsverdacht.
Nach langem Casting und geheimen Proben fand ähnlich wie in den beiden
anderen Verfahren nach § 129a auch im Fall „Origami“ die öffentliche
Premiere in Form von großen Durchsuchungsaktionen in der Zeit rund um
den Heiligendammer G8-Gipfel statt. Kurz vor bzw. zu Beginn des Gipfels
beantragte die BA den Erlass von entsprechenden Beschlüssen. Am 13.
Juni 2007 wurden in Hamburg und Schleswig-Holstein zahlreiche
Hausdurchsuchungen durchgeführt. Am 19. Juni 2007 folgten vier weitere
Durchsuchungen gegen die Berliner Beschuldigten.

Schlussakt

In dem Verfahren um die „mg“ verschonte der Bundesgerichtshof (BGH)
durch Beschluss vom 28. November 2007 die Beschuldigten von der Haft,
da keine Straftat nach § 129a StGB vorliege. Die Taten seien nicht
geeignet, die Grundstrukturen des Staates zu beseitigen oder erheblich
zu beeinträchtigen, was objektive Tatbestandsvoraussetzung sei.13 Der BGH
betonte dabei, dass jeweils eine Einzelfallprüfung erfolgen müsse.
Daher kann mitnichten von einer weitreichenden Entscheidung gesprochen
oder gar Entwarnung gegeben werden. Das „objektive“ Merkmal ist stark
interpretationsbedürftig und unterliegt damit seinerseits politischem
Kalkül.
Anders als im „mg“-Verfahren gab die BA das „Origami“-Verfahren mit
Verfügung vom 16. Januar 2008 an die Staatsanwaltschaft Flensburg ab,
da erstens lediglich eine Strafbarkeit wegen Mitgliedschaft in einer
kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) und Brandstiftung (§ 306 Abs. 1
Nr. 4 StGB) vorliege und zweitens auch keine besondere Bedeutung
bestehe (§ 74a Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 sowie 120 Abs. 2 Nr. 1
Gerichtsverfassungs­gesetz). Die Staatsanwaltschaft Flensburg stellte
das Verfahren am 14. Juli 2008 mangels hinreichenden Tatverdachts (§
170 Abs. 2 StPO) ein.

Rezension

So unterschiedlich alle drei Verfahren nach § 129a StGB im Detail
auch sind, so bestehen dennoch prägnante Gemeinsamkeiten: In allen
Verfahren wurden Ergebnisse fragwürdiger Textanalysegutachten als
gesicherte Erkenntnisse genutzt, um Verdachtsmomente zu gewinnen. Aus
diesen Verdächtigungen wiederum wurde ein Anfangsverdacht hergeleitet,
ohne dass tatsächlich die Voraussetzungen des § 152 Abs. 2 StPO
vorlagen. Dieses führte zu umfangreichen verdeckten
Überwachungsmaßnahmen, bevor – pünktlich vor, zum und nach dem
G8-Gipfel – groß angelegte Durchsuchungsaktionen der Bevölkerung die
„terroristische“ Bedrohung nahe brachten. Schließlich folgte die
Verfahrenseinstellung.14
Es ist nicht etwa so, dass die Verfahren wegen der
Einstellungsverfügungen für die Ermittlungsbehörden kein Erfolg gewesen
wären. Im Gegenteil: Kurzfristig – und darauf kam es jedenfalls bei
Betrachtung des zeitlichen Ablaufs vornehmlich an – erfüllten sie ihren
Zweck. Sie stellten einen Zusammenhang zwischen „Terroristen“ und den
Protesten gegen den G8-Gipfel her. Sie taugten dazu, Stimmung zu
machen. Gleichermaßen wirkten die Verfahren in die Protestbewegung
hinein und führten zu Verunsicherung. Langfristig bleibt der
Erkenntnisgewinn durch die heimlichen Ermittlungsmaßnahmen.
Die Rechtsprechung verfährt bei so genannten Terrorismusverfahren meist
nach dem Grundsatz: „Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil“.
Sie lässt beispielsweise bei Rechtsverletzungen durch
Ermittlungsmaßnahmen regelmäßig ein Interesse an der Strafverfolgung
überwiegen.15 Somit erstaunt es nicht, dass der Ermittlungsrichter am BGH
– zumal unter dem Eindruck des beginnenden G8-Gipfels und des von den
Medien prognostizierten gewalttätigen Verlaufs der Proteste – gegen die
Beschuldigten Durchsuchungsbeschlüsse ohne einen „greifbaren
Tatverdacht“16 erließ. Dadurch wird aber auch deutlich, dass selbst
einfachste rechtsstaatliche Grundsätze ausgesprochen fragil sind.
Heimliche Ermittlungsmaßnahmen bedürfen dringend der Eingrenzung.
Vorstellbar ist die Schaffung eines normierten Systems von
„Schutzschilden“.17 Das beinhaltet zunächst die Abschaffung von
Eilkompetenzen für Ermittlungsbehörden. Gleichsam müssen die
Begründungsanforderungen von ermittlungsrichterlichen Beschlüssen
heraufgesetzt werden, so dass eine nachvollziehbare inhaltliche
Überprüfung der Entscheidung möglich wird. Als Voraussetzung der
einzelnen Maßnahmen ist jeweils ein abschließender Katalog von
Anlassstraftaten zu schaffen, um zur Zeit geltende „weiche“
Voraussetzungen, wie z.B. „schwerwiegende Straftat“, zu ersetzen und
die immer ausufernde Auslegung einzudämmen. Weiterhin braucht es
Verwendungsbeschränkungen für heimlich gewonnene Erkenntnisse, um
Datenmissbrauch zu verhindern.

Source: http://soligruppe.blogsport.de