[grundrechtekomitee.de] Ende November 2008 schien sich Unmögliches zu ereignen. Die
SPD-(mit-)regierten Bundesländer ließen sich von den sächsischen Jusos
mitreißen. Das neue BKA-Gesetz, das der Bundestag zuvor mit den Stimmen
der Union und der SPD – von ein paar AbweichlerInnen einmal abgesehen –
angenommen hatte, fiel im Bundesrat durch. Dass gerade die SPD ein
solches Gesetz auf den letzten Metern aus der Bahn warf, war um so
erstaunlicher, als es doch ein Bundesinnenminister aus der SPD –
nämlich Otto Schily – gewesen war, der seit Anfang des Jahrzehnts
konsequent für einen Ausbau der Befugnisse des BKA und seiner Stellung
im Gesamtgefüge der bundesdeutschen Polizei- und «Sicherheits-»behörden
geweibelt hatte.
Die Wogen des Sturms im parlamentarischen Wasserglas hatten sich vor
Weihnachten schon wieder geglättet. Das Gesetz ging mit minimalen
Retouchen über die Bühne. Online-Durchsuchungen, das heimliche Wühlen
in den Festplatten privater Computer, brauchen jetzt immer – auch
wenn’s angeblich eilt – eine richterliche Anordnung.
Und
die wird ausgestellt vom Ermittlungsrichter am Amtsgericht Wiesbaden,
einer machtvollen gerichtlichen Instanz, die das Grundrecht auf
«Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität
informationstechnischer Systeme», welches das Bundesverfassungsgericht
im Februar 2008 aus der Taufe gehoben hat, sicherlich mit Zähnen und
Krallen verteidigen wird. (Lacht da jemand?)
Detailansicht eines Gesetzes
Zahnlos
war das BKA mit seinen derzeit rund 4 800 Stellen (ca. 5 500
Beschäftigten) und seinem Haushalt von 362 Mio. Euro auch bisher nicht.
Sein seit Ende der 60er Jahre in zum Teil rasanten Schritten erfolgter
Aufstieg zur mächtigsten Polizeibehörde der BRD stützte sich
insbesondere auf drei Pfeiler: erstens seine Rolle als Zentralstelle –
und das hieß seit Anfang der 70er Jahre als zentraler Knotenpunkt des
informationstechnischen Verbundes der deutschen Polizei; zweitens seine
Funktion als Schaltstelle für die internationale Zusammenarbeit, die
mit dem Ausbau der Polizeikooperation im Rahmen der EU kontinuierlich
an Bedeutung zugenommen hat; und drittens seine seit Ende der 60er
Jahre im BKA-Gesetz festgeschriebenen und erweiterten
Ermittlungskompetenzen.
Originäre Zuständigkeiten hatte das Amt
bisher insbesondere in Fällen «international organisierten»
Drogenhandels und anderen Bereichen, die gemeinhin als «organisierte
Kriminalität» bezeichnet werden. Darüber hinaus konnte die
Bundesanwaltschaft das BKA mit Ermittlungen beauftragen, in denen sie
das Verfahren führt – und das tut sie insbesondere im politischen
Strafrecht. Seit den 70er Jahren ermittelt das Amt insbesondere gegen
«terroristische Vereinigungen» nach § 129a StGB. Sein Kompetenzbereich
erstreckt sich damit nicht nur hier, sondern auch bei der
«organisierten Kriminalität» typischerweise auf Delikte, die eine
Strafbarkeit im Vorfeld konkreter strafbarer Handlungen betreffen. Bei
deren Ermittlung kann es faktisch auf sämtliche in der
Strafprozessordnung vorhandenen Befugnisse zurückgreifen und dazu
gehören insbesondere die verdeckten – sprich: geheimen –
Ermittlungsmethoden: von der Telekommunikationsüberwachung über den
Einsatz von Verdeckten Ermittlern und die länger andauernde Observation
bis hin zum Großen Lauschangriff. Nicht umsonst hat das BKA bei der
Professionalisierung dieser Methoden seit den 80er Jahren eine
bedeutende Rolle gespielt. Im Rahmen seiner Aufgabe der Strafverfolgung
in spezifischen Bereichen übte das Amt damit längstens quasi-präventive
Tätigkeiten aus. Was das bedeutet, haben die Beschuldigten der
129a-Verfahren der letzten Jahre – einschließlich ihres persönlichen
und politischen Umfeldes – hautnah erleben dürfen.
Mit dem neuen
Gesetz wurde diese Beschränkung auf die (quasi-präventive)
Strafverfolgung aufgehoben. Erhalten hat das Amt nun zusätzlich eine
definitiv präventivpolizeiliche Aufgabe und darauf bezogene Befugnisse:
Voraussetzung dafür war die Grundgesetzänderung im Zuge der so
genannten Förderalismus-Reform im Jahre 2006, die dem Bund die
Gesetzgebungskompetenz einräumte für die «Abwehr von Gefahren des
internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalpolizeiamt in
Fällen, in denen eine Länder übergreifende Gefahr vorliegt …» (Art.
73 Abs. 1 Nr. 9a GG). Das Bundesinnenministerium hat in der Debatte um
die BKA-Gesetz-Novelle immer klar gemacht, dass diese neue Aufgabe
keineswegs nur die fallbezogene Abwehr konkreter Gefahren im engeren
Sinne beinhalten sollte, sondern auch die «Verhütung von Straftaten»,
oder klarer gesagt: eine weit über die traditionelle Gefahrenabwehr
hinaus gehende Tätigkeit im Vorfeld.
Für den Bereich der
Terrorismusbekämpfung wiederholt sich damit auf Bundesebene das, was in
den Landespolizeigesetzen schon seit den 80er Jahren passiert ist. Die
traditionelle Aufgabe der Abwehr konkreter Gefahren, die sich immerhin
auf eine bevorstehende und absehbare – daher konkrete – Schädigung
eines Rechtsgutes bezog, auf ein Ereignis oder die Handlung einer
Person (des so genannten Störers), war durchgehend ergänzt worden um
neue Aufgaben, insbesondere die «vorbeugende Bekämpfung» zukünftiger
Straftaten. Damit verloren auch die alten liberalen Beschränkungen
polizeilichen Eingreifens ihren Sinn. Denn Verhältnismäßigkeit kann es
letztlich nur da geben, wo es etwas Drittes gibt, womit die Handlungen
der Staatsgewalt «ins Verhältnis gesetzt», woran sie also gemessen
werden können. Die «vorbeugende Bekämpfung von Straftaten» oder die
«Vorsorge für die künftige Gefahrenabwehr» können aber lediglich
beruhen auf einer Prognose der Polizei, dass in der Zukunft diese oder
jene Straftaten begangen werden oder noch unbestimmte Gefahren
auftreten könnten. Damit geht nicht nur der Maßstab für den Eingriff
verloren. Die (nicht mehr ganz so) neue Präventionsaufgabe macht(e) die
Polizei letztlich zu einem Informations-Junkie: Sie soll etwas
verhindern, ohne dessen Ursachen zu kennen oder sie beeinflussen zu
können. Auf der Ebene, auf der sie «präventiv» agieren kann, führt
dieser Ansatz notwendigerweise zum Einsatz «verdeckter» Methoden, zur
Überwachung suspekter Personen und zur Infiltration verdächtiger
sozialer Milieus – kurz gesagt: zu einer Vergeheimdienstlichung der
Polizei. Nicht umsonst lagen die neuen Befugnisse, die dazu in den
Länderpolizeigesetzen eingebaut wurden, im «informationellen» Bereich,
was auch die geheime («verdeckte») Informationsbeschaffung mit
einschloss.
Für die neue Aufgabe der «Abwehr von Gefahren des
internationalen Terrorismus» räumt der Gesetzgeber dem Amt nicht nur
diejenigen geheimen polizeilichen Befugnisse ein, die bisher den
Länderpolizeien zur Verfügung standen – von der längerfristigen
Observation einschließlich des Einsatzes technischer Mittel über den
Einsatz von V-Leuten und Verdeckten Ermittlern und den Großen Lausch-
(und Späh-) Angriff bis hin zur Rasterfahndung. Hinzu kommen noch
einige neue, so zum Beispiel die präventive
Telekommunikationsüberwachung, die bisher nur von einigen Ländern
verrechtlicht wurde, und die Online-Durchsuchung.
Mit dem neuen
Gesetz ist das BKA auch im polizeirechtlichen Bereich nicht mehr nur
eine Zentralstelle, bei der die Informationen zusammenlaufen, die die
Länder aufgrund ihrer Befugnisse akkumuliert haben. Das Amt hat jetzt
nicht nur in der (präventiv-gewendeten) Strafverfolgung, sondern auch
in der erweiterten Prävention – zumindest im Bereich
«Terrorismusbekämpfung» – selbst praktisch alle denkbaren Mittel an der
Hand. Es kann selbst (präventive) Ermittlungen einleiten und muss sich
dabei nur mit den Ländern «ins Benehmen» setzen.
Das jetzt
verabschiedete Gesetz ist der vorläufige Endpunkt einer Debatte, die im
Herbst 2001 begonnen hat. Schon in seinen ersten Anti-Terror-Paketen
hatte Bundesinnenminister Schily bereits eine Kompetenz des BKA zu
Initiativermittlungen vorgesehen, war damit aber gescheitert. Das im
Dezember 2001 verabschiedete «Gesetz zur Bekämpfung des internationalen
Terrorismus» beließ die Kompetenzen bei den Länderpolizeien und
erlaubte dem BKA nur, Daten, die es in seiner Funktion als
Zentralstelle von den Ländern erhalten hatte, durch das Einholen von
Auskünften zu ergänzen. Nach dem Anschlag in Madrid im März 2004
startete Schily einen erneuten Versuch: In einem Brief an seine
Kollegin vom Justizressort, der am 18. Juni 2004 wundersamerweise in
der «Süddeutschen Zeitung» landete, forderte er, das BKA und das
Bundesamt für Verfassungsschutz mit «einem klaren Weisungsrecht
gegenüber den bisher autonom arbeitenden Länderbehörden» auszustatten,
um «Überschneidungen, Doppelarbeit, Reibungsverluste und
Informationsdefizite» in der Terrorismusbekämpfung zu vermeiden. Was
folgte, war ein sicherheitspolitisches Jekami (jeder kann mitmachen)
quer durch die etablierte Parteienlandschaft, bei der sich die
Beteiligten gegenseitig mit Vorschlägen nach mehr «Sicherheit» und mehr
Zusammenarbeit zwischen den «Sicherheitsbehörden» überboten. Uneinig
war man sich jedoch unter anderem beim Grad der Zentralisierung. Die
Länderinnenminister – egal ob aus CDU/CSU oder SPD – verteidigten ihre
«Standorte» und die Kompetenzen ihrer Ämter. Anfang Juli zog Schily
seine Forderungen zurück, sie seien zurzeit nicht durchsetzbar.
Ein
«klares Weisungsrecht», wie es Schily seinerzeit gefordert hatte,
enthält das nun verabschiedete Gesetz zwar nicht. Es sieht nach wie vor
eine Doppelzuständigkeit von BKA und Landeskriminalämtern vor. Die SPD
hätte jedoch allen Grund, diesen «Kompromiss» als das Ergebnis ihrer
Arbeit zu bezeichnen.
«Vernetzte Sicherheit»
Der 11.
September 2001 ist zwar der Ausgangspunkt des Geredes um die «neue
Sicherheitsarchitektur». Der Begriff signalisiert, dass angesichts der
neuen Bedrohung des «internationalen Terrorismus», die kurzerhand zum
«asymmetrischen Krieg» interpretiert wird, alles «tabulos» neu geplant
werden könnte. Unabhängig von ihrer parteipolitischen Couleur – das
zeigte das zitierte Jekami im Sommer 2004 – scheint den hiesigen
ProtagonistInnen dieser Debatte völlig unstrittig, dass das
Nebeneinander von – je nach Zählung – bis zu vierzig
«Sicherheitsbehörden» alleine auf bundesdeutscher Ebene zu mangelnder
Effizienz der Terrorismusbekämpfung führe. «Vernetzung» lautet deshalb
das ständig wiederkehrende Stichworte.
So neu das alles scheint,
so deutlich wird bei näherer Betrachtung allerdings, dass der zum
magischen Datum avancierte 11. September 2001 für die reale Entwicklung
der staatlichen Gewaltapparate vor allen Dingen ein ideologischer
Verstärker war. Wesentliche Elemente der «neuen Sicherheitsarchitektur»
sind als Verlängerung und Zuspitzung von Prozessen zu verstehen, die
zum Teil bereits seit Jahrzehnten in Gange sind.
Das gilt
insbesondere für die Zentralisierungstendenzen und die präventive
Orientierung, die Vergeheimdienstlichung der Polizeien, die in den 70er
Jahren bereits als Mittel der Terrorismusbekämpfung propagiert, danach
aber als Strategien gegen «organisierte Kriminalität» verkauft wurden.
Letztere war der Bezugspunkt für die Verrechtlichung jener geheimen
polizeilichen Methoden, die in den Polizeigesetzen unter dem Titel
«Besondere Formen der Datenerhebung» firmieren und im
geheimdienstlichen Bereich schlicht «nachrichtendienstliche Mittel»
heißen.
Das Gegenstück der Vergeheimdienstlichung der Polizeien,
nämlich die Verpolizeilichung der Geheimdienste hat ebenfalls einen
langen Vorlauf. Bereits Ende der 70er konnte das Bundesamt für
Verfassungsschutz dem Bundesgrenzschutz Aufträge für die
Grenzkontrollen erteilen, was dem Amt über die fehlenden exekutiven
Befugnisse hinweghalf. Im Verfassungsschutzgesetz von 1990 erhielt dies
auch eine formelle Rechtsgrundlage. Als Reaktion auf den Verlust des
alten antikommunistischen Feindbildes aus dem Kalten Krieg machten sich
die Geheimdienste in den 90ern daran, über den Bereich der politischen
Überwachung hinaus in die Domänen der Kriminalpolizei vorzudringen:
Einige Bundesländer, allen voran Bayern, erlaubten ihren
Verfassungsschutzämtern nun die «Beobachtung» der «organisierten
Kriminalität». Auch der BND begann in den 90ern zweifelhafte Expertisen
zum internationalen Drogenhandel und zu «Sonderformen der organisierten
Kriminalität», später auch zu Migrationsfragen, anzufertigen und
stürzte sich 1994 mit der Plutoniumschmuggel-Affäre in einen der
größten seiner vielen Skandale. In einigen Staaten, in denen das BKA
nicht präsent war, übernahmen BND-Leute seit 1992 die Rolle der
«Rauschgift-Verbindungsbeamten». Das G-10-Gesetz ermächtigte den
Auslandsgeheimdienst 1994, seine «strategische» Überwachung des
internationalen Telekommunikationsverkehrs auch auf vermutete
OK-Bereiche auszudehnen. Dass die Dienste im
Terrorismusbekämpfungsgesetz von Ende 2001 nun auch weitere
quasi-polizeiliche Befugnisse zum Abfragen von Daten bei
Telekommunikationsprovidern, Banken und Fluggesellschaften erhielten,
erscheint vor diesem Hintergrund nicht als ein Bruch, sondern als
Fortsetzung eines bereits anhaltenden Prozesses.
Dasselbe gilt für
die Zusammenarbeit von Polizei und Diensten. Rechtliche Grundlagen für
den Informationsaustausch fanden sich schon in den 1990, kurz nach der
Vereinigung, verabschiedeten Geheimdienstgesetzen. Die in dieser Phase
einsetzende Debatte, ob das aus dem «Polizeibrief» der Westalliierten
zum Grundgesetz resultierende «Trennungsgebot» von Polizei (mit
exekutiven Befugnissen) und Geheimdiensten (ohne dieselben) noch
Verfassungsrang habe, ist mittlerweile ersetzt durch eine neue
Interpretation dieses Gebots: Die nur mehr als organisatorisch
verstandene Trennung verpflichte umso mehr zur Zusammenarbeit der
beiden Seiten der staatsschützerischen Medaille. Diese Zusammenarbeit
hat mittlerweile institutionelle Ausprägungen: Neben dem «Gemeinsame
Terrorismus-Abwehrzentrum» (GTAZ) sind hier unter anderem das
«Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration» (GASIM)
sowie diverse Arbeitsgruppen auf Länderebene zu nennen. Da sie nicht
als eigenständige Behörden gelten, spart man sich eine eigene
Rechtsgrundlage. Verrechtlicht wurde dagegen Ende 2006 die
Anti-Terror-Datei, die sowohl von den Geheimdiensten als auch von den
Polizeien gefüttert und genutzt wird, sowie die gemeinsamen
«Projektdateien», die bei Bedarf entweder beim BKA, beim Bundesamt für
Verfassungsschutz oder beim BND angesiedelt werden können. Die Bildung
einer gemeinsamen Überwachungszentrale im Bundesverwaltungsamt, die
gegenüber der Öffentlichkeit als eine bloß technische
Dienstleistungseinheit verharmlost wird, ist ein weiteres
Mosaiksteinchen in der neuen polizeilich-geheimdienstlichen Gemengelage.
Die
wachsende Rolle des Militärs unter den «Sicherheitsbehörden» ist eine
der wirklichen Neuerungen der «neuen» Sicherheitsarchitektur. Das
Bundesverfassungsgericht hat zwar den im Luftsicherheitsgesetz
vorgesehenen Abschuss ziviler Flugzeuge als verfassungswidrig
bezeichnet. Die militärisch-polizeiliche Kooperation bei der Kontrolle
des Luftraums steht nicht in Frage. Auch nicht der Einsatz von
AWACS-Flugzeugen der NATO, sei es bei der Fußball-WM oder anlässlich
des G8-Gipfels. Schon bei der Fußball-WM im Jahre 2006 konnte man
sehen, wie die «technische Amtshilfe» durch die Bundeswehr eine neue
quantitative Dimension erhielt. Die veränderte qualitative Dimension
zeigte sich dann ein Jahr später beim G8-Gipfel: Amtshilfe bei der
«Aufklärung» in Form von Tornado-Tiefflügen …
Die neue Rolle des
Militärs fällt jedoch nicht in das Notstandsschema, das den Bezugspunkt
der innerstaatlichen Gewaltapparate insgesamt in den ersten beiden
Jahrzehnten der BRD bildete. Seine Realitätsferne wurde in den
Konflikten mit der Studentenbewegung offensichtlich. Seit der
Verabschiedung der Notstandsgesetze 1968 hat es keinen Einsatz des
Militärs gegeben. Die 70er Jahre brachten auch die Entmilitarisierung
der Bereitschaftspolizeien und des Bundesgrenzschutzes, der damit
überhaupt erst einsetzbar wurde und seitdem zur ständigen
Eingriffsreserve in den Auseinandersetzungen mit den sozialen
Bewegungen werden konnte.
Die Beteiligung des Militärs an der
«neuen Sicherheitsarchitektur» besteht eben nicht darin, dass Soldaten
mit Maschinengewehren und Handgranaten gegen Menschenmassen vorrücken.
Es geht vielmehr einerseits um eine Hilfspolizeirolle und andererseits
um sehr spezifische «Dienstleistungen» des Militärs. Und es geht um die
Arbeitsteilung zwischen Militär und Polizei bei Auslandseinsätzen –
also um die innere Sicherheit von Gebieten, in denen deutsches Militär
im Kontext von EU-, Nato- oder UN-Einsätzen präsent ist.
Europäische «Konvergenz»
Dass
Apparate der Inneren Sicherheit über die Staatsgrenzen hinweg
zusammenarbeiten, ist nichts wirklich Neues. Neu sind jedoch die
Ausmaße und Formen der Zusammenarbeit und die internationale
Ausrichtung der Apparate, die sich im Rahmen der EG/EU seit Ende der
80er Jahre entwickelt hat. Die Anfänge dieser ausgeweiteten
europäischen Kooperation wurden in den 90er Jahren noch in Form von
völkerrechtlichen Verträgen wie dem Schengener Übereinkommen oder der
Europol-Konvention gelegt, die erste zentrale Datenbanken und
Institutionen ermöglichten. Formell findet die innen- und
justizpolitische wie die außen- und militärpolitische Kooperation zwar
immer noch (größtenteils) im intergouvernementalen Rahmen statt.
Faktisch erweist sich die EU jedoch längstens als ein neuartiges
Staatsgebilde, in dem Kommission und Ministerrat weitgehend ohne
äußeren Einfluss eine europäische Innenpolitik betreiben, die sich seit
dem Tampere-Gipfel von 1999 in Form von Fünfjahresplänen
weiterentwickelt. «Vernetzung» ist auch hier das zentrale Muster.
Bereits
im Haager Programm von Ende 2004 (für die Jahre 2005-2010) einigten
sich die Regierungen auf den «Grundsatz der Verfügbarkeit». Danach
sollte die EU nicht mehr (nur) zentrale Datenbanken aufbauen – das tut
sie weiterhin, wie die Planungen für das Schengener Informationssystem
der zweiten Generation und das Visumsinformationssystem zeigen. Ziel
sollte nunmehr vor allem sein, den gegenseitigen automatischen Zugriff
auf die jeweiligen nationalen Datenbanken der Polizeien zu ermöglichen.
Für DNA-Profile, Fingerabdrücke und Daten von Kraftfahrzeugen bzw.
deren HalterInnen ist dies bereits mit dem so genannten Prümer Vertrag
geschehen. In den nächsten fünf Jahren sollen mindestens zehn weitere
Datenkategorien hinzukommen.
Für das neue Fünfjahresprogramm, das
Ende des Jahres unter schwedischer Präsidentschaft verabschiedet werden
soll, hat die so genannte Zukunftsgruppe, eine «informelle, hochrangige
Arbeitsgruppe» der Innenministerien von neun Mitgliedstaaten sowie der
Kommission den Blueprint geliefert. Sie propagiert nun den neuen
Grundsatz der «Konvergenz». Für die «operative» Kooperation dürfte das
neue Prinzip ähnliche Konsequenzen haben wie zuvor jenes der
Verfügbarkeit für den Informationsaustausch: Die Zukunftsgruppe will
nicht mehr nur die «Vernetzung» zentraler EU-Institutionen, wie dem
EU-Polizeiamt Europol, der Vorläuferinstitution einer
EU-Staatsanwaltschaft Eurojust und dem geheimdienstlichen Lagezentrum
«SitCen» beim Generalsekretariat des Rates – Institutionen, die
nebenbei gesagt verschiedenen «Säulen» der EU angehören: Europol und
Eurojust der dritten (Inneres und Justiz), SitCen der zweiten (der
militarisierten Außenpolitik). Die Zukunftsgruppe fordert darüber
hinaus eine «Vernetzung» zwischen den «Sicherheitsbehörden der
Mitgliedstaaten: Das beinhaltet unter anderem die erneute Ausweitung
der grenzüberschreitenden polizeilichen Einsatzformen: Benachbarte
EU-Staaten sollen ihren Polizeien gegenseitig auch die Wahrnehmung
exekutiver Befugnisse ermöglichen. Gemeinsame Kommissariate sollen
gemischte Observationsgruppen und gemischte Streifen beidseits der
angeblich nicht mehr kontrollierten Binnengrenzen koordinieren. Darüber
hinaus debattieren die EU-Gremien auch über eine weitere
Verrechtlichung grenzüberschreitender «verdeckter» Ermittlungen.
Noch
häufiger als bisher soll es nach Willen der Zukunftsgruppe auch die von
Europol und/oder Eurojust koordinierten Gemeinsamen Ermittlungsgruppen
geben, von denen einige offenbar bisher schon permanent arbeiten.
Die
Zukunftsgruppe hat realisiert, dass die Verstärkung der
geheimdienstlichen Zusammenarbeit mit Schwierigkeiten verbunden ist.
Während der Austausch zwischen den Polizeien immer selbstverständlicher
werde, bleibe der zwischen den Diensten eine «große Herausforderung»,
weil hier eben nicht das Prinzip der Verfügbarkeit gelte, sondern das
der «Vertraulichkeit». Um dennoch «Synergien zwischen Polizei und
Nachrichtendiensten zu nutzen», schlägt die Gruppe nun vor,
«Terrorismus-Abwehrzentren» nach deutschem Vorbild aufzubauen und diese
EU-weit zu vernetzen. Dass neben dieser institutionalisierten
Zusammenarbeit die inoffizielle «operative» geheime Kooperation der
geheimen Dienste weiterläuft, dass sie terroristische Konsequenzen hat
– sichtbar am Verschwinden von Personen im Lager auf Guantánamo oder in
den Folterkellern «befreundeter» Staaten –, taucht im Papier der
Zukunftsgruppe nicht auf.
Ein unvollständiges Fazit
Die «neue
Sicherheitsarchitektur» stellt sich dar als eine weitläufige
Großbaustelle, auf der die Übersicht verloren gegangen ist. Sie ist
nicht das Ergebnis eines nach den Anschlägen in den USA aufgestellten
Masterplans, sondern vereint in sich Entwicklungen, die zum Teil
bereits an der Wende zu den 70ern, spätestens aber ab den 90er Jahren
eingeläutet wurden. Von daher ist auch nicht davon auszugehen, dass der
Reigen der Sicherheitsgesetze mit der Verabschiedung desjenigen über
das BKA beendet sein wird. Die Rede von der «vernetzten Sicherheit»,
die sowohl in der BRD als auch auf EU-Ebene zum festen Repertoire der
jeweiligen Charaktermasken an der Spitze von Ministerien gehört,
verdeckt die etablierten politischen und apparativen Interessen, die
hier im Spiel sind, und die Schwierigkeiten bei der Umsetzung der
verschiedenen Pläne.
«Vernetzung» bedeutet vor allem, dass keiner
der Beteiligten dem anderen wirklich etwas nimmt. Alle erhalten mehr
Befugnisse, mehr Geld, mehr Personal. Das Resultat sind
Doppelzuständigkeiten, bei denen sich BKA und Länderpolizeien «ins
Benehmen» setzen müssen, Datenbanken, die sowohl von Polizei- als auch
von Geheimdiensten genutzt werden, Kooperationsgremien und «Zentren»,
deren Tätigkeit auch nach der x-ten parlamentarischen Anfrage im
Dunkeln bleibt etc.
«Vernetzung» bedeutet ferner, dass Grenzen
verschwinden, die ihren guten (liberal-) demokratischen Sinn darin
hatten, staatliche Machtentfaltung zu verhindern: die Trennung zwischen
Militär und Polizei, von Innen- und Außenpolitik, von Polizei und
Geheimdiensten … Dort wo diese Entgrenzung überhaupt rechtlich
festgeschrieben wird, muss sie notwendigerweise in unbestimmten
Rechtsbegriffen, in Rechtsunsicherheit und Willkür gegenüber den
Betroffenen enden.
Vor diesem Hintergrund reicht es offensichtlich
nicht aus, einzelne Vorhaben einer Detailkritik zu unterziehen, die
anschließend im parlamentarischen Papierkübel landet oder sich
allenfalls in einer veränderten Kommasetzung niederschlägt. Gerade weil
ihr «realpolitischer» Einfluss auf diese Entwicklungen begrenzt ist,
kann und muss sich die Linke den Luxus gründlicher Analyse und
demokratischer Radikalität leisten.
erscheint in telegraph | ostdeutsche zeitschrift Nr. 118 (www.telegraph.ostbuero.de).
Source: http://www.grundrechtekomitee.de/ub_showarticle.php?articleID=313