Passwörter nicht mitgeteilt – Engländer in Haft

In England können Menschen inhaftiert werden, die sich weigern, den Ermittlungsbehörden ihre Passwörter mitzuteilen. Nun wurde der erste Mensch aufgrund dieses Gesetzes ins Gefängnis gesperrt: ausgerechnet ein psychisch Kranker.

[gulli.com] Der 2007 eingeführte sogenannte Regulation of Investigatory Powers Act (RIPA) dient nach Angaben der britischen Regierung der Bekämpfung des Terrorismus und anderer schwerer Straftaten. In ihm ist unter anderem festgelegt, dass jeder, der sich weigert, auf Anweisung der Ermittlungsbehörden seine Passwörter herauszugeben, mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden kann. In diesem Jahr gab es offenbar den ersten Fall, in dem diese Regelung tatsächlich angewendet wurde. Wie das IT-News-Portal The Register herausfand, handelt es sich bei dem ersten Betroffenen dieser umstrittenen Maßnahme um einen 33-jährigen Hobbywissenschaftler aus London. Der Mann, der unter dem Pseudonym "JFL" auftritt, soll an Schizophrenie leiden und keinerlei Vorstrafen haben.

JFL wurde im Juni dieses Jahres zu neun Monaten Haft verurteilt, als er sich weigerte, der Polizei Zugriff auf seine verschlüsselten Daten zu verschaffen. Er gab an, die Verschlüsselung habe dazu gedient, vertrauliche Daten seiner kleinen Software-Firma zu schützen. Ins Visier der Polizei, genauer gesagt der Elite-Einheit Counter-Terrorism Command (CTC) der Metropolitan Police, geriet JFL, als er im September 2008 von Frankreich aus nach England einzureisen versuchte. Die Spürhunde der Beamten in Frankreich schlugen damals bei einer von JFL mitgeführten Modell-Rakete an. Zudem war noch eine (mittlerweile ohne Anklage eingestellte) Zoll-Angelegenheit offen. Diese Umstände sorgten dafür, dass der Mann direkt bei seiner Einreise eine unangenehme Begegnung mit dem Zoll und den Terror-Fahndern hatte.

Beim folgenden Verhör schwieg JFL stundenlang beharrlich. Er erklärte dies später mit seinem generellen Misstrauen Autoritäten gegenüber und damit, dass er an das Recht zu schweigen glaube.

Negativ wirkte sich aus, dass an einer Hand des Mannes Sprengstoffspuren gefunden wurden – allerdings in so geringer Menge, dass sich daraus keinerlei Anklagepunkte ergaben. Nach Angaben von Experten werden derart geringe Mengen von Sprengstoff normalerweise als nicht relevant eingestuft. JFL gibt an, er habe keine Ahnung, wo der Sprengstoff herkommt. Er kam auf Bewährung frei, wurde aber kurz darauf wegen Mitführens eines Taschenmessers erneut festgenommen. Daraufhin verlangten die CTC-Beamten, einen Blick auf mehrere beschlagnahmte Festplatten und USB-Sticks zu werfen – die allerdings verschlüsselt waren.

Der Mann weigerte sich und bekam daraufhin eine Frist gesetzt, die er verstreichen ließ. Er fühlte sich nach eigenen Angaben "hilflos" und von den Behörden "unter Druck gesetzt" und befürchtete, die Fahnder wollten ihm eine Straftat anhängen. Deswegen versuchte er, unterzutauchen, wurde allerdings kurze Zeit später aufgespürt. Mehrere Beamte mit Maschinenpistolen stürmten daraufhin seine Wohnung. JFL wurde festgenommen und erhielt eine Stunde Zeit, den Schlüssel für die mit dem Programm "PGP Whole Disc Encryption" verschlüsselten Datenträger herauszugeben.

Da es sich um mehrere Datenträger handelte, wurden JFL aufgrund seiner erneuten Weigerung, der Aufforderung nachzukommen, gleich zehn RIPA-Verstöße zur Last gelegt. Die Beamten deuteten in einem Interview an, auf der Festplatte könnten sich "Kinderpornographie oder Bombenbau-Anleitungen" befinden und argumentierten, wenn sie die Schlüssel nicht erhielten, könnten sie schließlich nicht wissen, dass dies nicht der Fall sei. JFL schwieg weiter. "Aus Prinzip – so einfach ist das," sagte er später.

Er wurde verurteilt und ins Gefängnis gesperrt, bis er im September in die psychiatrische Abteilung verlegt wurde. Der Richter gab zwar zu, dass JFL kaum eine Bedrohung für die nationale Sicherheit darstelle und ein sehr zurückgezogenes, auf Computer, Internet und wissenschaftliche Experimente fixiertes Leben führe. Allerdings wies man auch darauf hin, dass er einige Bücher über Themen wie Drogenherstellung, Schusswaffen und Verschlüsselung besaß – die allerdings allesamt legal bei Amazon erhältlich sind. Auch besaß JFL zahlreiche Chemikalien, Bastelkram, Körperpanzerung und einen Metalldetektor. Der Richter merkte an, angesichts dieser Indizien sei es verständlich, dass die Behörden einen terroristischen Hintergrund befürchtet hätten.

Versuche der Behörden, die verschlüsselten Datenträger zu knacken, schlugen fehl – wobei unklar ist, wie ernsthaft dies versucht wurde. Letztendlich wurde JFL als "gewöhnlicher" Krimineller und nicht als Terrorist verurteilt. Der Richter merkte an, der Angeklagte habe sich zwar mehrerer Straftaten schuldig gemacht. Er habe dabei aber niemandem geschadet – die Straftaten stünden allesamt mit mangelnder Kooperation mit den Ermittlungsbehörden in Verbindung. Offenbar wurde versäumt, sich über JFLs gesundheitliche Probleme zu informieren, weswegen diese vor Gericht keine Beachtung fanden, obwohl er vor dem Urteil mehrfach freiwillig in psychiatrischer Behandlung war.

Trotz dieser Vorkommnisse sind Regierung und Ermittler nach wie vor überzeugt, RIPA im Kampf gegen den Terrorismus zu brauchen. Die Regierung sieht die Verschlüsselung von Dokumenten und E-Mails offenbar als Bedrohung der nationalen Sicherheit. Fälle wie der JFLs zeigen allerdings die Kehrseite der Medaille überdeutlich: Derartige Maßnahmen machen auch Unschuldige zu Betroffenen. Nun werden sich wohl noch mehr Engländer fragen, was sie in einem derartigen Fall tun würden. Schweigen und damit womöglich eine Haftstrafe riskieren? Oder nachgeben? Niemand möchte wohl zu dieser Wahl gezwungen werden, aber wie der Fall "JFL" zeigt, kann dies nur allzu leicht bittere Realität werden. 

Source: http://www.gulli.com/news/passw-rter-nicht-mitgeteilt-engl-nder-in-haft-2009-11-25