Organisationsparagraphen zur Zerschlagung tierbefreierischen Aktivismus
[antirep2008.lnxnt.org] „Vereinigung zu Erpressung“, „Bildung einer Kriminellen
Organisation“ oder so ähnlich klingen Strafverfolgungsmaßnahmen, die in
jüngster Zeit immer mehr politischen Aktivist_innen zum Verhängnis
wurden. Nicht nur in Österreich, in vielen anderen Ländern auch, werden
seit einigen Jahren Organisationsparagraphen zunehmend gegen politische
Initiativen eingesetzt. Die Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung steht
dabei leider an vorderster Stelle.
Organisationsparagraphen
Spätestens nach den mörderischen Anschlägen vom 11. September 2001
haben die meisten westlichen Länder Anti-Terror-Gesetzgebungen
erlassen. Diese stellen oft eine Sonderform der auf innereuropäischer
Ebene spätestens 2004 vereinheitlichten Gesetzestexte gegen die
Organisierte Kriminalität dar. 1
Organisationsparagraphen ahnden keine Gesetzesverstöße im
herkömmlichen Sinne. Sie kennzeichnen vielmehr die Möglichkeit
sogenannte Vorfelddelikte unter Strafe zu stellen. Darunter werden
Aktivitäten zusammengefasst, die zwar an sich nicht strafbar sind, aber
in Zusammenhang mit Organisierter Kriminalität an strafbaren Handlungen
teilhaben und diese fördern. Damit sollten die vermeintlichen
„Hintermänner, die sich nicht die Finger schmutzig machen“ dingfest
gemacht werden. So ist, wie dies eine österreichische Strafrechtlerin
darstellte, das Organisationsdelikt als ein „Glied einer Verlaufsreihe
[zu] betrachten, an deren Ende das vollendete Delikt steht.“ 2
Die Abstrafung von Vorfelddelikten stellt gewissermaßen eine
Vorverlagerung der Strafverfolgung dar. Es werden nicht nur begangene
Verstöße gegen das Strafgesetzbuch verfolgt, stattdessen wird versucht
die Begehung dieser im Vorfeld zu unterbinden und vorbereitende
Handlungen ebenso zu ahnden.
Organisationsdelikte werden nicht nur genutzt, um ein für
Strafverfolgungsbehörden unüberschaubares Feld von politischen
Aktivist_innen und Sympathisant_innen zu kriminalisieren. Auf
Organisationsparagraphen, ebenso wie auf Terrorparagraphen im
speziellen, stehen im Vergleich zu den tatsächlich vollendeten
Straftaten ungleich höhere Strafen. Ein weiterer Aspekt betrifft die
umfassende Legitimierung der Strafverfolgsbehörden zur Überwachung
vermeintlich Verdächtiger durch die Anwendung von Paragraphen gegen
Terrorismus oder Organisierte Kriminalität. Eine Tatsache, die bei den
folgenden Beispielen noch deutlich werden wird.
I. USA
Bereits in den 1960er Jahren wurden Vereinigungsdelikte in den USA
gegen Gegner_innen des Vietnam-Kriegs in Anschlag gebracht. In jüngster
Zeit gerieten sie in Vergessenheit, da sie kaum gegen politische
Aktivist_innen Anwendung fanden. Erst im Mai 2004 wurden sie wieder
Gegenstand öffentlicher Diskussion, als SHAC (Stop Huntingdon Animal
Cruelty), eine Tierrechtskampagne sowie sechs Tierrechtsaktivist_innen,
die Anti-Tierversuchsproteste koordiniert haben sollen, wegen
„Verschwörung zum Verstoß gegen den Animal Enterprise Protection Act
(AEPA)“ angeklagt wurden. Der AEPA oder später Animal Enterprise
Terrorism Act (AETA) 3
trat 1992 in Kraft und zielt auf die Kriminalisierung von
Tierrechtsaktivist_innen ab: Der Gesetzestext stellt die „Störung oder
Einmischung in Handlungen eines tiernutzenden Unternehmens“ 4
unter Strafe. Die sechs Aktivist_innen hätten zusammen mit anderen seit
dem Jahr 1999 eine überaus erfolgreiche Kampagne zur Schließung eines
der größten Tierversuchsunternehmen weltweit, Huntingdon Life Sciences
(HLS), mitgetragen. HLS ist ein sogenanntes Auftragslabor. In den vier
Niederlassungen von HLS werden Versuche an Tieren u.a. im Auftrag der
Pharma- und Chemieindustrie durchgeführt, um die Giftigkeit von
Substanzen zu testen. Jedes Jahr werden von HLS rund 70.000 Tiere in
Tierversuchen getötet. Die Kampagne stützt sich vor allem auf legale
Protestaktionen, wie Demonstrationen, Kundgebungen und Infotische, doch
auch ziviler Ungehorsam, wie Run-Ins, Ankettaktionen oder
Dachbesetzungen kamen zum Einsatz. Am Rande der seit Jahren weltweit
agierenden Kampagne wurden auch politisch motivierte Sachbeschädigungen
als Mittel eingesetzt, um das Unternehmen HLS unter Druck zu setzen.
Den angeklagten Aktivist_innen wurde neben der Verschwörung zum Verstoß
gegen den AEPA auch Stalking in mehreren Fällen vorgeworfen. 5
Die unzähligen Zeug_innen, die vor Gericht gegen die Beschuldigten
aussagen sollten, konnten in keiner Weise einzelne der Aktivist_innen
mit Straftaten in Verbindung bringen. Einzig wurde ihnen angelastet,
eine Kampagnen-Website mit möglichen Protestzielen, darunter auch
Privatadressen von bei HLS Beschäftigten online gestellt zu haben und
Straftaten gegen Tierausbeuter_innen gut zu heißen.
Alle sechs angeklagten Aktivist_innen wurden zu Haftstrafen bis zu 6 Jahren verurteilt.
II. England
Im Zusammenhang mit derselben Tierrechts-Kampagne wurden im Mai 2007
unter Einsatz von 700 Polizist_innen europaweit Hausdurchsuchungen
durchgeführt und 30 Aktivist_innen verhaftet. Die Ermittlungen der
Behörden umfassten neben Observationen auch das Abhören von Wohnräumen
und die Zusammenarbeit mit einem in die Bewegung eingeschleusten
Spitzel. Mehrere der Aktivist_innen wurden wegen der Verschwörung zur
Erpressung angeklagt und sieben davon im Januar 2009 zu Haftstrafen bis
zu elf Jahren verurteilt. Zusätzlich bekamen einzelne von ihnen
sogenannte ASBOs (Anti Social Behaviour Orders) für die Dauer ihres
restlichen Lebens auferlegt, die ein weiteres Engagement gegen
Tierversuche, auch auf legaler Ebene, unter Strafe stellen. Jedes
Betreiben einer Website, jede Organisation eines Treffens zum Thema
Tierversuche und jede Unterschirftensammlung gegen Experimente an
Tieren würde für die Betroffenen die Rückkehr in das Gefängnis bedeuten.
III. Österreich
Als im Herbst 2006 verschiedene Tierrechtsinitiativen geschlossen zu
einer österreichweiten Anti-Pelz-Kampagne gegen das größte
Modeunternehmen Kleider Bauer aufriefen und die ersten Protestaktionen
abgehalten wurden, schmiedeten Beamt_innen des österreichischen
Innenministeriums erste Pläne zur Niederschlagung der Kampagne. In
einem Treffen 6
mit dem Management des pelzverkaufenden Modekonzerns Kleider Bauer
wurde beschlossen, die regelmäßigen Kundgebungen vor den Geschäften
behördlich zu untersagen. Als Begründung reichte aus, dass die Polizei
die Sicherheit nicht aufrecht erhalten könne, nachdem in einem Fall
nachts Eigentum von Kleider Bauer beschädigt wurde. Da die
Tierrechtler_innen aber weiterhin von ihrem Recht auf
Versammlungsfreiheit Gebrauch machten und die Behörden, wie es
mittlerweile als belegt gilt 7,
keinen Zusammenhang zwischen den Sachbeschädigungen und den legalen
Protesten herzustellen vermochten, wurde der Paragraph 278a zur
Kriminalisierung der koordinierten Proteste ins Feld geführt. Der
Paragraph 278a stellt die Bildung und Mitgliedschaft einer Kriminellen
Organisation unter Strafe und wurde in Österreich bisher vor allem im
Zusammenhang mit Vorwürfen der Schlepperei, des Drogenhandels und des
Menschenhandels in Verbindung gebracht.
Seit Herbst 2006 wird nun gegen Aktivist_innen der Tierschutz- und
der Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung nach dem Vereinigungsparagraphen
278a ermittelt. Die Ermittlungen waren, wie mittlerweile aus der
Aktenlage ersichtlich ist, von Anfang an von einem großzügigen Einsatz
von Überwachung begleitet: Abgehorchte Mobiltelefone,
Funkzellenauswertung, Peilsender auf Autos und Observationen über
Monate hinweg. Da dies offenbar nicht zu den gewünschten Erfolgen
führte, weiteten die Ermittler_innen die Maßnahmen sukzessive aus. So
wurden nicht nur Finanzermittlungen gegen einzelne Personen und
Initiativen eingeleitet, sondern auch mindestens eine Wohnung heimlich
verwanzt und Kameras an Wohnhäusern angebracht um Gespräche in
Privaträumen überwachen zu können bzw. um Bewegungsprofile von
Aktivist_innen zu erstellen. Im Fadenkreuz der extra dafür gebildeten
polizeilichen Sonderkommission standen mindestens 40 bekannte
Aktivist_innen und eine unbekannte Anzahl weiterer Personen.
Im Mai 2008 stürmten Sondereinheiten der Polizei österreichweit 23
Wohnungen und Büros, durchsuchten diese und nahmen zehn Menschen fest.
Nach dreieinhalb Monaten Untersuchungshaft und einer beispiellosen
weltweiten Solidaritätskampagne wurden die Beschuldigten aus dem
Gefängnis entlassen. Die andauernde Untersuchungshaft stehe nicht mehr
im Verhältnis zu der erwartenden Strafe, begründete die
Oberstaatsanwaltschaft die überraschende Freilassung der Aktivist_innen.
Nichtsdestotrotz folgte ein Jahr später, im Herbst 2009, eine
Anklage. Obwohl ein Großteil der ursprünglichen Anschuldigungen fielen,
bleibt der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer Kriminellen Organisation
bestehen. Den Angeklagten wird vorgeworfen, Mitglied in einer seit 1996
existierenden kriminellen Struktur zu sein, die sich sowohl für alle
legalen als auch illegalen Aktivitäten im Tierschutz- und
Tierrechtsbereich verantwortlich zeichnet. Dabei soll schlicht jede
Aktivität im Bereich Tierschutz/Tierrechte ein Beleg zur Mitgliedschaft
darstellen. Selbst legale Aktivitäten wie Kundgebungen polizeilich
anmelden und Vorträge organisieren, diene einzig und allein den Zielen
der Kriminellen Organisation.
Erstmals also werden in Österreich 2010 politische Aktivist_innen
wegen eines Vereinigungsdeliktes vor Gericht stehen. Die ermittelnde
Staatsanwaltschaft hat für den bevorstehenden Prozess über hundert
Belastungszeug_innen geladen. Allein schon dadurch ist dafür gesorgt,
dass der Prozess für die Angeklagten finanziell ruinös enden wird. Sie
müssen auch im Fall eines Freispruchs für mindestens einen Teil der
Anwaltskosten aufkommen. Bei dem zu erwartenden Umfang des Prozesses
wird dies pro Person mehrere 10.000 € ausmachen. Darüber hinaus drohen
Haftstrafen von bis zu fünf Jahren im Falle einer Verurteilung.
Organisationsparagraphen abschaffen!
Dass die verstärkte Repression gegen die globale
Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung kein Zufall ist, zeigt allein schon
der Bezug der österreichischen Ermittler_innen auf sehr ähnlich
geartete Fälle in England. Nicht nur in Großbritannien und Österreich
wird die Tierrechtsbewegung mit zunehmendem Interesse der
Strafverfolgungsbehörden bedacht. Selbst Europol, die Vernetzung der
Europäischen Behörden zur Bekämpfung international organisierter
Kriminalität und Terrorismus, meint eine zunehmende Bedrohung der
europäischen Sicherheit durch die Bewegung für die Befreiung der Tiere
wahrnehmen zu können.8
Doch auch andere soziale Bewegungen haben mit erheblichen
staatlichen Repressalien zu kämpfen. In vielen Ländern werden
politische Aktivist_innen verhaftet und für ihre Meinung oder ihr
politisches Engagement bestraft. Da die
Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung verhältnismäßig klein und zum Teil
marginalisiert, aber überaus aktiv ist, stellt sie offenbar ein
passendes Testfeld für neue Technologien der Überwachung und neuartige
Methoden der Kriminalisierung durch die Strafverfolgungsbehörden dar.
Es wäre nicht überraschend, wenn diese in weiterer Folge auf andere
politische Bewegungen oder breite Teile der Bevölkerung ausgeweitet
werden.
In Ländern, in denen sich die Anwendung von Organisationsparagraphen
schon bewährt hat, stehen ohnehin bereits vielfältige politische
Initiativen vor Gericht, seien es Antimilitaristische Aktivist_innen in
Deutschland, Anarchosyndikalist_innen in Serbien oder Öko-Autonome in
Frankreich.
Die zunehmende Anwendung von Vereinigungsparagraphen ist eine nicht
zu unterschätzende Entwicklung, die über kurz oder lang immer mehr
politische Initiativen betreffen wird und politisches Engagement
insgesamt einzuschränken vermag. Daher gilt es sich mit den Betroffenen
zu solidarisieren und die Möglichkeiten zum organisierten politischen
Engagement zu verteidigen!
- http://europa.eu/legislation_summaries/justice_freedom_security/fight_against_organised_crime/l33084_de.htm (Zugriff: 17.10.2009) ↩
- Velten, Petra: Die Organisationsdelikte haben
Konjunktur: Eine moderne Form der Sippenhaftung? Banken und
Tierschützer vor Gericht. In: Journal für Strafrecht (JSt), Zeitschrift
für Kriminalrecht, Strafvollzug und Soziale Arbeit, Heft 2, 2009 ↩ - Der AEPA wurde 2006 zum AETA abgeändert. Die
wesentlichen Unterschiede liegen in der breiteren Definition, was ein
„Animal Enterprise“ sei, in der Anpassung des Gesetzes an neue
Strategien von Tierrechtskampagnen durch die Kriminalisierung von
Protesten bei Geschäftspartner_innen von tiernutzenden Unternehmen,
welche auf die Ausübung von Druck auf die ursprünglichen Protestziele
abzielen würden und schließlich in der Ausweitung des maximalen
Strafrahmens. ↩ - (meine Übersetzung, C.M.) Der original Gesetzestext: http://www.govtrack.us/congress/billtext.xpd?bill=s109-3880 (Zugriff 17.10.2009) ↩
- Siehe http://shac7.com/case.htm (Zugriff 17.10.,2009) ↩
- Siehe dazu http://www.peterpilz.at/data_all/tagebuch/2009/Bericht2.pdf, http://www.peterpilz.at/data_all/tagebuch/2009/Bericht3.pdf und http://www.peterpilz.at/data_all/tagebuch/2009/Bericht4.pdf ↩
- Siehe dazu Resümeeprotokoll vom 05. April 2007 http://www.peterpilz.at/data_all/tagebuch/2009/Bericht2.pdf (Zugriff 17.10. 2009) ↩
- http://www.europol.europa.eu/publications/EU_Terrorism_Situation_and_Trend_Report_TE-SAT/TESAT2009.pdf (Zugriff 17.10.2009) ↩