Brüssel will mehr Macht für Frontex

OLIVER GRIMM

GRENZSCHUTZ. Die EU-Agentur Frontex soll laut Vorschlag der Kommission Flüchtlinge auf die 27 Staaten verteilen und die Mitgliedstaaten für Versäumnisse kritisieren dürfen.

[diepresse.com] BRÜSSEL. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex hat mehr als 100 Schiffe in ihrem Register und kann auf tausende Experten der nationalen Innenministerien zurückgreifen – aber nur auf dem Papier. Denn in der Wirklichkeit muss die 2004 gegründete Agentur bei den nationalen Behörden bitten und betteln, um Material und Personal zur Verfügung gestellt zu bekommen. Und oft sind gerade die schnellsten Helikopter und besten Experten leider unabkömmlich.

Die Europäische Kommission will das ändern und stellt heute, Mittwoch, einen Vorschlag zur Reform von Frontex vor. Dabei geht es aber nicht nur um den vereinfachten Zugang zu technischem Gerät und den Vorschlag, dass nationale Grenzschutzexperten für sechs Monate bei Frontex angestellt werden und somit schneller in Einsatz gebracht werden können. Die Kommission greift eines der heißesten Themen der Flüchtlingspolitik Europas an: Frontex soll nämlich dazu ermächtigt werden, Grenzschutzoperationen von Anfang an zu planen und nach deren Abschluss zu evaluieren.

Weniger technisch gesprochen: Die EU-Agentur soll nach den Vorstellungen der schwedischen Justizkommissarin Cecilia Malmström künftig zum Beispiel mitbestimmen dürfen, wie viele der Bootsflüchtlinge, die bei einer Frontex-Operation aus dem Mittelmeer gefischt werden, auf welche Mitgliedstaaten verteilt werden. Und wenn sich die beteiligten EU-Staaten bei der Operation Fehler geleistet haben, soll Frontex das hinterher bekritteln dürfen.

Menschenrechte stärker achten

„Frontex bekommt jetzt ein Eigenleben. Da könnte die Kommission mit den Mitgliedstaaten ins Gehege kommen“, sagte ein EU-Diplomat zur „Presse“. Derzeit ist die Agentur nur dafür zuständig, Grenzschutzoperationen zu koordinieren, und auch das nur auf Anfrage eines Staates. Die Federführung ist bisher ausschließlich bei den jeweiligen Regierungen.

Das sorgt für einige Probleme, nicht nur hinsichtlich der wirksamen Überwachung der tausende Kilometer langen EU-Außengrenzen zu Land und zu Wasser, sondern auch hinsichtlich der Wahrung der Menschenrechte jener Flüchtlinge, die politisches Asyl suchen. Seit Monaten halten sich zum Beispiel hartnäckige Gerüchte, die italienische Marine schicke Flüchtlingsboote zurück nach Libyen, ohne die völkerrechtlich begründete Schutzwürdigkeit der Bootsinsassen zu prüfen. „Es kann natürlich nicht so sein, dass man in Bausch und Bogen sagt, ihr alle im Boot seid ja nur Wirtschaftsflüchtlinge“, sagte der Diplomat. Aus diesem Grund enthält der Vorschlag der Kommission auch die Vorgabe, dass in den Ausbildungsplänen der Grenzschutzakademien aller EU-Staaten stärker Bedacht auf die Vermittlung der Menschenrechte genommen wird.

Budgetfrage noch ungeklärt

Der Vorschlag zielt auf eine Änderung der Frontex-Verordnung ab, Rat und Europaparlament müssten ihm zustimmen. Wann Frontex mehr Macht bekommt und wie stark Malmströms Vorschlag noch zusammengestutzt wird, ist offen. Denn wenn die Agentur eigene Schiffe, Helikopter und Flugzeuge kaufen oder mieten können soll, muss logischerweise auch ihr Budget von zuletzt 83,3 Mio. Euro erhöht werden. „Diese Frage ist noch offen“, sagte der Diplomat.

Frontex.
Die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen (Frontex) hat ihren Sitz in Warschau. Sie koordiniert die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten beim Grenzschutz. Unter die Aufgaben der EU-Agentur fällt auch die Hilfe für Mitgliedstaaten, die durch eine aktuelle Welle illegaler Einwanderer betroffen sind. Dies war beispielsweise 2006 der Fall, als innerhalb weniger Monate 30.000 Menschen versuchten, auf die Kanarischen Inseln zu gelangen. Am Hauptsitz von Frontex sind 140 Mitarbeiter beschäftigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2010)

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