Mülleimer, Radioverstärker und Handyfunkmasten: Zur Konstruktion von Terrorismus – Repression à la §278b

Am 6. Juli 2010 wurden drei Personen von einem Sondereinsatzkommando der Wiener Polizei (WEGA) in ihren Wohnungen überfallen. Sie wurden verhaftet, ihre Wohnungen wurden auf wüste Weise durchsucht und Gegenstände beschlagnahmt. Am selben Tag gab es einen Einbruch in ein selbstverwaltetes Vereinslokal – dort wurde ebenfalls alles abfotografiert und Verschiedenstes von den Verfolgungsbehörden mitgenommen. Zwei Wochen später wurde eine vierte Person verhaftet. In ihrer Abwesenheit zertrümmerte die Polizei mit Hilfe eines Rammbockes ihre Wohnungstür und beschlagnahmte im Zuge der Durchsuchung weitere Gegenstände.

Noch am Tag der ersten Verhaftungen gründete sich die Soli-Gruppe fightrepression2010.tk, die öffentlich Druck für die Enthaftung der vier Personen (J.A.I.B.) machten und sie aktiv im Knast durch Briefe, Geld, Besuche, Demonstrationen, Rechtshilfe etc. unterstützten.

J.A.I.B. wurde vorgeworfen, am 28. Juni zwei Mülleimer vor einem Arbeitsmarktservice-Center (AMS) in Brand gesetzt und ein diesbezügliches Kommunique mit Video auf der Internetplattform at.indymedia.org veröffentlicht zu haben. Nach 5 bzw. 7 Wochen Untersuchungshaft wurden am 23. August alle vier Personen, unter der Auflage, die laufenden Ermittlungen nicht zu beeinflussen, enthaftet.

Folgende Vorwürfe wurden bisher von den Verfolgungsbehörden konstruiert: versuchte Brandstiftung, schwere Sachbeschädigung, verbrecherisches Komplott, terroristische Vereinigung (§278b), terroristische Straftaten (§278c).  Diese Vorwürfe betreffend gibt es keine Tatbestände und keine Beweise.

Im Vereinslokal, das laut Polizei als Vorbereitungsort für die Tat gedient haben soll, konnte an den beschlagnahmten Gegenständen keinerlei DNA-Spuren der vier Beschuldigten gefunden werden. Die Beweisgrundlage besteht aus hochstilisierten Indizien und niemals richtig gestellten Mutmaßungen, die je nach Bedarf in Szene gesetzt werden.

Ein elektrischer Schaltplan für einen Radioverstärker soll laut Akten ein Schaltplan für einen Bombenzünder sein. Konfiszierte Unterlagen (indymedia-Bericht, Adressen von Flüchtlingsheimen, usw.) einer antirassistischen Demonstration gegen Abschiebungen werden zu einer geplanten Häftlingsbefreiung. Kontounterlagen von Kultur-Fördergelder der Stadt Wien sollen konspirative Finanzierungsquellen für Brandanschläge sein. Flyer zur Bildungspolitik sollen Beweis dafür sein, dass es sich bei einem der vier durchsuchten WG-Zimmer um eines der Zentren der “Wiener Audimax-Bewegung” handle.

Den Verhaftungen gingen monatelange Observierungen des Wiener Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) voraus.
Die Intensivierung der Schnüffeleien ab Mitte Mai 2010 basierte auf dubiosen Vorwänden, es gäbe eine unbekannte Organisation, die Brandanschläge plane – Informationsquelle unbekannt. Ein Großteil der Observationen fand an der Akademie der bildenden Künste Wien statt, jener Universität, die im Oktober 2009 die Besetzungswelle an österreichischen Hochschulen ausgelöst haben soll.

Drei Monate nach der Enthaftung wurden die vier Betroffenen J.A.I.B. unter dem Vorwand der Aushändigung beschlagnahmter Gegenstände zur Polizeidirektion zitiert. Dort stellte sich heraus, dass zwei der Beschuldigten erneut vom LVT-Ermittler Reinhardt Muik unter U-Haft-Androhung unverzüglich verhört werden sollen. Gegenstand der Verhöre sollte Videomaterial sein, das eine Abschiebung dokumentiert und welches im Zuge der Hausdurchsuchungen gefunden wurde.

Der LVT wertete das Video ausschließlich im Sinne ihrer Anschuldigungen aus und legte der Staatsanwaltschaft verschriftlichte Gesprächsfragemente vor.
Dabei wurde die bloße Dokumentation der polizeilichen Amtshandlung gemeinsam mit anderen unbelegten Mutmaßungen in eine Vorbereitung für eine geplante Häftlingsbefreiung verkehrt.

Die beiden Funkmasten am Dach des öffentlich zugänglichen Parkdecks am Flughafen Wien Schwechat, von dem aus gefilmt wurde, sind laut Polizeiakt “Funkanlagen für den Flugbetrieb, bzw. für den Flughafenbereich. Eine Manipulation hätte möglicherweise für den Flughafenbetrieb, aber auch für den Flugzeugverkehr an sich, unabsehbare Folgen.” Ein weiteres absurdes Konstrukt des LVT, denn es handelt sich um Handymasten, über die wohl nicht einmal die LVT-“Expert_innen” den Flughafenfunk abwickeln könnten.

Im Zusammenhang dieser Unterstellungen wurde §278b von der Staatsanwältin Nina Weinberger erneut eingesetzt und durch §278c erweitert. Der Schnüffelparagraph 278b (vgl. §129a in Deutschland) war ab Mai 2010 dem LVT dienlich, um weitreichende Observationen und Ermittlungen durchzuführen. Interessant ist, dass der Paragraph 278b, der nach den Verhaftungen zunächst verschwand, durch die nicht vorhandene Beweislage aktuell wieder für Schnüffeleien angewandt wird, um weitere Menschen zu beschuldigen. So kam es Anfang Dezember 2010 zu einigen weiteren – formell nicht korrekten – Vorladungen.

Um die internationale Vernetzung der vermeintlichen terroristischen Organisation herzustellen, dienten Telefonate zu Freund_innen und Familie der Beschuldigten ins “Ausland” als Konstruktionsgrundlage. Diese wurden mittels Rufdatenrückerfassung der Beschuldigten ausgeforscht. In weiterer Folge wurden deren Strafregisterauszüge aus mehreren EU-Staaten angefordert. Es kam sogar soweit, dass die in einem anderen EU-Staat lebende Großmutter einer der beschuldigten Personen über einen längeren Zeitraum vom dortigen Staatsschutz telefonisch massiv belästigt wurde und dieser persönlich vor der Haustür stand.

Es ist absolut nichts Neues, dass politisch interessierte und engagierte Menschen verfolgt und eingesperrt werden. Die Steigerung der Repression, um die Staatsapparate in der EU aufrechtzuerhalten, deutet lediglich auf deren Verfall hin. Es kotzt uns an, für die Offenlegung der Verbrechen des Staates kriminalisiert zu werden.

Betroffen sind einige, gemeint sind wir alle!

Einstellung der Verfahren sofort!

Weg mit §278ff und allen Organisationsparagrafen!


Neben finanzieller Unterstützung ist es wichtig öffentlichen Druck auf zu bauen –

informiert euch, verbreitet Infos auf euren Kanälen, organisiert Veranstaltungen!

http://fightrepression2010.tk

Kontonummer: 28257989807
Bankleitzahl: 20111 (Erste Bank)
Name: Grünalternative Jugend Wien
Verwendungszweck: Antirep2010
IBAN: AT872011128257989807
BIC: GIBAATWWXXX

Source: http://fightrepression2010.lnxnt.org/?p=186