Von der Euphorie zur Ernüchterung.

Erinnerungen an den G8-Gipfel in Genua, 18. bis 22. Juli 2001

Nach den massiven Protesten anlässlich des WTO-Gipfels 1999 in Seattle, die mit Massenblockaden, politisch gezielter Sachbeschädigung und dem erstmaligen internationalen Auftritt von Indymedia immerhin einen Gipfel zum Abbruch gebracht hatten, war eine kühne Entschlossenheit auf Europa übergesprungen. Eine internationale Mobilisierung zum „Summer of Resistance“ 2001 produzierte schließlich in Genua eine handfeste Revolte. Die Antwort der italienischen Regierung war ein Ensemble von Repression, das viele AktivistInnen in Westeuropa nicht für möglich hielten. Die Auswertung der Proteste war bestimmt vom Ringen um die Definition, ob Genua ein nie zuvor gesehener massenhafter Widerstand war, oder ob die Angegriffenen die globalisierungskritische Bewegung auf ihrem Höhepunkt zurückdrängen konnten. Der Antagonismus von erfolgreichem, kreativen Protest und stets Schritt haltender Repression bestimmte die Diskussionen auch in den Jahren nach dem „Summer of Resistance“ 2001: Der EU-Gipfel in Göteborg und der G8-Gipfel in Genua waren tonangebend für die grenzüberschreitende Vernetzung europäischer Polizeien. Eilig wurden grenzüberschreitende Forschungsprogramme und Arbeitsgruppen einberufen, um Konzepte und Regelwerk zur „Sicherheit bei polizeilichen Großlagen“ zu entwickeln. Nach erneuten militanten Protesten gegen den EU-Gipfel im griechischen Thessaloniki entschied der Europäische Rat, die halbjährlichen Treffen in kleinerem Format und weniger Popanz abzuhalten. Deutsche Polizei reist seitdem regelmäßig mit Wasserwerfern und Prügel-Hundertschaften zu Gipfelprotesten und Fußballspielen in die Schweiz, Österreich und nach Frankreich. Die Bundesregierung hat entsprechende internationale Verträge zur Polizeiausleihe vorangetrieben und will seit dem G8-Gipfel in Heiligendamm ihre Datensammlungen über GipfeldemonstrantInnen EU-weit verfügbar machen. Details des internationalen Austauschs polizeilicher Spitzel dokumentieren, wer von der grenzüberschreitenden Polizeizusammenarbeit adressiert wird: Der Präsident des Bundeskriminalamts erklärte in geschlossener Runde, der Spitzeltausch würde sich gegen AktivistInnen aus Griechenland, Spanien, Großbritannien, Frankreich, Dänemark und Deutschland richten. Am Werk seien dort „Euro-Anarchisten, militante Linksextremisten und -terroristen“, die einen regelrechten „Tourismus“ betreiben würden. Die Mobilisierungen gegen Gipfel von NATO oder G8 haben indes aus nachvollziehbaren Gründen in den letzten beiden Jahren wenig Resonanz erzeugt. Eher zeichnet sich ein „neuer Internationalismus“ im Bereich von Migrationspolitik ab, der mit No Border-Camps, permanenter Flüchtlingssolidarität in Calais, der Karawane Bamako-Dakar oder zuletzt Delegationsreisen nach Tunesien das europäische Grenzregime unterwandert. Die Entwicklungen helfen, den in die Jahre gekommenen grenzüberschreitenden Widerstand gegen die „Festung Europa“ durch frische Analysen und Praxen zu ersetzen.

Matthias, Aktivist bei Gipfelsoli

Source: ak 562 vom 17.6.2011