Politologen der Universität Tübingen befassen sich mit Mitteln und Methoden der Aufstandsbekämpfung in Entwicklungsländern. Im Rahmen eines unlängst implementierten „Sonderforschungsbereichs“ untersuchen die Wissenschaftler „Revolutionen“, „Krisensituationen“ und soziale „Umbrüche“ mit dem Ziel, ihnen erfolgreich zu „begegnen“. Im Fokus der Betrachtung stehen dabei afrikanische Staaten, die nach Auffassung der Forscher von „Ordnungszersetzung in Folge von Staatszerfall“ oder von „ethnischen Gruppendifferenzen“ betroffen sind. Federführend hierbei ist Professor Andreas Hasenclever, der sich bereits in der Vergangenheit intensiv mit der Abwehr gesellschaftlicher „Radikalisierungsprozesse“ beschäftigt hat. Die entsprechenden Forschungsarbeiten schlugen sich unter anderem in einer von Hasenclever im September letzten Jahres an der Tübinger Hochschule organisierten Konferenz über den „Terrorismus“ in westlichen Ländern nieder. Mehrere hochrangige Geheimdienstmitarbeiter waren an der Tagung beteiligt, deren „Workshops“ unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden. Erst kürzlich ist die baden-württembergische Universität erneut in die Schlagzeilen geraten: Das Institut für Politikwissenschaft ernannte mit Wolfgang Ischinger, dem Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, einen führenden Militärpolitiker zum Honorarprofessor. Die Proteste dagegen sollen nun ebenfalls mit einer Mischung aus Repression und Propaganda gekontert werden.
Sonderforschungsbereich
Wie die Eberhard-Karls-Universität Tübingen mitteilt, richtet sie zur Zeit einen geisteswissenschaftlichen „Sonderforschungsbereich“ (SFB) zum Thema „bedrohte Ordnungen“ ein. Die dort beschäftigten Wissenschaftler untersuchen nach Angaben der Hochschule die „Regelhaftigkeiten“ von „Revolutionen“, „Krisensituationen“ und sozialen „Umbrüchen“. Ermittelt werden sollten die jeweiligen Reaktionen der von „Bedrohungen“ dieser Art betroffenen Gesellschaften in Geschichte und Gegenwart, heißt es: „Welche (…) Ordnungen konnten dem Schock einer Katastrophe gut begegnen, welche nicht? Halten sie Erfahrungen bereit, die uns nützlich sein können?“[1] Der interdisziplinäre Sonderforschungsbereich wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit jährlich zwei Millionen Euro gefördert; beteiligt sind unter anderem Politologen, Germanisten, Amerikanisten, Philologen, Theologen und Kulturwissenschaftler.
Ordnungszersetzung
Ein „Teilprojekt“ des Sonderforschungsbereichs unter Leitung des Politologen Andreas Hasenclever befasst sich nach eigenen Angaben mit der „Bedrohung politischer Ordnungen in afrikanischen Entwicklungsländern“. Im Fokus der Betrachtung stehen Äthiopien, Uganda, Kenia und Ruanda; die genannten Länder seien sowohl von „Ordnungszersetzung in Folge von Staatszerfall oder zunehmender Repression“ als auch von „ethnische(n) oder religiöse(n) Gruppendifferenzen“ betroffen, heißt es. Den an dem Projekt beteiligten Wissenschaftlern zufolge soll nun unter Rückgriff auf die „soziale Bewegungsforschung“ geklärt werden, wie es den in den genannten Staaten vorhandenen „gewaltbereiten Eliten“ gelingt, „Anhänger zu mobilisieren, die Unterstützung von neutralen Personen zu erlangen und potenzielle Gegner zu demobilisieren“.[2] Ähnliche Forschungsarbeiten wurden mit Mitteln aus dem Etat der US-Luftwaffe bereits Ende der 1960er Jahre am Institut für Soziologie und Ethnologie der Universität Heidelberg durchgeführt. Im Rahmen eines hier angesiedelten „Social Movement Project“ sollte laut einer studentischen Arbeitsgruppe „das methodische Rüstzeug für die strukturelle Erfassung jeglicher Form von Protestverhalten erprobt werden“, um „Voraussage(n) für den Ablauf gegenwärtiger politischer Protestbewegungen“ treffen zu können.[3]
Unter Ausschluss der Öffentlichkeit
Das beschriebene Forschungsdesign deckt sich mit anderen Arbeiten des am Tübinger Sonderforschungsbereich „Bedrohte Ordnungen“ tätigen Politologen Andreas Hasenclever. Im September letzten Jahres organisierte der Wissenschaftler an der baden-württembergischen Hochschule eine internationale Konferenz über die Abwehr gesellschaftlicher „Radikalisierungsprozesse“ und „terroristischer Gruppen“ in den Ländern des Westens („Radicalization in Western Societies – Preventing ‚Home-Grown‘ Terrorism“). Nach Angaben der Veranstalter wurde in diesem Zusammenhang unter anderem danach gefragt, wo „ziviler Ungehorsam“ ende und „Terrorismus“ beginne sowie danach, ob „Terrorismus“ eher in „weniger entwickelten Ländern“ entstehe oder in Gesellschaften, die von einem „hohen Maß an Ungleichheit“ gekennzeichnet seien.[4] An der Tagung beteiligt waren mehrere führende Mitarbeiter deutscher und ausländischer Geheimdienste, darunter Anja Dalgaard-Nielsen, Direktorin des dänischen Inlandsgeheimdienstes PET, sowie Benno Köpfer vom baden-württembergischen Landesamt für Verfassungsschutz, das ebenfalls für die Bekämpfung politischer Gegner im Inneren zuständig ist. Der überwiegende Teil der im Rahmen der Konferenz angebotenen Veranstaltungen fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Gedankenpolizei
Erst kürzlich ist das Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen erneut in die Schlagzeilen geraten, als es mit Wolfgang Ischinger, dem Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, einen führenden deutschen Militärpolitiker zum Honorarprofessor ernannte (german-foreign-policy.com berichtete [5]). Kritiker sehen hierin einen Verstoß gegen die für die Tübinger Hochschule geltende „Zivilklausel“, die die akademische Institution auf ausschließlich „friedliche Zwecke“ verpflichtet. Um die Proteste zu kontern, hatten die für die Berufung Ischingers Verantwortlichen ihren politischen Gegnern zunächst einen „Dialog“ angeboten und ihnen vorgeschlagen, als Referenten bei einer Ringvorlesung zum Thema „Zivilklausel“ aufzutreten. Dieses Angebot wurde jedoch kurze Zeit später wieder zurückgezogen, nachdem die ursprünglich als Redner vorgesehenen Militärkritiker öffentlich auf die Zusammenarbeit von Professoren der Politikwissenschaft und Ischinger hingewiesen hatten und zudem nicht bereit waren, eine Bundeswehrangehörige als Referentin der Ringvorlesung zu akzeptieren. Parallel dazu wurde den Antimilitaristen in Leserbriefen an die Tübinger Lokalpresse vorgeworfen, im Sinne einer Orwellschen „Gedankenpolizei“ eine wissenschaftliche Diskussion über Sinn und Zweck der „Zivilklausel“ verhindern zu wollen.[6] In gewisser Weise werden die in Tübinger Forschungsprojekten entwickelten Strategien zur Aushebelung sozialer Bewegungen nun in eigener Sache in die Praxis umgesetzt – was bereits damit beginnt, dass die für die Berufung Ischingers Verantwortlichen sich selbst als „Friedensforscher“ bezeichnen.
[1] „Bedrohte Ordnungen“. Neuer geisteswissenschaftlicher Sonderforschungsbereich (SFB) bewilligt; Pressemitteilung der Eberhard-Karls-Universität Tübingen 26.05.2011
[2] Teilprojekt C05: Die Bedrohung politischer Ordnungen in afrikanischen Entwicklungsländern; www.uni-tuebingen.de
[3] zitiert nach: Peer Heinelt: „PR-Päpste“. Die kontinuierlichen Karrieren von Carl Hundhausen, Albert Oeckl und Franz Ronneberger. Berlin 2003
[4] International Conference „Radicalization in Western Societies: Preventing ‚Homegrown‘ Terrorism“. 8-9 September 2010. University of Tübingen, Germany (Programm)
[5] s. dazu Ein gewisser Way of Life
[6] Martin Beck: Gedankenpolizei; Schwäbisches Tagblatt 08.10.2011
Source: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58197