Vernetzte Radikalisierungsexperten

Die Europäische Union hat wieder gegründet: Ein „Aufklärungsnetz gegen Radikalisierung“ ist es geworden, das fortan „gewaltbereitem Extremismus Paroli bieten“ soll. Beteiligt sind neben Polizisten auch Sozialarbeiter, „Religionsvertreter“ und Wissenschaftler. Innenkommissarin Cecilia Malm­ström warnt in ihrer Eröffnung vor „politischen Ideen populistischer Bewegungen in der EU“. Das neue „EU-Aufklärungs­netzwerk“ ergänzt das 2006 einberufene „Europäische Netz der Experten für Radikalisierung“ (ENER), das sich mit „einschlägig tätigen Netzen“ austauschen soll.

Die 20 ENER-Mitglieder ebnen die ideologischen Unterschiede ein: Auf seiner Webseite werden unter der Überschrift „Antiglobalisierungs-Extre­mismus“ linke AktivistInnen mit „Al Qaida“ gleichgesetzt.1
Spätestens mit dem „Stockholmer Programm“ und der „Strategie der inneren Sicherheit“ hatte die EU den zunächst moderaten Pfad ihrer 2005 verabschiedeten „Schlussfolgerungen zur Bekämpfung von Radikalisierung und Anwerbung für den Terrorismus“ verlassen: Als Zielgruppe galten damals zunächst „Al Qaida“ sowie “Extremisten, die sich an Al Qaida orientieren“.2
Letztes Jahr überraschte die spanische Ratspräsidentschaft mit einer Schlussfolgerung zur Errichtung eines „Instruments zur Erfassung von Daten und Informationen über gewalttätige Radikalisierungsprozesse“.3 Erst eine Fußnote verriet, welch breites Spektrum von der Datensammlung adressiert werden sollte: „Extreme Rechte/Linke, Islamisten, Nationalisten, Anti-Globalisierung etc.“.
Das erinnert an den „Andi“-Comic des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, dessen Protagonist sich in drei Heften in den Milieus Linksextremismus, Islamismus und Rechtsextremismus tummelt.4 Das Innenministerium des Landes ist am EU-For­schungsprojekt „Community policing and prevention of radicalisation & terrorism“ (CoPPRa) beteiligt, das laut Landesregierung u.a. ein „Trainingsmanual und ein Booklet“ er­arbeitete.5 Die Materialien wurden in 26 Sprachen übersetzt. CoPPRa will „Frühwarnsysteme“ entwickeln, Europol und Eurojust sollen eingebunden werden. Womöglich werden neben den CoPPRa-Ergebnissen auch die Abenteuer des blonden „Andi“ aus Nordrhein-Westfalen auf der EU-Ministerkonferenz vorgestellt, die 2012 „Beispiele erfolgreicher Aktionen gegen Extremismus“ zusammentragen soll. Die inzwischen vom Verfassungsschutz Niedersachsen und vom Bundesfamilien- und Jugendministerium nachgedruckten Hefte ha­ben eine Auflage von über einer Million erreicht. „Andi“ wurde deshalb von seinen Erfindern zum „beliebtesten Comichelden für Demokratie und gegen Extremismus in Deutschland“ ausgerufen. Vermutlich ist er auch der einzige.

Matthias Monroy

1 Amtsblatt der EU (ABl.) L 111 v. 25.4.2006, www.ec-ener.eu/resources/glossary
2 ABl. C 115 v. 4.5.2010; KOM(2010) 673 v. 22.11.2010; Ratsdok. 14781/1/05 v. 24.11.2005
3 Ratsdok. 7984/10, ADD 1 v. 30.3.2010
4 www.andi.nrw.de
5 LT-Nordrhein-Westfalen, Drs. 15/1867 v. 3.5.2011

Source: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 99 (2/2011), Schwerpunkt: Kontrolle der Polizei