Ulmer Bundeswehrkommando trainiert in Potsdam den Ernstfall einer EU-Militärmission

Die Europäische Union rüstet sich für Kriseneinsätze. Das in Ulm stationierte Bundeswehrkommando ist als Führungsmannschaft vorgesehen. Es soll von Potsdam aus oder im Einsatzland die Fäden ziehen.

WILLI BÖHMER

Potsdam/Ulm Es hätte ein Einsatz in Mali sein können. Oder einer in Syrien, in Afghanistan oder im Kosovo. Das Szenario sähe im Ernstfall nicht anders aus: Auf überdimensionalen Bildschirmen zeigt eine Landkarte das Gebiet zweier Staaten, der fiktiven Länder Nusia und Recuria. Nusia war früher Teil von Recuria, pocht aber auf seine Unabhängigkeit. Recuria akzeptiert das nicht. Die Auseinandersetzungen eskalieren. Die Europäische Union hat zwei Battlegroups mit 15 000 Soldaten und 25 000 Tonnen Material über 6000 Kilometer verlegt, um für Frieden zu sorgen. Das Kommando Operative Führung der Bundeswehr, das sonst in der Wilhelmsburgkaserne in Ulm stationiert ist, wurde ins Einsatzführungskommando nach Potsdam verlegt, um den EU-Einsatz im fremden Land von Deutschland aus zu leiten.

Tatsächlich fährt kein Panzer und hebt kein Kampfjet ab. Aber die Uniformierten, die vor dem großen Bildschirm sitzen und an ihren Laptops hantieren, haben dennoch alle Hände voll zu tun. Sie spielen im Auftrag der EU die Krisenreaktionsübung Multi Layer 2012 durch. Parallelen zu tatsächlich existierenden Staaten sind rein zufällig, betonen die Soldaten immer wieder. Und trotzdem stehen die aktuellen Krisengebiete Pate.

Zum ersten Mal üben drei Arbeitsbereiche die Krisenreaktionsstrukturen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik: die politische Ebene der EU, die militärstrategische mit den beiden Hauptquartieren in Brüssel und Potsdam und eines im süditalienischen Brindisi, das den Einsatz vor Ort im fernen Nusia leiten sollte. Zusammenarbeit über große Distanzen und nationale Grenzen hinweg. „Das müssen wir noch ein paarmal üben, um die Abläufe zu glätten“, sagte Generalleutnant Markus Bentler, der Befehlshaber der Ulmer Truppe. Botschafter vieler europäischer Staaten und Beobachter von Cathrine Ashton, seit 2009 Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik der EU und Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, schauten den Soldaten über die Schulter.

Kriseneinsätze gibt es nur noch im internationalen Verbund, sagte Bentler. Deshalb kamen zur Übung in Potsdam neben den 124 Bundeswehrsoldaten aus Ulm weitere 53 zivile und militärische Teilnehmer und Polizisten aus 16 weiteren Staaten hinzu. Dass Zivilisten und Soldaten in Krisenländern zusammenarbeiten müssen, haben beide Seiten aus früheren Einsätzen gelernt. Die Hilfsorganisationen können vieles vom militärischen Planungsverfahren übernehmen, und unter dem Schutzschirm des Militärs vergleichsweise sicher arbeiten, nur mit militärischen Mitteln lässt sich keine Krise lösen, sagt Oberstleutnant Harald Kammerbauer, Presseoffizier des Ulmer Kommandos.

Deshalb steuerte das Brüsseler EU-Hauptquartier eine zivile Planungsgruppe bei, die auch im Ernstfall die Zusammenarbeit koordinieren soll. Ein neues Computerprogramm soll Zivilisten und Militärs verbinden. Das ist Neuland. Zivile Hilfsorganisationen und Soldaten beäugen sich bislang bei internationalen Einsätzen gegenseitig eher misstrauisch.

Agostino Miozzo, als Direktor beim Europäischen Auswärtigen Dienst in Brüssel für diese Übung verantwortlich, könnte künftig die Ulmer Truppe häufiger treffen. Sie bildet das einzige Kommando in Europa, das voll besetzt auf einen Einsatzbefehl wartet, von der EU, vielleicht auch bald von der Nato, und abgesegnet vom Bundestag. Lange war hinter den Kulissen darüber nachgedacht worden, ob ein solches Hauptquartier nicht zentral bei der EU in Brüssel angesiedelt werden müsste. Darauf konnten sich die Staaten nicht einigen. Deshalb steht das Ulmer Kommando Gewehr bei Fuß, für den Fall, dass die EU ruft.

Source: http://www.tagblatt.de/Home/nachrichten/ueberregional/politik_artikel,-Ulmer-Bundeswehrkommando-trainiert-in-Potsdam-den-Ernstfall-einer-EU-Militaermission-_arid,191731.html