Seit vergangener Woche besucht eine Delegation des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge das Flüchtlingslager Choucha, um 200 Menschen für ein Resettlement in die Bundesrepublik auszuwählen. Im Lager auf einer tunesischen Militärbasis an der libyschen Grenze harren seit Februar 2011 einige Tausend Menschen aus, die vor dem Krieg in Libyen geflohen sind. Heute sind noch etwa 3300 Flüchtlinge in Choucha, größtenteils Menschen aus subsaharischen Staaten, die in Libyen gelebt und gearbeitet haben. Am vergangenen Montag organisierten Flüchtlinge eine Protestkundgebung um auf ihre perspektivlose Situation aufmerksam zu machen.
Die deutsche Delegation führte Interviews mit einer Auswahl an Flüchtlingen durch, um 200 Personen auszuwählen, die im Zuge des Resettlement-Verfahrens nach Deutschland aufgenommen werden. Unter den 3300 Flüchtlingen befinden sich 28601 Personen, die nach ihren Interviews mit Mitarbeitenden des UNHCR, dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, als Flüchtlinge anerkannt wurden. Sie warten schon seit nun mehr als einem Jahr in diesem Camp in der Wüste darauf, dass die angekündigten Resettlements vorgenommen werden. Das Resettlement- Verfahren läuft jedoch nur sehr schleppend an und voraussichtlich wird es sich noch lange hinziehen und nicht genügend Plätze für alle Flüchtlinge geben. Deutschland hat angekündigt 200 Personen und insbesondere Familien aufzunehmen2. Diese Zahl ist sowohl in Relation zur Bevölkerungszahl Deutschlands als auch im Vergleich zu den Aufnahmezahlen anderer Staaten recht gering.3
Insgesamt flohen fast eine Millionen Menschen vor dem Krieg in Libyen, viele aus Angst vor den Bomben der internationalen Truppen. Unter Anderem waren 103 deutsche Soldaten während des NATO-Einsatzes in Libyen an der Auswahl der Angriffsziele beteiligt4.
Das postrevolutionäre Tunesien reagierte auf die Flüchtenden, trotz der eigenen innenpolitischen Probleme, mit der Öffnung der Grenze für Menschen jeglicher Nationalität. Die Flüchtenden waren überwiegend libysche StaatsbürgerInnen und wurden in Privathaushalten aufgenommen oder in Sporthallen untergebracht. Neben der Unterstützung von internationalen Organisationen, engagierten sich etliche selbstorganisierte Gruppen, die Spenden und Lebensmittel für die Flüchtlinge sammelten. Dabei war das Aufnehmen einer solch großen Flüchtlingszahl für das kleine Tunesien mit 10,5 Millionen Einwohnenden eine Herausforderung. Bürger berichteten beispielsweise von einer zeitweiligen Trinkwasserknappheit. Der Großteil der libyschen Flüchtlinge und derer aus Drittstaaten, konnten mittlerweile in ihre Herkunftsländer zurückkehren. 3,700 DrittstaatlerInnen blieben jedoch im Shoucha Flüchtlingslager und baten den UNHCR um Schutz.
Strapazen im Camp
AktivistInnen, die das Choucha-Camp besuchten, betonen, dass der psychische Stress, unter den vorausgewählten Flüchtlingen gerade vor angekündigten Resettlement-Interviews enorm hoch sei, da eine Ablehnung durch die deutsche Delegation weitere Monate unter der brennenden Wüstensonne bedeuten würde. „Außerdem sind die Auswahlpraxen der Aufnahmeländer extrem zynisch. Die Art und Weise, wie schutzsuchende Menschen, die offiziell als Flüchtlinge anerkannt wurden, ausgesucht werden, erinnert an das Auswählen von Waren. Durch die Aufnahme geringer Zahlen von Flüchtlingen, stellen sich die Regierungen von EU-Staaten, als humanitär dar. Obwohl die EU wirtschaftlich auf Migration angewiesen ist und von dieser profitiert, wird weiterhin auf militärische Abschottung der EU-Außengrenzen gegen Migrierende beharrt. Das Mittelmeer wird so zu einer Todesfalle, durch die allein im letzten Jahr über 1500 Menschen ums Leben kamen.“, so die Aktivistin Pia Luka von einer Unterstützungsgruppe.
Luka weiter „Problematisch sind jedoch nicht nur die Lebensbedingungen im Flüchtlingslager Choucha und die Dauer des Resettlement-Verfahrens, sondern auch die Verfahren der Flüchtlingsanerkennung an sich. Die etwa 300 Personen, die sich trotz ihrer Ablehnung durch den UNHCR noch in Choucha aufhalten, befinden sich in einer perspektivlosen Situation.“ Ihnen wird vom UNHCR die freiwillige Rückkehr in ihr Herkunftsland oder nach Libyen nahegelegt, da sie sich seit der Ablehnung durch den UNHCR illegal in Tunesien aufhalten. Die Gruppe der abgelehnten Flüchtlinge jedoch führt verschiedenste Beispiele von Fehlern an, die dem UNHCR bei der Flüchtlingsstatusbestimmung unterlaufen sind. So kam es aufgrund von fehlender professioneller Übersetzung zu Fällen, in denen die Parteilichkeit der Übersetzenden zur Ablehnung der Flüchtlinge führte5. Ein Bericht des Forums der Abgelehnten Flüchtlinge von Choucha sagt: „Wir mussten Fälle von inkompetenten ÜbersetzerInnen erleben. Zudem wurde über einige Communities auf generelle Weise entschieden, ungeachtet der individuellen Verfolgung, die Einzelne in ihrem Heimatland fürchten. Die meisten WestafrikanerInnen wurden schlicht aufgrund ihrer Herkunftsländer abgelehnt.“ Die abgelehnten Flüchtlinge beharren auf ihrer Forderung der Neueröffnung ihrer Fälle, durch ein neutrales UNHCR-Team, welches nicht unter Notfallbedingungen arbeitet.
Am Montag den 14. Mai brachten vor allem die abgelehnten Flüchtlinge ihre Forderungen noch einmal klar zum Ausdruck. Sie veranstalteten eine friedliche Demonstration unter der Beteiligung vieler hundert Menschen vor dem Büro des UNHCR in Choucha. Das letzte Jahr in Choucha hat gezeigt, dass die Arbeit des UNHCR nicht aufgeht. Flüchtlinge, die Schutz suchen, harren seit über einem Jahr in einem Wüstencamp ohne adäquate psychische Unterstützung zu erhalten aus. Geographisch und gesellschaftlich isoliert, sind sie kaum in der Lage gegen Verfahrensfehler des UNHCR vorzugehen und sind zum Warten verdammt.
Choucha Migrant Solidarity,
1 Siehe UNHCR Factsheet Choucha April 2012, auf Nachfrage bei dem UNHCR erhältlich.
2 Pressemitteilung der Bundesregierung: http://www.auswaertigesamt.de/DE/Infoservice/Presse/Meldungen/2012/120314-Fluechtligssschutz_TUN.html
3 http://www.unhcr.se/en/who-we-help/men/artikel/7b9e313a3eb54f4d285819a6a2cd5a90/the-nordics-come-to-
Chousha-refugees.html
4 http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-09/libyen-nato-soldaten
5 Siehe: http://ffm-online.org/2012/03/26/choucha-marz-2012/#more-297
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