Die zentrale Koordination von Überwachungsaktivitäten der USA im
Ministerium für Innere Sicherheit (Department of Homeland Security, DHS) macht nach Angaben von DHS-Chef Michael Chertoff weiter Fortschritte. So soll in Kürze das neue National Applications Office (NAO)
seinen Betrieb aufnehmen. Diese Dienststelle innerhalb des DHS soll den
Zugriff staatlicher Behörden auf vertrauliches Datenmaterial von
US-Spionagesatelliten steuern. Durften bis auf wenige Ausnahmen bislang
nur Behörden wie das Landwirtschaftsministerium, das
Umweltschutzministerium, der Katastrophenschutz oder auch die NASA nach
Antragsgenehmigung auf diese Daten zugreifen, soll mit der
Implementierung des NAO künftig verstärkt auch Sicherheitskräften und
Strafverfolgungsbehörden die Nutzung von Satellitendaten –
beispielsweise hochauflösende Fotos, Spektral- und Radaraufnahmen –
erlaubt werden.
Derzeit wird der Zugriff auf vertrauliche Satellitendaten der
US-Geheimdienste noch vom Civil Applications Committee (CAC) geregelt.
Dem in Reston (Virginia) ansässigen Ausschuss
(PDF-Datei), der seit mehr als 30 Jahren als "Bindeglied zwischen
zivilen Organisationen und Geheimdiensten sowie militärischen
Einrichtungen" fungiert, gehören Vertreter von elf Bundesbehörden und
wissenschaftlichen Institutionen an, die darüber entscheiden, wer
Bilder und sonstiges Datenmaterial von Fernerkundungssatelliten der USA
einsehen und nutzen darf. Ein OK wird in der Regel bei Anfragen zur
Beobachtung von Naturereignissen wie Vulkanaktivitäten, Überflutungen
oder Erdbeben gegeben. Einer der größten Nutzer der Satellitendaten ist
beispielsweise der geologische Informationsdienst US Geological Survey.
Die United States Intelligence Community – ein Zusammenschluss von
15 US-Geheimdiensten – forderte jedoch bereits kurz nach den
Terroranschlägen vom 11. September 2001 eine Ausweitung der
Zugriffsbefugnisse auch auf Sicherheitskräfte für den Kampf gegen den
Terrorismus. Im März 2006 vereinbarte DHS-Leiter Chertoff mit dem
damaligen Director of National Intelligence (DNI), John Negroponte, die
Gründung des National Applications Office als Unterbehörde des DHS. Als
Aufgaben des NAO wurden unter anderem die Grenzsicherung, der Schutz
wichtiger Infrastrukturen und der Katastrophenschutz mit Hilfe von
Spionagesatellitendaten definiert.
Es wurde aber auch propagiert, lokale Polizeibehörden und die
Bundespolizei könnten bei der Verfolgung von Straftaten von den Daten
profitieren.
Geheime Satellitendaten haben US-Strafverfolgungsbehörden bereits häufiger genutzt – etwa im Zusammenhang mit den sogenannten Beltway Sniper Attacks
im Herbst 2002. Zwei Männer hatten damals im Großraum Washington aus
dem Kofferraum ihres Wagens wahllos auf Menschen geschossen und dabei
mindestens zehn Personen getötet und drei weitere schwer verletzt. Weil
die Polizei den Tätern zunächst nicht auf die Spur kam, forderten CIA
und FBI Satellitenbilder bei der National Geospatial-Intelligence
Agency (NGA) an, um Stellen entlang Schnellstraßen ausfindig zu machen,
an denen die Männer möglicherweise wieder zuschlagen könnten. Gefasst
wurden die Täter jedoch später durch Kommissar Zufall: Ein LKW-Fahrer
entdeckte die beiden schlafend in ihrem Auto und verständigte die
Polizei.
Eigentlich sollte das National Applications Office bereits im
vergangenen Oktober die Arbeit aufnehmen, nachdem Kongressausschüsse
der Gründung und der Finanzierung des NAO grundsätzlich zugestimmt
hatten. Doch zahlreiche demokratische Abgeordnete des
Repräsentantenhauses machten geltend, bei den Entscheidungen übergangen
worden zu sein. Weil das DHS bei anschließenden Konsultationen
Datenschutzbedenken der Politiker nicht ausräumen konnte, forderten die
Demokraten zunächst einen Stopp der NAO-Implementierung und später
sogar den Widerruf der bereits zugesagten Finanzierung. Die Demokraten
befürchten unter anderem, dass lokale Polizeibehörden den erweiterten
Zugriff auf geheime Satellitendaten als Freibrief für neue
Überwachungsmaßnahmen ausnutzen könnten.
"Solange das Department of Homeland Security keine Unterlagen mit
Angaben dazu vorlegt, wie Persönlichkeits- und Datenschutzrechte der
Bürger im Rahmen des NAO-Programms verankert sind, können und werden
wir einer Ausweitung des Zugriffs auf Satellitendaten nicht zustimmen",
heißt es in einem im September verfassten Schreiben der Demokraten an
die US-Regierung. Der für die Leitung des NAO vorgesehene Chief
Intelligence Officer (CIO) Charles Allen habe in einer Anhörung
deutlich gemacht, dass es für die vom DHS geplanten Befugnisse bislang
gar keinen Rechtsrahmen gibt. Die von Allen angeführte "umfassende
Berücksichtigung von Bürgerrechten und Datenschutzprinzipien" bei der Nutzung von Fernerkundungsdaten (PDF-Datei) durch Strafverfolgungsbehörden sei nicht belegbar.
Nach Meinung von DHS-Chef Michael Chertoff sind die Differenzen
inzwischen aber ausgeräumt. "Ich glaube, dass der Weg für die neue
Dienststelle jetzt frei ist", zitiert CNet News
den Sicherheitspolitiker, der Journalisten und Blogger am gestrigen
Mittwoch in Washington zu einem Hintergrundgespräch eingeladen hatte.
Das DHS habe Datenschutzregeln verfasst, sagte Chertoff, die alle zuvor
geäußerten Bedenken aufgreifen. "Wir haben dabei deutlich gemacht, dass
es sich hier nicht um das Abfangen von Kommunikation handelt, weder auf
Sprach- noch auf Textbasis. Dies wird weiter auf traditionelle Art und
Weise erledigt." Die NAO-Datenschutzregularien sollen Chertoffs Angaben
zufolge in den kommenden Tagen veröffentlicht werden.
Ob die Ausführungen des DHS den Demokraten genügen werden, ist allerdings fraglich. CNet
zitiert einen Berater, der berichtet, die demokratischen Vorsitzenden
der Homeland-Security-Unterausschüsse im Repräsentantenhaus setzten
derzeit ein Schreiben an Chertoff auf, in dem das NAO-Modell weiterhin
als "nicht startreif" beurteilt werde. Die Charta des National
Applications Office sei "völlig unangemessen" und die
Ausschussvorsitzenden würden das Ministerium wegen des Fehlens von
Rechtsstrukturen und anderer begleitender Verfahrensabläufe bei der
Implementierung des NAO kritisieren. Auch habe das für
Regierungsausgaben zuständige Government Accountability Office (GAO)
noch kein grünes Licht für die Datenschutzbestimmungen gegeben, was
aber Voraussetzung für die Zuweisung von Geldern durch den Kongress
sei.
(pmz/c’t)
Source: http://www.heise.de