EU-Konferenz über innovatives Grenzmanagement (Kopenhagen, 2./3. Februar 2012)

RAT DER EUROPÄISCHEN UNION
Brüssel, den 2. März 2012 (06.03)
7166/12

VERMERK des Vorsitzes für den AStV/Rat/Gemischten Ausschuss

Das Grenzmanagement hat in Europa in den vergangenen Jahren beträchtlich an Bedeutung gewonnen, da die Kontrolle der Grenzen zunehmend als wirksames Instrument zur Bekämpfung von Terrorismus, illegaler Migration und Kriminalität anerkannt wird. Gleichzeitig sollte das Grenzmanagement gewährleisten, dass Bona-fide-Reisende problemlos und effektiv Zugang zu den Mitgliedstaaten erhalten.

In ihrer Mitteilung „Vorbereitung der nächsten Schritte für die Grenzverwaltung in der Euro-päischen Union“ (vom Februar 2008) ging die Kommission auf die sich dank neuer Technologien bietenden Möglichkeiten ein und stellte neue Ideen für die Entwicklung einer Strategie für ein integriertes Grenzmanagement der EU vor. Diese Ideen sind seither unter der Bezeichnung „intelligente Grenzen“ bekannt.

Dieser Ansatz wurde im Dezember 2009 vom Europäischen Rat im Stockholmer Programm gebilligt. Die Wichtigkeit der Arbeiten bezüglich intelligenter Grenzen wurde in jüngerer Vergangenheit in den Schlussfolgerungen der Tagungen des Rates (Justiz und Inneres) und des Europäischen Rates vom Juni 2011 hervorgehoben.

Am 25. Oktober 2011 stellte die Europäische Kommission ihre Mitteilung „Intelligente Grenzen: Optionen und weiteres Vorgehen“ vor; darin wird ein Paket aus einem Registrierungsprogramm für Reisende („RTP“) und einem Einreise-/Ausreisesystem („EES“) umrissen. Die Kommission hat mit dieser Mitteilung die Erörterungen zu diesem Thema im Vorfeld entsprechender Legislativ-vorschläge fortgeführt, deren Vorlage durch die Kommission nun für Juni 2012 erwartet wird.

Um einen Beitrag zu einem umfassenden europäischen Ansatz für Innovationen beim Grenz-management zu leisten und so der Kommission für die anstehenden Legislativvorschläge und die sich daran anschließende Entwicklung eines RTP und eines EES zuzuarbeiten, haben der dänische Vorsitz und die Niederlande eine Konferenz über innovatives Grenzmanagement veranstaltet. Die Konferenz fand am 2./3. Februar 2012 in Kopenhagen statt und vereinte Teilnehmer aus den Mitgliedstaaten und aus mit Schengen assoziierten Staaten, von Europäischem Parlament, Kommission und Frontex, aus den Vereinigten Staaten und den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie von der IATA.

Bei einer Kombination aus Präsentationen in Plenarsitzungen und Workshops bot sich den Teil-nehmern die Gelegenheit, ihre Gedanken zum EES und zum RTP sowie zu anderen potenziellen Innovationen an den Außengrenzen auszutauschen. Die Teilnehmer wurden außerdem aufgefordert, sich über ihre Erfahrungen mit innovativem Grenzmanagement auf nationaler Ebene sowie über ihre Ansichten hinsichtlich etwaiger Vor- und Nachteile von EES und RTP auszutauschen.

Die Diskussionen fanden in einer informellen Atmosphäre statt, und die Teilnehmer wurden ermuntert, frei heraus als Experten und weniger als Vertreter eines Staates oder einer Institution zu sprechen.

Im Anschluss an diese Beratungen hat der Vorsitz bestimmte Ergebnisse zusammengefasst; er stützte sich dabei auf Aussagen von Teilnehmern zu EES und RTP, beispielsweise zu Erfahrungen auf nationaler Ebene, etwaigen Kosten und Vorteilen sowie zu weiteren Ideen, Problemen und Bedenken im Zusammenhang mit dem Paket „Intelligente Grenzen“.

ANLAGE

Zusammenfassung der Ergebnisse durch den Vorsitz

I. Einleitung

Die nachstehend zusammengefassten Ergebnisse basieren auf Aussagen von Teilnehmern zum Einreise-/Ausreisesystem (EES) und zum Registrierungsprogramm für Reisende (RTP), beispielsweise zu Erfahrungen auf nationaler Ebene, etwaigen Vorteilen sowie zu Heraus-forderungen im Zusammenhang mit dem Paket „Intelligente Grenzen“.

Die Diskussionen fanden in einer informellen Atmosphäre statt und hatten einen freien Gedanken-austausch zwischen den teilnehmenden Experten zum Ziel, ohne dass ein Konsens über die verschiedenen Fragen angestrebt wurde.

Die Ergebnisse umfassen somit Aussagen, die teils von nur einigen wenigen, teils von einer Mehrheit von Teilnehmern getroffen wurden; sie wurden auch weder der Konferenz unterbreitet noch von dieser gebilligt. Zu beachten ist ferner, dass zu den nachstehend aufgeführten Ergebnissen zum Teil auch gegenteilige Meinungen geäußert wurden.

Allgemein kann jedoch angemerkt werden, dass die Kommission ersucht wurde, ihre Folgen-abschätzung und die Legislativvorschläge voranzubringen und dabei die einschlägigen substanziellen Beiträge der Konferenz zu berücksichtigen.

II. Das Paket „Intelligente Grenzen“

Verschiedene Teilnehmer der Konferenz

– waren sich darüber einig, dass wichtig ist zu prüfen, wie neue Technologien für das Management der Außengrenzen die Bemühungen zur Bekämpfung von illegaler Einwanderung und grenz-überschreitender Kriminalität unterstützen und gleichzeitig aber auch den Grenzübertritt der Mehrheit der Drittstaatsangehörigen erleichtern können, die beispielsweise zu Geschäfts-zwecken – häufig die Außengrenzen überqueren und hinsichtlich illegaler Einwanderung und Sicherheit eine Minimalbedrohung darstellen;

– äußerten ihre Unterstützung für das Paket „Intelligente Grenzen“, wobei sie zustimmten, dass ein EES Behörden einen zusätzlichen Nutzen bringen und ein RTP vorteilhaft für Reisende sein könnte; zugleich hinterfragten sie aber den zusätzlichen Nutzen der Einführung eines RTP und automatisierter Grenzkontrollen („e-Gates“) in Mitgliedstaaten, an deren Luftgrenzen keine größeren Passagierströme abzufertigen sind;
– sprachen sich dafür aus, die Arbeiten an den Vorschlägen zu intelligenten Grenzen ungeteilt im Rahmen derselben Arbeitsgruppe in einem koordinierten und kohärenten Verfahren voranzubringen;
– unterstrichen die Notwendigkeit, bald Fortschritte zu erzielen, bevor mehr Mitgliedstaaten ihre eigenen nationalen Systeme auf den Weg bringen, und in den Fällen, da solche Systeme bereits existieren, deren Kompatibilität und Interoperabilität zu gewährleisten;
– äußerten eine allgemeine Präferenz für eine zentrale Architektur für EES und RTP, was offenbar die wirtschaftlichste Option ist und die beste Grundlage für die nötige Synergie und Interoperabilität mit anderen EU Systemen bietet;
– hoben hervor, wie wichtig es bei der Prüfung von Innovationen beim Grenzmanagement ist, alle einschlägigen Systeme zu berücksichtigen, und zwar nicht nur das Visa-Informationssystem (VIS) und das Schengener Informationssystem (SIS und das künftige SIS II), sondern zwecks Risikobewertung für jeden einzelnen Reisenden auch die Erfassung von erweiterten Flug-gastdaten (API) und von Fluggastdatensätzen (PNR) ;
– waren der Auffassung, dass die Speicherung biometrischer Daten spezielle gemeinsame Standards für die Qualität, die Quantität und die Dauer der Datenvorhaltung voraussetzt und dass die Geräte für die Erfassung biometrischer Daten an den Grenzen es ermöglichen sollten, alle grenzbezogenen IT Systeme mit einer einzigen Abfrage zu konsultieren;
– wiesen darauf hin, dass die neue Europäische Agentur für das Betriebsmanagement von IT Großsystemen in den Prozess – was die Bewertung der technischen Durchführbarkeit und der Risiken anbelangt – und die darauffolgende Entwicklung der Systeme einbezogen werden, dabei aber keine politische Rolle wahrnehmen sollte;

– begrüßten, dass die Niederlande im Frühjahr ein Expertentreffen zur Nutzung und Einführung einer Public-Key-Infrastruktur für die Authentifizierung des Chips und die Verifizierung biometrischer Daten auf elektronischen Dokumenten veranstalten, und waren sich darüber einig, dass ein diesbezüglicher Austausch von Meinungen und bewährten Verfahren nützlich ist;
– riefen die Kommission auf, eine Strategie dafür in Betracht zu ziehen, wie beim Zusammenbruch eines oder beider Systeme zu verfahren ist, sowie Vorkehrungen gegen potenzielle Hacker-angriffe auf die Daten in den beiden Systemen zu treffen.

III. Registrierungsprogramm für Reisende (RTP)

Mehrere Teilnehmer der Konferenz

– betrachteten das RTP als mögliches Instrument für einen wirksameren Einsatz der Grenz-managementressourcen, indem sie von Reisenden mit niedrigem zu Reisenden mit hohem Gefährdungspotenzial verlagert werden, wodurch die Sicherheit erhöht und illegale Migration zurückgedrängt werden könnte, während Reisenden und Unternehmen kostengünstige Dienstleistungen für den Grenzübertritt zur Verfügung gestellt würden;
– waren sich der Herausforderung für Land- und Seegrenzen aufgrund der weltweit beschränkten Erfahrungen bewusst;
– vertraten die Auffassung, dass das RTP grundsätzlich als zentrale Datenbank aufgebaut werden sollte, dass jedoch Nutzung und Zweck des Systems seine Gestaltung bestimmen würden;
– erkannten die potenziellen Vorteile automatisierter Grenzkontrollen („e-Gates“) als ergänzende Option an, betrachteten sie jedoch nicht als notwendige Voraussetzung für ein RTP;
– erachteten eine standardisierte Erfassung biometrischer Daten für nötig, während die Frage der Speicherung von Antragsdaten offengelassen wurde;
– schlugen vor, dass die Kommission klare Zulässigkeits- und Ablehnungskriterien vorgeben sollte;
– sprachen sich dafür aus, dass die Kommission die Option der Entwicklung von Marken weiter prüft, einschließlich der Fragen in Bezug auf Kosten und Nutzen, die technische Machbarkeit sowie die Auswirkungen auf Privatsphäre, Datenschutz und Leistungsumfang;

– regten an, dass die Kommission prüft, wie bei automatisierten Grenzkontrollen das Erkennen sämtlicher gefälschter Pässe gewährleistet werden kann.

IV. Einreise-/Ausreisesystem (EES)

Verschiedene Teilnehmer der Konferenz

– stellten fest, dass das EES ein nützliches Politikinstrument sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene sein könnte, da es möglicherweise wesentliche Informationen für die Bekämpfung der illegalen Einwanderung, des Schmuggels und anderer Arten der grenzüberschreitenden Kriminalität sowie für die leichtere Abwicklung des Grenzverkehrs und die Verbesserung der Grenzkontrollen bereitstellt;
– waren der Ansicht, dass das EES eine Präventivwirkung in Bezug auf Personen, die nach Ablauf der Aufenthaltsgenehmigung möglicherweise im Land bleiben, entfalten und ein nützliches Instrument im Hinblick auf die Rückführung irregulärer Einwanderer darstellen könne, unter anderem dadurch, dass die Möglichkeiten zur Identifikation von Drittstaatsangehörigen, die keine Identitätsdokumente besitzen, verbessert werden;
– vertraten die Auffassung, dass das EES als Instrument zur Aufdeckung, Identifizierung und Ermittlung der Zahl der Personen, die nach Ablauf ihrer Aufenthaltsgenehmigung im Land bleiben, dienen könne, welches nützliche Informationen zur Debatte über illegale Einwanderung und zur Unterstützung des Vorgehens gegen die Schwarzmarktwirtschaft beisteuern und sich auch im Hinblick auf das Verhältnis zu Drittländern, z.B. betreffend die Visumpolitik, als nützlich erweisen könne;
– gaben zu verstehen, dass mit dem EES zuverlässige Daten gewonnen werden können, die anderenfalls fehlen würden, da mehr Drittländern eine Visaliberalisierung gewährt werde;
– waren der Ansicht, dass das EES an allen Außengrenzübergangsstellen installiert werden sollte, damit es effektiv ist;
– waren der Meinung, dass das System so konzipiert sein sollte, dass sichergestellt ist, dass Daten rasch und in standardisierter Weise erhoben werden können, damit sich an der Grenze keine langen Warteschlangen bilden;
– erinnerten daran, dass Definition und Zweck des EES von Beginn an klar festgelegt sein müssten, da sich die Bedingungen für den Datenschutz daran anknüpften;

– vertraten die Auffassung, dass das EES von Beginn an auf biometrische Daten – vorzugsweise den ePass und/oder die Fingerabdrücke – gestützt werden sollte, da sich anderenfalls die Vorteile des Systems erheblich vermindern würden;
– räumten ein, dass es von Vorteil sei, wenn die Strafverfolgungsbehörden Zugang zu den im EES gespeicherten Daten hätten, schlugen aber gleichzeitig vor, dass sie einen – im Vergleich zu den Grenz- und Visumbehörden – stärker eingeschränkten Zugang erhalten sollten, ähnlich dem begrenzten Zugang der Strafverfolgungsbehörden zu Daten im VIS;
– betonten, dass die Abschaffung des Abstempelns von Pässen zwar ein grundlegendes Element des EES sei, um erhebliche Vorteile sowohl für die Reisenden als auch für die Behörden bewirken zu können, dennoch auch der Bedarf der Reisenden an klaren Informationen und Unterlagen zu ihrem rechtmäßigen Aufenthalt im Schengen-Raum berücksichtigt werden müsse;
– schlugen vor, dass die Kommission prüft, wie weiter vorgegangen werden sollte, wenn die Zahl der Personen, die nach Ablauf ihres Aufenthaltstitels im Land bleiben, konkret bekannt ist, und welche rechtlichen Folgen sich für Personen aus der Tatsache, dass sie sich länger als erlaubt im Land aufhalten, ergeben sollten, z.B. in Bezug auf Einreiseverbote.

V. Datenschutz und Finanzierung

Verschiedene Teilnehmer der Konferenz

– waren der Ansicht, dass die Bestimmungen über die Datenverarbeitung sich nach den all-gemeinen Datenschutzvorschriften richten sollten , wiesen aber gleichzeitig darauf hin, dass über den Zweck der Datenerhebung entschieden werden müsse, bevor eine datenschutzrechtliche Abwägung in Betracht gezogen werden könne, und unterstrichen, wie wichtig es sei, die Rechte des Einzelnen auf Zugang zu Informationen zu gewährleisten;
– erinnerten daran, dass die Entwicklung beider Systeme auf gründlichen Folgenabschätzung und auch auf einem umfassenden Plan beruhen sollte, damit es nicht zu unvorhergesehenen Ausgaben kommt;

– bekräftigten, dass bei der Prüfung der Finanzierung der Systeme die unterschiedliche Situation in den einzelnen Mitgliedstaaten, z.B. hinsichtlich des Zuwanderungsdrucks an den Grenzen und des sich daraus ergebenden Bedarfs für ein RTP, berücksichtigt werden sollte;
– nahmen Kenntnis von der Möglichkeit, die Entwicklung der Systeme durch die EU zu finanzieren und die Wartungskosten durch die EU mitzufinanzieren, wie dies in dem Vorschlag der Kommission „Ein offenes und sicheres Europa: Haushaltsmittel für den Bereich Inneres 2014-2020“ als Teil des mehrjährigen Finanzrahmens vorgeschlagen wird;
– schlugen vor, dass erwogen wird, auch den Privatsektor – wie Beförderungsunternehmen und Flughäfen – an der Finanzierung der Systeme zu beteiligen.

Source: http://register.consilium.europa.eu