Terrorismus weltweit?

Belgien, Dänemark, Deutschland, Griechenland, Italien, Neuseeland, Österreich, Spanien, USA…… und Frankreich

Seit Janunar 2008 werden in Frankreich sechs Aktivist_innen mit Terrorismusvorwurf strafrechtlich verfolgt. Ivan, Bruno und Damien wurden am 19. Januar festgenommen als sie auf dem Weg zu einer Demonstration zum mittlerweile vollständig abgebrannten Abschiebeknast von Vincennes waren. In diesem war es in den letzen Monaten immer wieder zu Streiks und Revolten der dort inhaftierten Sans-Papiers gekommen, die mit Demonstrationen vor dem Gefängnis solidarisch unterstützt wurden.

Im Januar waren darüber hinaus Isa und Farid bei einer Zollkontrolle festgenommen worden. Am 20. Juni wurde dann Juan, Isas Bruder, festgenommen und zugleich ins Gefängnis von Fresnes gebracht. Schon im April waren die Fälle in einer gemeinsamen Untersuchung zusammengefasst worden und die Antiterrorismusabteilung übernahm die gesamten Ermittlungen. Alle sechs sind der Bildung einer terroristischen Vereinigung verdächtigt und gehören laut Polizei zu einer angeblichen „anarcho-autonomen Gruppe des Großraumes Paris“.

Der Kontext, in dem diese Festnahmen und Ermittlungen stehen

Im Januar diesen Jahres gab es um und vor dem Abschiebeknast von Vincennes, der in der Nähe von Paris liegt, großangelegte Mobilisierungen mit wöchentlichen Kundgebungen und Demonstrationen um die dort inhaftierten Sans-Papiers solidarisch in ihren Kämpfen gegen überfüllte Knäste, die dort vorherrschenden Haftbedingungen und Abschiebungen zu unterstützen.

Frankreichs Präsident Sarkozy sieht eine massive Erhöhung der Abschiebungen jährlich auf 250 000 vor. Die Umsetzung dieser Forderung bringt überfüllte Abschiebeknäste, noch menschenunwürdigere Haftbedingungen, belagerungsartige Zustände von städtischen Vierteln mit verstärktem Auftreten von Migrant_ innen bis hin zu Razzien derselbigen mit sich. Metrostationen werden intensivst überwacht und immer wieder kommt es zu rassistisch motivierten Personenkontrollen und Verhaftungen.

In Anbetracht dieser sich immer unerträglicher gestaltenden Lebensbedingungen für Migrant_innen kam es zu zuvor genannten Mobilisierungen um die Sans-Papiers in ihren Organisierungen gegen Abschiebungen, Kontrollen und Streiks zu unterstützen – nicht nur in Vincennes sondern vielerorts in Frankreich.

Viele Sans-Papiers arbeiten zu noch ungünstigeren Bedingungen als Menschen mit legalem Status und versuchten auch hierauf durch Streiks aufmerksam zu machen und Druck auszuüben um Papiere erhalten zu können.

Innerhalb der Knäste kam es zu Hungerstreiks, die Gefangenen verweigerten ihre Zählung und den Weg zurück in „ihre“ Zellen. Im Juni diesen Jahres brannten Inhaftierte des Abschiebeknastes von Vincennes – des größten in Frankreichs – diesen komplett nieder, in dem sie ihre Matratzen anzündeten, nachdem einem Gefangenen am 22.06.08 medizinische Hilfe verweigert wurde, woraufhin dieser verstarb. Draußen versammelten sich Menschen zu Demonstrationen oder Kundgebungen vor den Gefängnissen.

In diesem Kontext muss nun auch das Konstrukt und das anstehende Verfahren gesehen werden, das den sechs Beschuldigten droht und beinhaltet Mitglieder in einer terroristischen Vereinigung zu sein die die Ermittlungsbehörden „anarcho-autonome Gruppen des Großraumes Paris“ nennen – obwohl sich niemals jemand selbst so bezeichnet hat.

Die Festnahmen

Am 19. Januar wurden schon im Vorfeld einer Demonstration bei Vincennes Bruno und Ivan festgenommen, als bei einer Polizeikontrolle Natriumchlorat (Bestandteil von Rauchpulver) und Nägel (Krähenfüße) in ihrem Auto gefunden wurden. Der Vorwurf lautet die beiden hätten geplant ein explosives Erzeugnis, das Nägel beinhalten würde, herzustellen. Sprich eine Nagelbombe. In Anbetracht der Demonstrationen, die von einer breiteren sozialen Bewegung getragen wurden, in der militante Aktionsformen wie Rauchpulver oder Krähenfüße sozusagen zur politischen Praxis gehören wirkt das Konstrukt „eine Nagelbombe bauen zu wollen“ doch sehr weit her geholt. Viel mehr scheint den ermittelnden Behörden viel daran gelegen diese soziale Bewegung zu kriminalisieren und in gute und böse Demonstrant_ innen zu spalten, sodass sie ihre menschenverachtende Politik weitgehendst ungestört durchführen können.

Die dritte Person, die an diesem Tag festgenommen wurde, Damien, war sozusagen zur falschen Zeit am falschen Ort. Er kam lediglich dazu, als die Autodurchsuchung mit anschließender Festnahme von statten ging und wurde lediglich aus Bekanntschaft zu den beiden festgenommenen auch inhaftiert und gleich mitangeklagt. Unglaublich aber wahr.

Eine Woche später wurden dann Isa und Farid bei einer Zollkontrolle festgenommen als in ihrem Auto Natriumchlorat, Pläne des Jugendknastest von Porcheville und Sabotageanleitungen gefunden wurden. Die Ermittlungen wurden sofort mit dem Vorwurf der Bildung einer terroristischen Vereinigung aufgenommen. Isas DNA, die während der Ingewahrsamnahme festgestellt wurde, soll mit Spuren, die auf einem Brandsatz, der im Mai 2007 unter einem Polizeifahrzeug gefunden worden war, übereinstimmen. Sie befindet sich seitdem in Untersuchungshaft und hat den Status einer besonders überwachten Gefangenen.

Obwohl beide Fälle erst einmal nichts miteinander zu tun haben wurden sie im April von der Antiterrorismusabteilung zusammengelegt und von nun an gegen insgesamt sechs betroffene ermittelt. Der genaue Ermittlungsgegenstand lautet Mitgliedschaft in einer „anarcho-autonomen Gruppe des Großraumes Paris“. Am 20. Juni wurde Juan, Isas Bruder, auf offener Straße festgenommen und zugleich ins Gefängnis von Fresnes gebracht, weil seine DNA-Probe ebenfalls mit den Spuren vom Mai 2007 übereinstimmen sollen. Auch er soll Mitglied dieser Vereinigung sein. Es sollen angeblich vier weitere DNA-Spuren auf dem Brandsatz gefunden worden sein, weswegen im August 2008 auch Damien festgenommen wurde. Er befindet sich seitdem wieder in Untersuchungshaft.

Ivan, Bruno und Farid sind im Juni nach über vier Monaten Untersuchungshaft aus dem Knast entlassen worden. Alle drei wurden unter strenge richterliche Aufsicht gestellt. In zwei Fällen zwingen die Auflagen die Betroffenen weit von ihrem eigentlichen Wohnort zu leben, eine Arbeitsstelle zu finden und regelmäßig beim SPIP (Reintegrationsdienst des Strafvollzug) zu erscheinen. Die Auflagen zielen darauf ab, die aus der Haft entlassenen Personen weiterhin aus der Nähe zu überwachen.

Sie stellen eine Art des Freiheitsentzuges dar bei dem jede Nichtbeachtung der Auflagen sofort wieder Knast bedeutet. Die Pflicht regelmäßig bei der Polizei zu erscheinen soll den Druck auf die Personen aufrecht erhalten und sie der Justiz verfügbar machen. Die Untersuchungen gelten als immer noch nicht abgeschlossen und es steht noch kein Datum für einen Prozess fest.

Bruno ist mittlerweile untergetaucht und hat einen offenen Brief verfasst, in dem er seine Beweggründe hierfür darlegt und dazu aufruft den Kampf gegen Staat, Abschiebungen und Repression weiterhin aufrecht zu erhalten. Die richterlichen Auflagen unter denen die Beschuldigten draußen sind wurden im Oktober nun verschärft, da Ivan und Farid, die von Zivilpolizisten beschattet wurden, gegen ihre Auflagen verstießen als sie sich miteinander getroffen haben. Weitere Informationen hierzu liegen zur Zeit nicht vor werden aber schnellst möglich auf indymedia und co. veröffentlicht werden.

Was bedeuten Ermittlungen nach dem französischen Terrorparagraphen?

Gefangene, gegen die auf Grund dieses Paragraphen ermittelt wird, stehen unter besonderer Aufsicht als besonders gefährliche Inhaftierte. Verschärfte Knastbedingungen und Isolationshaft gehören genau so zum Programm wie besondere Sicherheitsauflagen. Isa zum Beispiel wurde in der Zeit ihrer Inhaftierung schon drei mal in andere Knäste verlegt was eine kontinuierliche Solidaritätsarbeit oder den Kontakt mit ihrem Anwalt immens erschwert. Rund um die Uhr Intensivst-Überwachung der Beschuldigten, die sich draußen unter richterlicher Aufsicht befinden, Meldeauflagen und Hausarrest gehören auch dazu.

Weiterhin, wie auch in Deutschland, gehört zu den Zielen der Ermittlungsbehörden ein möglichst detailiertes Bild des Umfelds der Beschuldigten zu erstellen. Dem Schnüffelparagraphen alle Ehre machend wird nun versucht eine ganze Szene zu durchleuchten und zu kriminalisieren. Schon alleine das Halten eines Banners mit Solidaritätsbekundung vor dem Knast führte zu einem gewalttätigen Bulleneinsatz mit Verhaftungen und Hausdurchsuchungen. Den Beschuldigten wird nun wegen der Aufschrift „Comme à Vincennes… feu aux prison“ („Wie in Vincennes…Feuer und Flamme allen Gefängnissen“) ein Aufruf zu Straftaten vorgeworfen (Prozesstermin 14.Oktober). Es geht also auch darum jeglichen Widerstand zu kriminalisieren und im Keim zu ersticken.

Wie reagiert die Öffentlichkeit?

In Presseerklärungen beziehen sich verschiedene Minister_innen immer wieder auf das Konstrukt der „anarcho- autonomen Gruppe“ und greifen hierbei den „neuen Feind“, von dem eine terroristische Gefahr für Frankreich ausgeht, an. Dies ist ein Angriff auf bestimmte Organisationsformen und beinhaltet alle und alles was von einer sich autonom und/oder sich selbstorganisierenden Szene ausgeht. Hausbesetzer_innen und der Sympatisant_ innenkreis sozusagen. Hiermit ist dem Terrorparagraphen als Aushorchinstrument Tür und Tor geöffnet. Unter dem Vorwand Terrorist_ innen zu verfolgen und die Demokratie sichern zu wollen werden Menschen willkürlich festgenommen, wird ihnen DNA entnommen und Strukturen und Beziehungen durchleuchtet. Auch die Presse unterstützt die ermittelnden Behörden – sind doch einige Zeitungen in den Händen Sarkozys und seiner Verbündeter. Keiner der Fälle ist jedoch mehr als (versuchte) Sachbeschädigung und in diesem Kontext muss der Vorwurf „Terrorismus“ und die neue „linksextremistische Gefahr“ dann auch gesehen werden. Selbst größere Gruppen, die an den Protesten rund um Abschiebeknäste und Antirassismus beteiligt sind halten sich eher bedeckt und eine gemeinsame Solidaritätsarbeit ist gerade erst im Aufbau.

International kam es jedoch schon zu zahlreichen Solidaritätsbekundungen gerade aus dem radikal linken Umfeld. So zum Beispiel innerhalb der internationalen Woche der Solidarität Ende Juni als es in verschiedenen Städten in Frankreich Solikundgebungen, Demos mit massivem Rauchpulvereinsatz oder auch Aktionen gegen Gefängnisse, Gefängnisneubauten und daran Beteiligten – wie zum Beispiel deren Bauleitungen – kam.

Dieser Artikel möchte Möglichkeiten aufzeigen, uns grenzenüberwinded gemeinsam gegen Repression, Abschiebungen und die kapitalistische Weltordnung zu solidarisieren. Es braucht eine gemeinsame Reflektion darüber, was Repression auch in größerem Rahmen für uns als radikale Linke bedeutet, was verschiedene Organisationsformen an Repression „mit sich bringen“ und welche Aktionsformen wir wie – auch zur Solidaritätsbekundung – durchführen können und wollen.

Um mit Brunos Worten zu enden:

Feuer und Flamme allen Gefängnissen.

Feuer und Flamme dem Kapitalismus.

weitere Informationen:
http://infokiosques.net/mauvaises_intentions (frz.)
indymedia (Briefe, Reflexionen)

Dieser Text erschien in "Rote Hilfe 4/2008", die Zeitung der "Rote Hilfe", sowie in "Entfesselt" November/Dezember 2008, Anarchist Black Cross Info von "ABC Berlin" und "ABC Orkan".