Der britische Ex-Cop Mark Kennedy düpiert Aktivistinnen, die den Staat wegen sexueller Ausbeutung durch verdeckte Ermittler verklagen
Der frühere britische verdeckte Ermittler Mark Kennedy hat erstmals öffentlich zugegeben, bei seinen Einsätzen sexuelle Beziehungen eingegangen zu sein. Hintergrund ist ein Zivilverfahren von zehn Frauen und einem Mann wegen sexueller Ausbeutung durch Polizisten. Die Fälle liegen teilweise lange zurück und betreffen sogar die vernachlässigte Vaterschaft eines Spitzels, der mit seiner Zielperson geschlafen hatte. Die Klagen richten sich gegen die britische Metropolitan Police und die halbprivate „Association of Chief Police Officers“, die für die klandestinen Ermittlungen zuständig war.
Die Geschädigten verweisen auf die Verletzung mehrerer Rechtsprinzipien: Nach der Europäischen Menschenrechtskonvention darf niemand einer erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. Denn in den meisten Fällen gingen die von stabilen, zukunftsfähigen Bindungen aus. Die zwischen sieben Monaten und sechs Jahren dauernden Beziehungen endeten aber mit dem plötzlichen Abtauchen der vermeintlichen Partner, wenn deren Einsatz abgebrochen wurde.
Jedoch ist unklar, ob das spektakuläre Verfahren öffentlich verhandelt wird. Denn Anwälte der Polizei wollen die Fälle in einem Geheimverfahren abwickeln, das für Klagen gegen den britischen Inlandsgeheimdienst MI5 vorgesehen ist. Weder die Klägerinnen noch deren Anwälte dürften dann an Verhandlungen teilnehmen oder Zeugen hören. Gut möglich aber auch, dass der zuständige Richter nur die neueren Fälle der Geheimhaltung unterordnet. Dies beträfe den Ex-Spitzel Kennedy ebenso wie seinen Kollegen, der unter dem Namen „Marco Jacobs“ die linke Szene unterwanderte. Beide hatten auch die Mobilisierung gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 und den NATO-Gipfel in Strasbourg 2009 ausgeforscht. Kennedy war in mindestens 11 Ländern aktiv, darunter auch in den USA. Vermutlich hat er auch für das FBI gearbeitet. Die britische Tageszeitung Daily Mail berichtet, Kennedy habe überdies in Diensten des den deutschen Energiemulti E.ON gestanden.Die polizeilichen Führer der Spitzel waren jederzeit informiert, wo diese übernachteten. So erklärte es Kennedy nun der britischen Regenbogenpresse und bestätigt damit die Klägerinnen, die „institutionalisierten Sexismus“ bei der Polizei anprangern. Auch innerhalb der britischen Polizei wird darüber kontrovers diskutiert. Während einige dies als „unakzeptabel“ und „unprofessionell“ bezeichneten, sehen andere darin unvermeidliches Mittel der Tarnung.
Die weltweiten Einsätze von Kennedy haben nach seiner Enttarnung 2010 in Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Island zu viel öffentlichen Interesse geführt. Er selbst hatte Interviews über seine Einsätze an die Presse verkauft. Er spielte überdies in einem Kinofilm über seine Zeit bei der Polizei, in dem er sich als Opfer inszeniert. Jetzt geht der geltungssüchtige Ex-Spitzel erneut in die Offensive und macht sich selbst zum Opfer: Öffentlichkeitswirksam nutzt er die Klagen der Frauen, um seinerseits Schadensersatz von seinen früheren Vorgesetzten zu fordern. Da diese ihn nicht an den sexuellen Affären und Beziehungen gehindert hätten, sollen sie ihm den dadurch entstandenen posttraumatischen Stress mit rund 120.000 Euro vergüten.
Auch im Tarnac-Verfahren involviert
Für Furore sorgt Kennedy auch in Frankreich, wo er die Ermittlungsbehörden 2008 mit Material über Aktivisten des Dörfchens Tarnac versorgt hatte. Dies geht aus den Ermittlungsakten des Verfahrens hervor, das nun verhandelt wird. Damals waren neun Personen verhaftet worden. Unter ihnen war Julien Coupat, der als „Rädelsführer“ galt. Ein erster Bericht auf deutsch erschien im April diesen Jahres als Übersetzung eines französischen Textes der Journalistin Camille Polloni. Aktuelle Entwicklungen dazu hatte Bernhard Schmid kürzlich in der Jungle World zusammengetragen. Er argwöhnt, dass der Fall Tarnac der Legitimation der „Direction centrale du Renseignement Intérieur“ (DCRI) diente, die in jenem Jahr erst ihre Arbeit aufnahm. Damals wurden die Polizeien und Geheimdienste durch die amtierende Innenministerin Michelle Alliot-Marie einer grundlegen Neuorganisation unterzogen.
Das DCRI besteht aus mehr als 4.000 Beamten, 3.000 von ihnen sind Polizisten, so genannte „Aktive“ und berechtigt zur „geheimen Verteidigung“. Ihre 175 Kommissare dürfen in jedem Department agieren. In der „Unité de Coordination de la Lutte Anti-Terroriste“ (UCLAT) sind alle nationalen Polizeien zur „Bekämpfung des Terrorismus“ zusammengefasst. Der Apparat nimmt auch linksradikale und anarchistische Gruppen aufs Korn (die als „anarcho-autonome“ bezeichnet werden), kriminalisiert ihren Protest und betreibt Spaltungen. Ebenfalls im Visier der französischen neuen „Anti-Terror“-Behörden waren die Freeparty-Szene, Unterstützung der Kämpfe in den Abschiebeknästen CPE, der Widerstand gegen das Treffen europäischer InnenministerInnen in Vichy im November 2008, die Mobilisierung gegen die Datenbank Edvige sowie die Planungen gegen den für 2009 geplanten NATO-Gipfel.
Zum Thema „Euroanarchismus“ arbeitet auch das Bundeskriminalamt mit dem DCRI zusammen, außerdem mit weiteren französischen Behörden („Direction Centrale de la Police Judicaire“ DCPJ, „Sous-Direction Antiterroriste“ SDAT). Der Verfassungsschutz unterhält entsprechende Beziehungen mit französischen Geheimdiensten.