Polizeisoldaten: Die Paramilitarisierung deutscher Außenpolitik

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble forderte die Entsendung der
Bundespolizei, des ehemaligen Bundesgrenzschutzes, an die Grenze
zwischen dem Libanon und Syrien. Unmittelbar nach der Aufhebung der
Seeblockade durch Israel reiste Außenminister Walter Steinmeier nach
Beirut und brachte deutsche Bundespolizisten und Zollbeamte mit, die
von nun an den Verkehr des dortigen Flughafens überwachen sollen.[1]
Dieses Engagement, für das weder eine formale Einladung des Ziellandes,
noch ein Bundestagsentscheid notwendig war, wirft ein besonders helles
Schlaglicht auf die "Hybridisierung der sicherheitspolitischen
Einsatzformen" und die damit einhergehende zunehmende Vermischung
ziviler (polizeilicher) und militärischer Aufgaben.[2]
Für die Autorin ist die wachsende Verwendung polizeilicher Kräfte in
Auslandsmissionen eine direkte Konsequenz des veränderten
Sicherheitsverständnisses, das dem beobachtbaren Anstieg militärischer
Auslandseinsätze zugrunde liegt. Sie untersucht die verschiedenen
Formen internationaler Polizeieinsätze und geht ein auf die Gefahren
der fortschreitenden Vermischung polizeilicher und militärischer
Aufgaben.
Konrad Freiberg, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), lehnt
einen Polizeieinsatz im Libanon zur Grenzsicherung inmitten eines
Konfliktherdes scharf ab: "Das ist eine militärische Aufgabe, keine
polizeiliche. Ich kann verstehen, dass man zurückscheut, deutsche
Soldaten dort einzusetzen. Aber wir wollen nicht die Lückenbüßer für
die Bundeswehr sein." Freiberg weist in diesem Zusammenhang auf eine
nur auf den ersten Blick seltsam anmutende Paradoxie deutscher
Sicherheitspolitik hin: Zuerst habe Schäuble "immer vom Einsatz der
Bundeswehr im Inneren gesprochen, obwohl das doch Polizeiaufgaben sind,
jetzt soll die Polizei auf einmal militärische Aufgaben im Ausland
erledigen."[3] Während manche innenpolitischen polizeilichen Aufgaben
Soldaten übergeben werden sollen, verläuft die Entfesselung
sicherheitspolitischer Organe auch in die umgekehrte Richtung, indem
die Polizei mehr und mehr auf die Durchführung quasi-militärischer
Auslandseinsätze ausgerichtet wird. Auf der GdP-Internetseite fasst
Freiberg die Entwicklung pointiert zusammen: "Jetzt sollen Polizisten
Soldaten unterstützen. Sind wir etwa auf dem Weg zu einer Miliz, über
alle von der Verfassung gebotenen Grenzen hinweg?"[4]

Aus Sicht der Regierenden ist dies nur konsequent, wie Christian
Schmidt, parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium,
verdeutlicht: "Eine betonierte Trennung von äußerer und innerer
Sicherheit ist nicht mehr aufrecht zu erhalten." Wenn über einen
Einsatz der Bundeswehr im Inneren nachgedacht werde, müsse die Polizei
im Gegenzug dazu bereit sein, "typische Polizeiaufgaben in
Auslandseinsätzen, z.B. auf dem Balkan, wahrzunehmen."[5]

Polizeieinsätze: Bestandteil des neuen Militärinterventionismus

Da in ihnen potenzielle Rekrutierungs- und Rückzugsgebiete für
Terroristen gesehen werden, wird inzwischen die militärische
Stabilisierung so genannter fehlgeschlagener Staaten als ein
elementarer Bestandteil deutscher Sicherheitspolitik propagiert.
Hierfür müssten – so der herrschende Konsens – sämtliche zur Verfügung
stehenden Instrumente, also nicht nur das Militär, sondern insbesondere
auch die Polizei eingesetzt werden.

Michael Schaefer, Mitarbeiter im Auswärtigen Amt, betont etwa, das neue
Sicherheitsverständnis erfordere den "kohärenten Einsatz von zivilen
und militärischen Mitteln", wie er bspws. von der Europäischen
Sicherheitsstrategie anvisiert werde. Gleichzeitig hebt er dabei die
zentrale Funktion polizeilicher Missionen hervor, die damit zu einem
integralen Bestandteil des neuen Militärinterventionismus werden:
"Gerade unsere Operationen auf dem Balkan sowie in Afghanistan zeigen:
Zivile Instrumente, v.a. Polizei, sind unverzichtbarer und
komplementärer Bestandteil militärischer
(Post-)Krisenmanagement-Operationen."[6] Dieter Wehe, Vorsitzender der
Arbeitsgruppe Internationale Polizeimissionen (AG IPM) von Bund und
Ländern, teilt diese Sichtweise: "Wenn wir nicht dahin gehen, wo die
Probleme sind, werden die Probleme zu uns kommen."[7]

Die Mitschuld westlicher Staaten an der Entstehung von Konflikten ist
in diesen Argumentationsmustern ebenso wenig zu finden, wie die
Tatsache, dass das propagierte Allheilmittel, eine Mischung aus
militärischer Befriedung und parallelem Aufbau der staatlichen
Sicherheitsstrukturen nach westlichem Modell, häufig Teil des Problems
ist. Nur vor dem Hintergrund dieses fragwürdigen
Sicherheitsverständnisses, bei dem Deutschland wortwörtlich am
Hindukusch verteidigt wird, wird die massive Ausweitung polizeilicher
Missionen verständlich. Seit dem ersten Einsatz im August 1989 in
Namibia haben mittlerweile fast 5.000 Beamte – davon 1.600 vom
damaligen Bundesgrenzschutz – an internationalen Polizeimissionen
teilgenommen. Wenn auch derzeit noch beratende Funktionen dominieren,
so lässt sich doch ein Übergang zu immer militärischeren Einsätzen
feststellen. Die Unterschiede zwischen hochintensiven Polizeieinsätzen
und Kriegen niedriger Intensität und damit auch die grundsätzliche
Trennung zwischen Militär und Polizei verwischt zunehmend.

Polizeieinsätze im Ausland

Im Fall der Krisenprävention und des Krisenmanagements reisen die
Ordnungshüter überwiegend als Träger hoheitlicher Exekutivbefugnisse,
was u. a. das Recht auf den »angemessenen Gebrauch von Waffen«
einschließt. Demgegenüber verfügen Dokumentenberater und
Verbindungsbeamte, die im Rahmen polizeilicher Aus- und
Fortbildungshilfe insbesondere zur Migrationskontrolle agieren, zumeist
nicht über exekutive Handlungsmöglichkeiten, auch wenn sich ein aktives
Eingreifen im Rahmen der europäischen Nachbarschaftspolitik kaum
kontrollieren oder unterbinden lässt.

Dokumentenberater und Verbindungsbeamte

Die Bundespolizei übernimmt immer häufiger Auslandsaufgaben. Über
Verbindungsbeamte unterhält sie ein weit reichendes Beziehungsnetz.
Ihre Aufgaben sind der Informationsaustausch mit den entsprechenden
Organisationen des Gastlandes, das Erstellen einer grenzpolizeilichen
Lageanalyse, die Anfertigung von Personenprofilen illegaler Migranten
und die Unterstützung operativer Maßnahmen vor Ort. Über das Netzwerk
der EUROPOL werden Informationen verknüpft und anderen EU-Staaten zur
Verfügung gestellt. Derzeit sind 18 deutsche Bundespolizisten als
Verbindungsbeamte in 17 Staaten stationiert.[8]
Im Jahr 2002 führte die Bundespolizei mit Dokumentenberatern insgesamt
42 Beratungs- und Unterstützungsmaßnahmen auf 24 migrationsrelevanten
Drittlandflughäfen durch, deren Aufgabe es ist, Wirtschafts- und
Kriegsflüchtlingen die Einreise in die EU zu erschweren. Einsätze
längerer Dauer fanden dabei in Ghana, Nigeria, Jugoslawien und Albanien
statt. Dabei wurden 1.590 Passagiere wegen unzureichender
Ausweispapiere von einer Beförderung ausgeschlossen.[9]

Stabilitätspakt-Südosteuropa

Die EU finanziert Programme für polizeiliche Aus- und Fortbildungen in
Südosteuropa. Die vom Bundesinnenministerium (BMI) bereitgestellte
Ausbildungshilfe umfasst die Vermittlung von Rechtsgrundlagen,
Einsatzgrundsätzen sowie spezielle polizeiliche Einsatzpraktiken. Dazu
werden Seminare und Hospitationen durchgeführt sowie
Stipendiatenprogramme für Führungskräfte und Experten angeboten. Die
Ausstattungshilfe soll es diesen Staaten erleichtern, den Anforderungen
an moderne kriminal- und grenzpolizeiliche Standards gerecht zu werden.
Sie umfasst vor allem die Lieferung von Einsatzfahrzeugen, Funk- und
EDV-Ausstattung, Wärmebildgeräten sowie anderem kriminaltechnischem
Gerät.[10] Aus den Mitteln des SOE-Stabilitätspaktes werden seit 2002
umfassende Hilfsleistungen für die jugoslawische Polizei finanziert.
Auch fand im Rahmen des Stabilitätspaktes eine Partnerschaft mit
Kroatien statt. Ziel war die Entwicklung und nachhaltige Stabilisierung
der Bereiche Asyl, Migration und Grenzschutz.

Weitere EU-Förderprogramme werden gegenwärtig in Polen, Ungarn, der
Ukraine, Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Albanien unter Leitung oder
Beteiligung der Bundespolizei durchgeführt.

Polizeimissionen zur Aufstandsbekämpfung

Der Großteil deutscher Polizeieinsätze findet im Rahmen der
Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) statt. Der
erste Einsatz, der überhaupt im Rahmen der ESVP erfolgte, war die
Polizeimission in Bosnien und Herzegowina (EUPM), die aktuell aus 464
Polizisten und 62 nicht näher bezeichneten »Zivilisten« aus 34 Staaten
besteht. Ziel der Polizeimission ist der Kampf gegen organisierte
Kriminalität und Korruption sowie der Aufbau von Institutionen der
inneren Sicherheit. Derzeit sind 90 deutsche Polizisten an der Mission
beteiligt.

Auf den NATO-Einsatz in Mazedonien folgte mit CONCORDIA die zweite
ESVP-Mission, die im Dezember 2003 von der Polizeimission PROXIMA
abgelöst wurde. Diese bestand bis zu ihrem Ende im Dezember 2005 aus
170 Polizisten aus 23 EU-Staaten und 30 Einsatzkräften in Zivil, die
ebenfalls mittlere und leitende Polizeikräfte ausbildeten, exekutive
Aufgaben übernahmen und bei der Reform des Innenministeriums mitwirkten.

Die dritte ESVP-Polizei-Mission ist EUPOL KINSHASA, die den Aufbau von
Sicherheitskräften der kongolesischen Regierung zum Ziel hat. Die
Polizeieinheiten, die mit EU-Entwicklungshilfegeldern ausgerüstet
werden, setzen sich aus Anhängern verschiedenster Bürgerkriegsmilizen
zusammen. Wie problematisch Polizeimissionen zur so genannten
Sicherheitssektorreform sind, zeigt gerade EUPOL KINSHASA. Als von der
Übergangsregierung unter Joseph Kabila im Sommer 2005 die Wahlen
verschoben wurden, kam es zu friedlichen Protesten, die,
höchstwahrscheinlich unter Beteiligung der durch die EU unterstützten
Sicherheitskräfte, gewaltsam niedergeschlagen wurden.[11]

Die ESVP-Polizei-Mission EUJUST LEX im Irak steht unter der Leitung von
Stephen White, einem Polizeioffizier, der einen Großteil seiner
Laufbahn in Nordirland absolvierte. In Nordirland wird die Polizei
straff geführt und arbeitet systematisch mit dem Militär zusammen.
EUJUST LEX hat zum Ziel, bis zu 700 irakische Richter, Staatsanwälte,
Polizisten und Gefängniswächter auszubilden. Die Mission wurde am 12.
Juni 2006 um weitere 18 Monate verlängert.[12] Die Bundesregierung
führte ressortübergreifend zwei der genannten Ausbildungskurse in
Deutschland durch, auf Basis von in Brüssel entwickelten
Ausbildungsmodulen. Damit übernimmt Deutschland Aufgaben, zu denen sich
die Besatzungsmächte verpflichtet hatten.

Im Rahmen VN-mandatierter Missionen stellt Deutschland neben etwa 6.500
Soldaten auch knapp 300 Polizisten unter anderem für folgende Einsätze:
UNMIK/Kosovo (260 Polizisten), ISAF/Afghanistan (16),
UNOCI/Elfenbeinküste (5), UNOMIG/Georgien (4) und UNMIL/Liberia
(5).[13] Eine Schlüsselrolle kommt Deutschland beim Engagement
innerhalb der UN-Mission für den Wiederaufbau der afghanischen Polizei
zu, das Ende 2005 von der Bundesregierung für ein weiteres Jahr
verlängert wurde. Seit 2002 hat Deutschland dort die internationale
Führungsrolle übernommen. Bisher wurden 58 Mio. € von Deutschland und
350 Mio. € von der internationalen Gebergemeinschaft für den
Polizeiaufbau in Afghanistan bereit gestellt. Insgesamt wurden über
59.000 afghanische Polizeibeamte an der von Deutschland neu errichteten
Polizeiakademie in Kabul ausgebildet.[14]

In ganz Afghanistan kommt es immer wieder zu gewaltsamen
Auseinandersetzungen zwischen Bevölkerung und Polizei. Gelegentlich
wird dabei auch das Feuer auf Demonstrationen eröffnet, werden
Zivilisten getötet. Nach Ansicht des UN-Sonderbeauftragten Tom Koenigs
handelt es sich bei den Unruhen in Afghanistan um einen regelrechten
"Aufstand" bei dessen gewaltsamer Niederschlagung afghanische
Polizeibeamte regelmäßig eingesetzt werden.[15]

Polizeimissionen zur Stabilisierung repressiver Regierungskräfte
(Kongo) oder noch direkter als elementarer Bestandteil einer de facto
Besatzung durch westliche Truppen (Afghanistan und Irak) gehören damit
zu den Instrumenten, "mit denen schwächere Staaten unterhalb der
Schwelle des offenen Krieges beeinflusst und gelenkt werden
können."[16] Da dies von weiten Teilen der Bevölkerung abgelehnt wird,
sind schwere Auseinandersetzungen praktisch vorprogrammiert.

Deutsche Planungszellen Internationaler Polizeimissionen

Das Institut für Aus- und Fortbildung in Nordrein-Westfalen (IAF NRW)
gilt – neben der Ausbildungsstätte der Bundespolizeiakademie in Lübeck
sowie der Polizeiakademie in Wertheim (Baden-Württemberg) – als
bedeutendste Trainingsstätte für internationale Einsätze im Rahmen des
»Zivilen Krisenmanagements« der Europäischen Union.

Die Polizeiakademie in Wertheim trainiert für folgende Missionen: EU
Police Mission (EUPM) in Bosnien und Herzegowina, EU African Union
Support Mission (EU AMIS II) im Sudan, EU-Border-Assistance-Mission
(EUBAM) in Rafah/Palästina und das EU Coordinating Office for
Palestinian Police Support (EUPOL COPPS) in Palästina.

Die Schule der Bundespolizei in Lübeck ist für die Projektgruppe
Polizeilicher Aufbau Afghanistan (PGPAA) verantwortlich. Auch für die
UN Observer Mission (UNOMIG) in Georgien und das Police Advisory Team
(EUPAT) in Mazedonien, die UN Mission in Liberia (UNMIL), die UN
Mission in Sudan (UNMIS) und die EU Border Assistance Mission (EUBAM)
in Moldawien und der Ukraine übernimmt sie die Schulung der Beamten.[17]

In Bonn, in unmittelbarer Nähe des IAF NRW, das u.a. im Kosovo
eingesetzte Polizisten ausbildet, liegt das Gelände der Vereinten
Nationen. Aufgrund dieser Nähe zieht deren Department für
friedenssichernde Operationen (DPKO) dort offenbar einen
Trainingsstandort für internationale Polizistinnen und Polizisten in
Erwägung.[18]

Die jüngsten Organisationseinheiten der Schule der Bundespolizei sind
die Einsatzhundertschaften im niedersächsischen Gifhorn. Auf die erste
Hundertschaft, die bereits ein Jahr in Gifhorn kaserniert ist, folgte
im Januar die zweite, womit das Personalsoll von über 200 Beamten
erfüllt wurde. Die Einheit soll sowohl für bereitschaftspolizeiliche
Aufgaben im Inland als auch in polizeilichen Einsätzen im Ausland
eingesetzt werden.

Die Paramilitarisierung deutscher Außenpolitik

Am 14. April 1949 legte der Polizeibrief der alliierten
Militärgouverneure an den Parlamentarischen Rat den Rahmen deutscher
polizeilicher Arbeit fest. Er beinhaltete das Verbot, dass "deutsche
Polizeikräfte in einer Weise neu organisiert, bewaffnet oder
ausgebildet werden, die ihnen militärischen oder militärähnlichen
Charakter gibt oder sie in die Lage versetzt, im Gegensatz zu
Polizeiaufgaben militärische Aufgaben" durchzuführen.[19] Betrachtet
man die heutige Realität, so muss man feststellen, dass internationale
Polizeieinsätze einen immer militärischeren Charakter annehmen.

Polizeimissionen gelten fälschlicher Weise als Zivilisierung einer
maßgeblich durch das Militär geprägten Außenpolitik. Als Schäuble die
libanesisch-syrische Grenze »seinen« Bundespolizisten überantworten
wollte, wurde der Ruf nach einer robusteren Polizeieinheit laut. Die
GdP fordert zur Bewältigung gewalttätiger Auseinandersetzungen
entsprechend ausgebildete und ausgerüstete Einheiten.[20] Vieles deutet
darauf hin, dass mit der Errichtung der Sondereinheit in Gifhorn dieser
Plan bereits realisiert wird. Ziel sei es, so ein BGS-Spezialist,
"Demonstrationen bewältigen zu können." [21] Ein GdP-Pressesprecher
räumte ein, solche Einsätze fänden in einer rechtlichen Grauzone statt,
die Bundespolizei könne dabei in Situationen geraten, "die mehr
militärischen Charakter haben." Aus diesem Grund forderte Konrad
Freiberg "gepanzerte Fahrzeuge" für polizeiliche Auslandsmissionen.
Auch sei zu überlegen ob "für diese Einsätze Maschinengewehre"
bereitzuhalten seien.[22] Vor allem die Gifhorner Einheit scheint damit
die Speerspitze für eine direkte polizeiliche Unruhe- und
Aufstandsbekämpfung im Ausland (riot control) zu werden, die sich kaum
mehr von Militäreinsätzen trennen lässt.[23] Deutschland folgt somit
dem europäischen Trend zur Ausbildung paramilitärischer Einheiten. Fünf
EU-Staaten sind bereits dabei, eine Gendarmerietruppe von 800 Mann
aufzustellen, die konzeptionell eher militärischen als polizeilichen
Charakter hat.[24]

Im Zug der Auslandseinsätze wird die Trennung von polizeilichen und
militärischen Aufgaben aufgeweicht. Bei der Logistik und vor allem bei
einem schnellen Rückzug aus Drittländern, sind Polizeimissionen oft auf
die Zusammenarbeit mit dem Militär angewiesen. Wehe betont
diesbezüglich die Kraft des Faktischen: "Die Trennung zwischen Militär
und Polizei ist zwar wünschenswert, aber oftmals nicht zu
realisieren."[25]

Wer den zunehmenden Militärinterventionen zur »Stabilisierung«
fehlgeschlagener Staaten kritisch gegenüber steht, muss ebenso
skeptisch die Funktion internationaler Polizeieinsätze betrachten, die
ihrerseits integraler Bestandteil des neuen Interventionismus sind.
Hinzu kommt, dass mit solchen Polizeimissionen die Außenpolitik immer
weiter der parlamentarischen Kontrolle entzogen wird. Die Bundespolizei
untersteht allein dem Innenminister. Seine Beschlüsse bezüglich der
Verwendung der Polizei im Ausland bedürfen keiner Zustimmung des
Parlaments. Einsätze sollen zuverlässig, schnell und leise vonstatten
gehen. In dieses Bild passt auch Schäubles Forderung künftig Polizisten
– analog zu Soldaten – ohne deren Einwilligung für Auslandseinsätze
verpflichten zu können.[26] So "drängt sich der Eindruck auf, dass
deutsche Polizeikontingente insbesondere dann zum Einsatz kommen, wenn
ein militärischer Einsatz wegen der vorgeschalteten
Parlamentsentscheidung untunlich ist", schreibt Andreas
Fischer-Lescano. Die Konsequenz wäre eine zunehmende
"Entparlamentarisierung der deutschen Außenpolitik".[27]

Diese Entparlamentarisierung reduziert die Transparenz der deutschen
Außenpolitik. Informationen gelangen nicht in die Zeitungen und somit
verliert die Presse ihre kontrollierende Wirkung. Polizisten genießen
darüber hinaus in der deutschen Bevölkerung eine weit größere Akzeptanz
als Soldaten. Die Erfahrungen mit verkehrsregulierenden oder
kriminalpolizeilichen Aufgaben der Polizei verleiten zu dem
Fehlschluss, die Wahrung von Ordnung und Friede in Afghanistan, im
Irak, im Kongo oder im Kosovo sei ähnlicher Gestalt.

Martina Harder ist Mitarbeiterin der Tübinger Informationsstelle Militarisierung.

Anmerkungen
[1] Die Libanon-Krise, Informationen des Auswärtigen Amts, 31.08.2006.
[2] Fischer-Lescano, Andreas: Soldaten sind Polizisten sind Soldaten –
Paradoxien deutscher Sicherheitspolitik, in: Zeitschrift Kritische
Justiz, Heft 1/2004, S. 67-80.
[3] Klug, Sönke: Bundespolizei – Wir wollen nicht Lückenbüßer sein, Spiegel Online, 17.08.2006.
[4] GdP: Bundespolizisten nicht in militärische Konflikte verwickeln, Pressemitteilung, Berlin, 16.08.2006.
[5] Merten, Ulrike: Bundespolizei soll zu Auslandseinsatz gezwungen werden können, in: Netzzeitung, 29.07.2005.
[6] NATO & ESVP: Gestaltung des europäischen Pfeilers einer
transformierten Allianz, Rede von Dr. Michael Schaefer, Auswärtiges
Amt, 15.03.2004.
[7] Wehe, Dieter: Internationale Polizeimissionen – Einsatz im Ausland,
in: Deutsche Polizei – Zeitschrift der Gewerkschaft der Polizei, Nr.3,
März 2006, S. 8-12, S. 8.
[8] German-Foreign-Policy.com: Pate der Polizei, 27.02.2006.
[9] Bundesministerium des Innern, Berlin: Bundesgrenzschutz – Jahresbericht 2002.
[10] BMI Daten und Fakten: Internationales und multilaterales Engagement des Bundesministeriums des Innern, URL: http://www.bmi.bund.de
[11] Marischka, Christoph/Obenland, Wolfgang: Friedliche Kriege? Auf dem Weg zum Weltpolizeistaat, ISW-Spezial Nr.19 (2005).
[12] Rat der EU: EU Integrated Rule of Law mission for Iraq, 10383/06 (Presse 181).
[13] ZIF (Zentrun für internationale Friedenseinsätze): German Personnel in Peace Operations, May 2005.
[14] Schäuble, Wolfgang: Innere Sicherheit unter deutscher Führung in
Afghanistan weiter stabilisieren, Pressemitteilung des BMI vom 07.
Dezember 2005.
[15] Mehr Soldaten nach Afghanistan, Frankfurter Rundschau, 05.09.2006.
[16] Marischka/Obenland 2005, S. 21.
[17] Wischerath, R./Litges, T.: Das Vorbereitungsseminar, Polizei NRW Auslandseinsätze (Dezernat 13), 21.11.2005.
[18] Sazer, U.: Hoher Besuch in Brühl, Polizei NRW, 15.03.2006.
[19] Dokumentation des Polizeibriefes bei: Martin Willich:
Bundesgrenzschutz – Historische und aktuelle Probleme der
Rechtsstellung des Bundesgrenzschutzes, seiner Aufgaben und Befugnisse,
Hamburg 1980. Vgl. zur Entwicklung des BGS Harder, Martina: Die
Erweiterung des BGS-Einsatzspektruns, in: AUSDRUCK – Das IMI-Magazin,
Dezember 2005.
[20] GdP-Positionen und Forderungen zu Auslandseinsätzen der deutschen
Polizei, in: Deutsche Polizei – Zeitschrift der Gewerkschaft der
Polizei Nr.3 März 2006, S. 13.
[21] Gutzeit, Achim: Entlastung für die Bundeswehr? Die geplante
BGS-Truppe für den Auslandseinsatz, in: Streitkräfte und Strategien,
Sendereihe des NDR, 02.07.2005.
[22] Militarisierung, German-Foreign-Policy.com, 07.07.2005.
[23] Gutzeit, Achim: Entlastung für die Bundeswehr? Die geplante
BGS-Truppe für den Auslandseinsatz, in: Streitkräfte und Strategien,
Sendereihe des NDR, 02.07.2005.
[24] Daniel, Tobias: Startschuss für europäische Polizeitruppe, europa-digital.de, 28.9.2004.
[25] Wehe 2006, S. 9.
[26] Merten 2005.
[27] Fischer-Lescano 2004.

Martina Harder

http://www.imi-online.de/download/IMI-Analyse2006-028MHaPolizeisoldaten.pdf 

Quelle: http://www.imi-online.de/2006.php3?id=1459