EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso begrüßt Gunter Thielen, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann AG, Liz Mohn, Stellv. Vorsitzende der Bertelsmann Stiftung und Prof. Dr. Werner Weidenfeld, Mitglied des Vorstands der Bertelsmann Stiftung und Direktor des C·A·P. |
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GÜTERSLOH – Der einflussreichste private
Polit-Thinktank der Bundesrepublik verlangt eine umfassende Entmachtung
der kleineren EU-Staaten auf dem Gebiet der Außen- und Militärpolitik.
Dies geht aus einem soeben veröffentlichten Strategiepapier der
Bertelsmann-Stiftung hervor. Das Papier, das die künftige globale
Machtentfaltung "Europas" befördern soll, enthält weitreichende
Vorschläge für die Formierung der EU, darunter die Forderung, einen
"EU-Sicherheitsrat" zu installieren. Dem Gremium, das die gesamte
Sicherheitspolitik der EU zu überwachen habe, sollen nur die sieben
Länder mit dem größten Militärhaushalt dauerhaft angehören. Die
restlichen Staaten hätten sich dagegen mit einer befristeten,
rotierenden Mitgliedschaft zufrieden zu geben, heißt es in dem
Bertelsmann-Dokument. Es sieht außerdem umfangreiche
Aufrüstungsprogramme vor und strebt machtpolitische Konkurrenzfähigkeit
gegenüber den USA an. Weil die Bevölkerung der EU-Staaten gegenwärtig
noch der Armutsbekämpfung den Vorrang vor globaler Machtentfaltung
gibt, empfehlen die Autoren des Papiers gezielte Propagandamaßnahmen
und entschiedene "Führung".
Das Strategiepapier, das die Firmenstiftung des
Medienkonzerns Bertelsmann unter dem Titel "Beyond 2010 – European
Grand Strategy in a Global Age" veröffentlicht hat, ist von der
sogenannten Venusberg-Gruppe erstellt worden. Bei dieser handelt es
sich um einen Expertenzirkel, der seit 1999 kontinuierlich tätig ist –
ebenfalls auf Initiative der Bertelsmann-Stiftung, die als mit Abstand
einflussreichster privater Thinktank der Bundesrepublik gilt.[1]
Zahlreiche Konzept- und Strategiepapiere der Stiftung sind in den
vergangenen Jahren zur Grundlage für politische Maßnahmen Berlins und
Brüssels geworden. In der "Venusberg-Gruppe" arbeiten sechs Experten
der Stiftung gemeinsam mit sieben weiteren Wissenschaftlern und
Politikern aus unterschiedlichen europäischen Staaten an Blaupausen für
die künftige EU-Außen- und Militärpolitik. Das jetzt vorliegende
Dokument ist bereits ihr drittes umfassendes Strategiepapier.
Bertelsmann-Stiftung eine Intensivierung der Debatte um die Gemeinsame
Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union erreichen. "Jetzt
oder nie" müsse die Kooperation forciert werden, heißt es in dem Papier
– sonst stünden "dem europäischen Bürger akute Gefahren" bevor. Jedes
Kapitel endet alarmistisch mit dem Satz: "Die Uhr tickt". Tatsächlich
ist "Beyond 2010" nicht der Vermeidung von Gefahren gewidmet, sondern
vielmehr der Frage, wie sich die globale Machtposition der EU vor dem
weiteren Aufstieg Chinas und angesichts einer momentanen Schwäche der
Vereinigten Staaten rasch befördern lässt.[2]
transatlantischen Verhältnisses – die Führung der USA in der Zeit des
Systemkonflikts – "nicht länger gültig". Bislang sei die europäische
Politik "wenig mehr als ein Anhang zur amerikanischen Strategie"
gewesen. Nun aber sei "Multilateralismus" angesagt. Die EU müsse "ein
modernisiertes transatlantisches Verhältnis" mit "strategischen
Optionen" entwickeln, fordert die "Venusberg-Gruppe". "Einfach gesagt:
Die Amerikaner müssen offen für die Aussicht auf Partnerschaft sein;
die Europäer müssen die Fähigkeiten besitzen, dies auch zu verdienen."
erster Stelle eine außenpolitisch stark gestraffte und militärpolitisch
hochgerüstete EU. Brüssel benötige nicht nur einen Außenminister, wie
ihn der zur Ratifizierung stehende EU-Vertrag jetzt vorsieht [3],
sondern außerdem einen Auswärtigen Dienst sowie "mächtige
Geheimdienst-Fähigkeiten". Die "Venusberg-Gruppe" schlägt darüber
hinaus die Installierung einer "Sicherheits- und Verteidigungs-Gruppe"
unter dem Vorsitz des EU-Außenministers vor. Die Gruppe solle die
Kontrolle über die gesamte Außen- und Militärpolitik des Bündnisses
übernehmen und sich perspektivisch in einen "EU-Sicherheitsrat"
transformieren.
Gleichgewicht zwischen Souveränität und Sicherheit" zu etablieren sein.
Damit ist de facto nichts anderes als eine weitgehende Entmachtung
kleinerer EU-Staaten gemeint. Wie die Bertelsmann-Experten vorschlagen,
sollen in der "Sicherheits- und Verteidigungs-Gruppe" nur die sieben
Länder mit dem (in absoluten Zahlen) größten Militärhaushalt ständig
vertreten sein; dies sind Deutschland, Frankreich, Großbritannien,
Italien, Spanien, die Niederlande sowie Polen ("leadership group"). Die
restlichen EU-Mitglieder sollen jeweils befristet einen rotierenden
Sitz in dem Gremium erhalten. In der Zwischenzeit sind sie für die
Leitung subalterner "aufgabenorientierter Arbeitsgruppen" vorgesehen,
die sich mit "spezifischen Sicherheitsthemen" wie "Klimawandel" oder
"Bevölkerungswachstum" zu befassen haben.
sieht die "Venusberg-Gruppe" auch für militärische Belange vor. Demnach
sollen zur Entlastung der führenden EU-Militärmächte die kleineren
Mitgliedstaaten für die "gemeinsame Finanzierung" künftiger
Truppeninterventionen herangezogen werden. Die Europäische
Verteidigungsagentur müsse weitere Kompetenzen erhalten, um die
Aufrüstung der EU-Länder nach zentralen Vorgaben steuern zu können,
heißt es in dem Papier. Vorgesehen sind Waffen nahezu aller Gattungen –
von Präzisionsmunition über unbemannte Kampfflugzeuge und im Weltraum
stationiertes Kriegsmaterial bis zur Raketenabwehr. "Europäische
Spezialkräfte sind wesentliche Elemente für Anti-Terror-Operationen",
heißt es weiter, auch die Kommandostrukturen müssten weit stärker als
bisher zentralisiert und schon bald in einem "EU Operational
Headquarters (EUOHQ)" gebündelt werden. Der "Venusberg-Gruppe" zufolge
ruft ihr Strategiepapier "ganz gewiss nicht nach einem militaristischen
Europa" – eine Bemerkung, die offenbar als Hinweis auf noch
weitergehende Planungen in militärpolitischen Fachzirkeln verstanden
werden muss.
Forderungen gegenwärtig von der Bevölkerung nur unzureichend
unterstützt werden. So sprechen sich Umfragen zufolge rund 43 Prozent
aller Menschen in der EU dafür aus, dem Kampf gegen Arbeitslosigkeit
und Armut politischen Vorrang zu geben. Nur fünf Prozent hingegen
priorisieren die weltweite Machtentfaltung der EU. "Europas politische
Führer müssen gemeinsam die europäische Bevölkerung überzeugen, dass es
jetzt an der Zeit ist, sich angemessen auf eine sichere Zukunft
vorzubereiten, und dass das Anstrengung, Engagement und Geld kosten
wird", schreibt die "Venusberg-Gruppe". Bislang "scheinen zu viele von
den Führern Europas bereit, der öffentlichen Meinung zu folgen".
Stattdessen müsse man "sie führen".
vorangegangene Strategiepapiere der Bertelsmann-Stiftung und des erst
kürzlich aus ihr ausgeschiedenen Politikwissenschaftlers Werner
Weidenfeld an. Diese skizzieren bereits seit Jahren den Aufstieg der
EU: "Die Supermacht Europa", so hieß es schon im Mai 2003,
"verabschiedet sich endgültig von der Idee einer Zivilmacht und bedient
sich uneingeschränkt der Mittel internationaler Machtpolitik".[4]
Weidenfeld, unter dessen Ägide diese Papiere entstanden, ist erst
kürzlich erneut zum einflussreichsten Politikberater Deutschlands
erklärt worden.[5]
[2] Hier und im Folgenden: The Venusberg Group: Beyond 2010 – European Grand Strategy in a Global Age; Gütersloh, July 2007
[3] s. auch Richtungsentscheidung
[4] s. dazu "Untergang oder Aufstieg zur Weltmacht?", "Supermacht Europa" und European Way of Life
[5] Nummer Eins der Politikberatung; www.cap-lmu.de/aktuell/meldungen/2007/politikberater.php