Daten nehm ich dir

Sie nahmen Körpergeruchsproben, überwachten den
Schriftverkehr der politischen Gegner und hörten Journalisten und
Wissenschaftler ab, die mit ihnen in Kontakt standen. Was zunächst nach
Stasi klingt, waren Maßnahmen, die Generalbundesanwältin Monika Harms
vor dem G-8-Gipfel in Heiligendamm anordnete. Im gleichen Jahr wurden
Fingerabdrücke in Reisepässen eingeführt. Mit der
Vorratsdatenspeicherung werden seit dem Jahreswechsel private Telefon-
und Internetdaten für sechs Monate gespeichert. Zu Recht hat deshalb
die Bürgerrechtsorganisation „Privacy International“ in ihrem vor
kurzem veröffentlichen Jahresranking Deutschland vom weltweiten
Vorreiter im Datenschutz auf den siebten Platz heruntergestuft. Aber steht „Das Ende der Privatsphäre“ bevor, wie der
Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar in seinem Buch mit dem
gleichnamigen Titel prophezeit? Die digitale Gesellschaft hat zumindest
alle technologischen Voraussetzungen für einen Überwachungsstaat, und
Schaars Buch liest sich wie ein Kompendium des Machbaren. Umfassend und
für Laien verständlich beschreibt der Experte das Überwachungspotenzial
der alltäglichen Technologien unserer Gesellschaft, die jene aus
Orwells Dystopie „1984“ bereits in den Schatten stellen:
Internetrevolution, die allgegenwärtige Datenverarbeitung per Computer,
Handys, Videoüberwachung, elektronische Gesundheitskarte,
Biometriepass, genetische Vaterschaftstests und Kundenprofile. Überall
werden Persönlichkeitsdaten gesammelt, die nur unzulänglich vor
Missbrauch geschützt sind. Das im Grundgesetz verankerte „Recht auf
informationelle Selbstbestimmung“ verhindert, dass diese der
Zweckbindung unterliegenden Daten zu umfassenden
Persönlichkeitsprofilen zusammengeführt werden. Man muss also schon
ein, wie er sich selbstironisch nennt, „notorischer Datenschützer“ wie
Peter Schaar sein, um darin Ansätze eines Überwachungsstaats zu
wittern.

Doch lägen große Datenmengen erst einmal vor, so
Schaars Erfahrung, würden „Begehrlichkeiten“ bei Unternehmen wie bei
staatlichen Behörden geweckt – mit hoher Bereitschaft, gegen das bei
jeder Datenerfassung bestehende Zweckbindungsprinzip zu verstoßen.
Besonders gefährlich seien neue Techniken wie die in Biometriepässen,
Eintrittstickets und im Einzelhandel verwendeten RFID-Chips, die über
Funk auslesbare Daten transportieren. Mit heimlichen Ablesegeräten
könnten solche Chips mit wenig Aufwand zu Überwachungsmitteln gemacht
werden, befürchtet Schaar.

Denn international hat sich das
gesellschaftliche Klima nach dem 11. September 2001 zugunsten eines
„starken Staates“ verschoben: „Es ist eine fatale Tendenz, dass
staatliche Stellen die Bürger zunehmend als Risikofaktoren, potenzielle
Regelverletzer oder gar Straftäter ansehen. Je mehr der Staat die
Bürger überwacht, desto schlechter ist es um den Datenschutz und damit
letztlich auch um die Freiheit insgesamt bestellt.“

Dass der
Staat immer wieder seine rechtmäßigen Grenzen zur Überwachung
überschreitet, ist viel wahrscheinlicher geworden. Die Angst vor
erneuten Terroranschlägen, kristallisiert in dem Ende 2003 verschärften
„Antiterrorparagrafen“ 129a, legitimierte erstmalig auch präventive
kriminologische Methoden wie Rasterfahndung, Vorratsdatenspeicherung
oder die heimliche Onlinedurchsuchung. Laut Urteil des Autoren
„aktionistische“ Gesetzgebungen, die innerhalb von wenigen Wochen und
ohne öffentliche Debatte durchgesetzt und erst durch höchstrichterliche
Urteile wieder zurückgenommen worden sind.

Schaars
historischer Vergleich mit dem Deutschen Herbst vor dreißig Jahren oder
dem Ende der 1990er Jahre ausgerufenen Kampf gegen die organisierte
Kriminalität zeigt aber, dass das Tauziehen zwischen Bürgerfreiheiten
und innerer Sicherheit genuin zur Geschichte des bundesdeutschen
Rechtsstaats dazugehört: Die feine Balance zwischen der Sicherheit des
Staates, der für die Grundsicherheiten aller Individuen sorgt, und den
freien Entwicklungsmöglichkeiten der Bürger in einem Staat muss stets
neu verhandelt werden – gerade angesichts von diffusen Bedrohungen wie
dem internationalen Terrorismus, die die Bevölkerung bis zu einem Punkt
verunsichern, an dem sich ihre Ängste politisch instrumentalisieren
lassen.

Hier liegt die Stärke von Peter Schaars Buch: In
seiner Rolle als Bundesdatenschutzbeauftragter ruft er zur Skepsis
gegenüber staatlichen Sicherheitsversprechen auf, die mit
Freiheitseinschränkungen einhergehen. Dagegen fällt das Kapitel zu den
Datenschutzproblemen in der Privatwirtschaft vergleichsweise dürr aus.
Es entsteht der Eindruck, dass Peter Schaar mit dem Staat eigentlich
einen Nebenschauplatz im Kampf gegen einen gläsernen Bürger beackert.
Denn auf staatlicher Ebene sind sie noch am besten vor missbräuchlicher
Datenerhebung geschützt, herrschen rechtlich im Vergleich zu den
freiwilligen Selbstentblößungen der Bürger in etwa in Internetforen
geradezu paradiesische Zustände.

Man stelle sich vor, der Staat
versuchte, Privatfotos gemeinsam mit Telefonnummer, E-Mail-Adresse,
Lebenslauf, musikalischen Vorlieben und Einkaufsgewohnheiten in einer
zentralen Datei zu speichern. Auf StudiVZ, Flickr und öffentlichen
Blogs geben Millionen Menschen diese Daten freiwillig preis.
Datenschützer wie Peter Schaar nehmen dieses gesellschaftliche Klima
durchaus wahr. Ihre Baustelle bleibt aber per Berufsdefinition der
Staat. Um seine Rechte in der Wirtschaftswelt muss sich der Einzelne
selbst bemühen. Ein erster Schritt wäre es, Peter Schaars Buch zu
lesen.

– Peter Schaar:
Das Ende der Privatsphäre. Der Weg in die Überwachungsgesellschaft. C. Bertelsmann, München 2007. 237 Seiten, 14,95 Euro.

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 14.01.2008)

Quelle: http://www.tagesspiegel.de/kultur/literatur/;art138,2455581