Redebeitrag auf der Demonstration gegen den "11. Europäischen Polizeikongreß"
Heiner Busch, Komitee für Grundrechte und Demokratie/ CILIP
«Sicherheit bei internationalen Events» – das ist der Titel eines Handbuchs, auf das sich die zuständige Arbeitsgruppe des Rates der Innen- und Justizminister der EU im Oktober vergangenen Jahres verständigt hat. Das Handbuch ist nichts grundsätzlich Neues. Es ist das Ergebnis einer seit Ende der 80er Jahre sich entwickelnden Zusammenarbeit der Polizeien der EU- bzw. damals noch EG-Staaten in Sachen «öffentliche Ordnung und Sicherheit». Deren Schwergewicht lag zunächst auf dem Kampf gegen das «Fussballrowdytum». Dieser Bereich schien politisch unproblematisch und die entsprechenden Massnahmen konnten hier ohne grössere öffentliche Aufmerksamkeit bzw. vielfach mit grossem Applaus der veröffentlichten Meinung durchgezogen werden. Bereits 1997 verabschiedete der EU-Ministerrat eine «gemeinsame Massnahme», die den Aufbau zentraler Kontaktstellen, einen frühzeitigen Austausch von Informationen und die Entsendung von polizeilichen Verbindungsbeamten aus anderen EU-Staaten in denjenigen Staat vorsah, in dem die Veranstaltung stattfinden sollte. In einem ersten Leitfaden – seinerzeit noch im Rahmen der Schengen-Kooperation produziert – wird klar, was für Informationen da geliefert werden sollten. Die Checkliste im Anhang fordert Angaben über Art, Grösse und Zusammensetzung der jeweils anreisenden Gruppen, «Triebfedern, Gewalttätigkeit, potenzielle Ausschreitungen, Orte und Zeiten der Versammlungen, Routen und Zwischenhalte, Beförderungsmittel».
Im Juli 2001, kurz nach den Protesten gegen den EU-Gipfel in Göteborg und kurz vor den Protesten gegen den G8-Gipfel in Genua, verabschiedete der EU-Rat erneut «Schlussfolgerungen» über die Sicherheit von Gipfeltreffen. Die MinisterInnen bekräftigten darin nicht nur den Austausch von Lagebildern, sondern erinnerten daran, dass Artikel 46 des Schengener Abkommens auch die «spontane» Weitergabe von Personendaten zulasse. Sie hoben die Möglichkeit hervor, Kontrollen an den Binnengrenzen der EU, die eigentlich nach diesem Schengener Abkommen abgeschafft sein sollten, wieder einzuführen. Die Speicherung von so genannten Polit-Hooligans in einer zentralen EU-weiten Datei wurde erwogen und der deutsche Innenminister Otto Schily durfte sich mit dem Instrument der Ausreiseverbote brüsten, das der Bundestag 1998 – im Hinblick auf die Bekämpfung von Fussball-Hooligans – mit grosser Mehrheit eingeführt hatte.
Die Ergebnisse waren in Genua spürbar: Die italienische Regierung hatte europäischen Rückenwind für ihr brutales Vorgehen gegen die GegnerInnen der kapitalistischen Globalisierung – ein Vorgehen, das unter anderem dazu führte, dass der 23-jährige Carlo Giuliani von einem fast gleichaltrigen Carabiniere erschossen wurde. Tausende wurden bereits bei der Ausreise an den deutschen Grenzen aufgehalten. Viele Leute erhielten hierzulande mit fadenscheinigen Gründen förmliche Ausreiseverbote, die Gerichte segneten das Vorgehen ab. Über 2 000 Personen wurden an den Grenzen Italiens oder auf dem Weg nach Genua aufgehalten und konnten gar nicht zu den Protesten anreisen. Die italienische Polizei verfügte zwar nicht über eine EU-weite Datei, aber über schwarze Listen.
Die Prozesse rund um die Ereignisse von Genua sind noch immer nicht abgeschlossen. Die EU hat sich davon aber nicht beeindrucken lassen. Für sie sind internationale Demonstrationen nicht Ausdruck des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit, das zwar in allen Verfassungen und auch in der unverbindlichen EU-Grundrechtecharta festgehalten ist. Trotzdem sind Demonstrationen und Proteste für die MinisterInnen und ihre Polizeileute weiterhin europäische Katastrophen.
Typischerweise malt das neue Handbuch zu «international events» nicht nur die Gefahren von Ausschreitungen bei Demonstrationen, sondern auch gleich den Terrorismus an dieselbe europäische Wand und produziert damit jene Vermengung von Feindbildern, die wir anlässlich des G8-Gipfels in Heiligendamm erneut kennen gelernt haben. Mit dem Vertrag von Prüm, der 2005 zunächst von sieben EU-Staaten unterzeichnet und auf deutsches Betreiben nun in EU-Recht überführt wird, werden die Mechanismen der polizeilichen Kooperation noch einmal ausdrücklich rechtlich abgesichert:
- Die Einrichtung zentraler Kontaktstellen
- der Austausch von ungesicherten Informationen über Gruppen und Personen,
- die Entsendung von Verbindungsbeamten in die Einsatzzentralen
- die gemeinsame Überwachung und Kontrolle von Grenzen, die es angeblich im vereinten Europa nicht mehr gibt
- und schliesslich die Gestellung von Material und PolizistInnen für die Einsätze selbst.
Sicherheit bei internationalen Events wird in der EU ganz gross geschrieben, das Recht zu demonstrieren ganz klein.