Europäischer Polizeikongress in Berlin – Demonstration der Macht

Aufruf zum Protest

Das
Komitee für Grundrechte und Demokratie ruft zu einer Demonstration
gegen den 11. Europäischen Polizeikongress am 29. Januar in Berlin auf
– „eine „private Veranstaltung, die so tut, als finde sie im
öffentlichen Interesse statt“. Veranstaltet wird sie vom
«Behörden-Spiegel», einer privaten Bonner Monatszeitung, die sich als
«Leitmedium für den öffentlichen Dienst» ver steht. Diese Zeitung, so
das Komitee, bilde durch ihre starke Verbreitung im Öffentlichen
Dienst, „ein Verbindungsglied für die Industrie – insbesondere
für die informationstechnische und die Sicherheitsindustrie“.
Der Europäische Polizeikongress ist zum einen eine Gelegenheit für die
Industrie, ihre Produkte bei den anwesenden Repräsentanten der
Innenpolitik und der Polizei unterzubringen. Der Kreis der Aussteller
und Sponsoren dieser Messe reichen von EADS über SAP, Siemens und IBM
bis zu Giesecke & Devrient und zur Bundesdruckerei. Diese Firmen
gehören schon heute zu den Lieferanten des Sicherheitssektors. Sie sind
nach Auffassung des Grundrechtekomitees „mitverantwortlich für den
neuen technologischen Schub, den der Sektor der Inneren Sicherheit in
den vergangenen Jahren erlebt hat: von der Videoüberwachung über die
Biometrie und die Gesichtserkennung bis hin zum Digitalfunk und zu
Methoden der elektronischen Datenauswertung und des Data Mining“.
 
Polizeilich-industrieller Komplex
 
Da an den diversen «Panels» dieses Kongresses nicht nur PolitikerInnen
und Polizisten, sondern durchgängig auch VertreterInnen der Industrie
beteiligt sind, werde der Europäische Polizeikongress immer stärker zum
„Ausdruck des sich entwickelnden polizeilich-industriellen Komplexes
und zu einer politischen Veranstaltung, auf der „Regierungen und
Polizeien ihre Vorstell- ungen über das polizeiliche Europa zum Besten
geben, ohne dass ihnen
die davon Betroffenen ins Wort fallen“ können. Teilnehmer sind laut
Selbstdarstellung Innenminister, Justiz- minister, Europaabgeord- nete,
Staatssekretäre, Behördenleiter, Polizei- und Grenzschutzbehörden aus
über 60 Nationen. Für das «Fachpublikum» aus «Behörden, Polizei,
Militär und Botschaften» ist die Teilnahme kostenlos. Alle anderen
müssten 1185 Euro plus zusätzliche Gebühren berappen, um sich in die
Diskussion darüber einmischen zu können, wie die Polizei in der EU und
in den Mitgliedstaaten ausgestaltet sein soll, welche Befugnisse und
welche technischen Möglichkeiten sie haben soll, wie die
Zuständigkeiten in dieser «europäischen Sicherheitsarchitektur»
verteilt werden sollen. Von den Medien versprechen sich die
Veranstalter, dass sie einmal mehr als Lautsprecher für ihre
Forderungen nach noch mehr Kontrolle und Überwachung und nach noch
dichteren Grenzen fungieren.

Daß sich hier Bürgerinnen und Bürger einmischen müssen, beweist nach
Auffassung des Grundrechtekomitees schon ein kurzer Blick auf die
Traktandenliste der Innen- und Justizpolitik der EU.  
 
Abschottung der Grenzen
 
Die restriktive Asyl- und Migrationspolitik bildet seit dem Schengener
Abkommen von 1990 den Kern der EU-Innenpolitik. Die strikte Überwachung
der Außengrenzen ist die polizeiliche Seite der Asyl- und
Einwanderungsverhinderung, durch die jährlich Hunderte von Menschen ihr
Leben bei dem Versuch verlieren, in der EU Schutz oder eine würdige
Lebensperspektive zu finden. Der Anteil der Menschen, die an den
Grenzen zurückgewiesen werden sollten, lag kontinuierlich über 80
Prozent. Im kommenden Jahr soll SIS 2, das Schengener
Informationssystem der zweiten Generation, ans Netz gehen. Es wird auch
digitalisierte Fingerabdrücke und Fotos, biometrische Daten also,
enthalten. Dasselbe gilt für das auf derselben technischen Plattform
betriebene Visa-Informationssystem, das spätestens nach fünf Jahren
Daten über 100 Millionen Personen enthalten wird. Darin erfasst werden
alle Personen, die ein Visum beantragen.

Seit 2003 in Betrieb ist Eurodac, ein System, in dem die Fingerabdrücke
aller Personen gespeichert werden, die in der EU um Asyl ersuchen. Das
EU-Poli- zeiamt Europol verfügt nicht nur über eine große Indexdatei
sondern vor allem über «Arbeitsdateien zu Analysezwecken». In diesen
Dateien können Ver- urteilte, Verdächtige und potenziell Verdächtige,
ZeugInnen und potenzielle ZeugInnen sowie Hinweisgeber, Kontakt- und
andere Personen gespeichert werden – also alle Menschen, die Europol
für interessant hält.

Freier Datenmarkt – das Prinzip der Verfügbarkeit
 
Auf diesen Grundsatz einigte sich der EU-Ministerrat Ende 2004 im
Haager Programm, dem Fünfjahresplan der EU für die Innen- und
Justizpolitik. Danach sollen sich die Polizeien der Mitgliedstaaten
gegenseitig Zugang zu allen Daten eröffnen, die ihnen zur Verfügung
stehen. Den rechtlichen Ein- stieg in diesen einheitlichen Binnenmarkt
für Polizeidaten nimmt die EU mit DNA-Profilen und Fingerabdrücken. So
sieht es der Vertrag von Prüm vor, den im Juli 2005 zunächst sieben
Mitgliedstaaten unterzeichneten und der derzeit in EU-Recht überführt
wird.
 
DemonstrantInnen und Fußballfans Feinbild?
 
Nicht erst die Fußball-WM 2006 und der Protest gegen den G8-Gipfel in
Heiligendamm haben nach Ansicht des Grundrechtekomitees gezeigt, dass
solche Großanlässe der EU grundsätzlich als Gefahr gelten. Sie boten
den Anlass, „die Kontrollen an den Binnengrenzen wieder einzuführen,
die seit dem Schengener Abkommen angeblich aufgehoben sind“. Für Demos
und Sportveranstaltungen zusammengestellte EU Handbücher und Leitfäden
sehen nicht nur den Austausch von Verbindungsbeamten und «Szene-
kennern», sondern auch den Austausch von Personendaten vor. Um als
gefährlich eingestuft und der Polizei des jeweiligen Gastlandes gemeldet zu werden, muss die betreffende Person nicht wegen
einer Straftat verurteilt sein. Es reicht, zufällig in eine
Personenkontrolle zu geraten und danach in der jeweiligen nationalen
Polizeidatei zu landen.
 
Vorratsdatenspeicherung
 
Der Bundestag hat kürzlich ein Gesetz beschlossen, mit dem er die
Richt- linie der EU zur so genannten Vorratsdatenspeicherung umsetzte.
Die Tele- kommunikationsfirmen müssen danach Verbindungsdaten, die beim
Telefon- ieren oder beim E-Mail-Verkehr anfallen, ein halbes Jahr
speichern – für den Zugriff von Polizeibehörden und Geheimdiensten. Im
November 2007 hat die EU-Kommission den Entwurf eines Rahmenbeschlusses
vorgelegt, wonach Fluggesellschaften verpflichtet werden, ihre
Passagierdaten an neu zu schaffende Zentralstellen der Polizeien zu
melden. Dort sollen sie dreizehn Jahre gespeichert werden – zum Zwecke
der «Bekämpfung» von Terrorismus und organisierter Kriminalität.

„Terrorismusbekämpfung“
 
Im Jahr 2002 beschloss der EU-Ministerrat seine gemeinsame Terrorismus-
definition und machte damit Strafbestimmungen über «terroristische
Verein- igungen» für alle Mitgliedstaaten verbindlich. Die Erfahrung
mit den deutschen Paragrafen 129a und b zeige, so das
Grundrechtkomitee, „dass die Zahl der Verurteilungen zwar sehr niedrig
bleibt, aber eine Ausforschung ganzer Bevölkerungsgruppen und
vielfältige Zwangsmaßnahmen möglich werden – eine Bestrafung ohne
Urteil“. Jetzt will die EU-Kommission diesen Beschluss von 2002 um ein
Delikt der «öffentlichen Aufforderung zu terroristischen
Straftaten».erweitern. Für die Strafbarkeit soll dabei irrelevant sein,
ob «terroristische Straftaten unmittelbar befürwortet werden.» Heiner
Busch vom Grundrechtekomitee: „Wenn der Ministerrat diesem Entwurf
folgt – und daran gibt es kaum Zweifel – werden einmal mehr Meinungen
kriminalisiert.“

Europäischer Staat – neoliberal und autoritär
 
Die EU stützt sich nicht nur auf einen ungebremsten Binnenmarkt. Der
Lissabonner Vertrag, den die EU-Regierungsspitzen 2007 unterzeichnet
haben, sieht, so das Komitee, „wie der am französischen und nieder-
ländischen Referendum gescheiterte Verfassungsvertrag eine
militarisierte Außenpolitik und einen konsequenten Ausbau der inneren
„Sicherheits- architektur“ vor. Dass das Europäische Parlament nun ein
paar Mitbestimm- ungsrechte mehr erhält, ändert nichts an dem
grundsätzlich neoliberalen und autoritären Charakter dieses
Staatsgebildes“.

Dieser Überblick zeige, so Heiner Busch im Demonstrationsaufruf nach
Berlin, dass der Europäische Polizeikongress, der vom 28.bis 30.Januar
im Congress-Center stattfindet und für den per Google-Anzeige geworben
wird, keine bloße private Veranstaltung ist und auch nicht im
öffentlichen Interesse stattfindet: „Er ist eine Demonstration der
Macht. Er ist eine Werbeveran- staltung für die zunehmende
Einschränkung der Grund- und Menschenrechte aller BürgerInnen. Deshalb
rufen wir zum Protest gegen den Europäischen Polizeikongress und
zugleich gegen die schon lange ausufernde Entwicklung der Überwachung
und Datensammlung auf.“ (PK)
 
Weitere Informationen beim Komitee für Grundrechte und Demokratie,
Aquinostr. 7 – 11, 50670 Köln, Tel.: 0221 – 97269 -30, Fax: – 31
info@grundrechtekomitee.de, www.grundrechtekomitee.de

Source: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=11999