Der am 13.12.2007 von den Staats- und Regierungschefs der Europäischen
Union unterzeichnete EU-Reformvertrag wird die Politik in der EU
wesentlich ändern. Die offiziellen Stellen der EU und die Mehrheit der
Mitglieder des Europäischen Parlamentes werden nicht müde, die Vorteile
dieses »Vertrages von Lissabon« anzupreisen. Die LINKE lehnt diesen
Reformvertrag wie zuvor den fast identischen EU-Verfassungsvertrag ab.
Der Vergleich der Artikel zeigt, dass der Inhalt des
EU-Verfassungsvertrages und des Reformvertrages fast übereinstimmend
ist. »Etwa 90 Prozent des Kernpakets bleiben gegenüber dem europäischen
Verfassungsvertrag unverändert«, so der irische Regierungschef Bertie
Ahern.Der »Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die
Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen
Gemeinschaft« ist ein Änderungsvertrag zu den bestehenden Verträgen.
Valéry Giscard d’Estaing hat darauf verwiesen, dass der Inhalt
größtenteils unverändert geblieben sei; die Änderungen würden lediglich
anders dargestellt. Die Regierungen der EU hätten sich auf »kosmetische
Veränderungen« der Verfassung geeinigt, um den Vertrag leichter
verdaulich zu machen, weil der neue Text dem Verfassungsvertrag nicht
ähneln dürfe.
Was sind nun die wesentlichen Gründe für die Ablehnung des
Reformvertrages? Neben einer Neustrukturierung der EU-Institutionen
werden durch den Reformvertrag inhaltliche Festlegungen in wesentlichen
Politikbereichen vorgenommen, vor allem im Bereich Wirtschafts-,
Militär- und Migrationspolitik. Insbesondere in den beiden
letztgenannten ist einiges neu. Die bisherigen EG- und EU-Verträge
verbieten einen eigenen permanenten EU-Militärhaushalt. Dieser soll nun
durch den Reformvertrag ermöglicht werden. Mit dem »Anschubfonds« (Art.
26) können auch operative EU-Militärausgaben beglichen werden. Damit
gibt es zusätzlich zu den einzelstaatlichen Militärhaushalten einen
eigenen EU-Militärhaushalt. Die institutionelle Zusammenarbeit zwischen
EU und NATO im militärischen Bereich wird mit dem Reformvertrag
abgesichert. Die NATO taucht direkt im Reformvertrag auf: Die
»Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik« (ESVP) solle zur
»Vitalität eines erneuerten Atlantischen Bündnisses« beitragen (Art.
27, Protokoll Nr. 4). In Artikel 27,3 findet sich die viel kritisierte
Aufrüstungsverpflichtung (»Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre
militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern«.) nun auch im
Reformvertrag. Umsetzen soll dies vor allem auch die EU-Rüstungsagentur
(Art. 30), die nun mit dem Reformvertrag primärrechtlich verankert
werden soll.
Im »Protokoll über die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit« heißt es,
dass die EU »spätestens 2010 über die Fähigkeit verfügen werde,
entweder als nationales Kontingent oder als Teil von multinationalen
Truppenverbänden bewaffnete Einheiten bereitzustellen, die auf die in
Aussicht genommenen Missionen ausgerichtet sind, taktisch als
Gefechtsverband konzipiert sind, über Unterstützung unter anderem für
Transport und Logistik verfügen und fähig sind, innerhalb von 5 bis 30
Tagen Missionen nach Artikel 28b des Vertrags über die Europäische
Union aufzunehmen, um insbesondere Ersuchen der Organisation der
Vereinten Nationen nachzukommen, und diese Missionen für eine Dauer von
zunächst 30 Tagen, die bis auf 120 Tage ausgedehnt werden kann,
aufrechtzuerhalten«. Das Recht des Bundestages (durch ein Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 festgelegt), über
Auslandseinsätze der Bundeswehr zu entscheiden, wird erheblich
ausgehöhlt.
Im neuen EU-Vertrag selbst findet sich die Aufforderung, die
entsprechenden einzelstaatlichen Vorschriften an die verkürzte
Einsatzzeit der EU-Battle-Groups anzupassen und die »nationalen
Beschlussfassungsverfahren« zu überprüfen (Protokoll Nr. 4). Die
damalige britische Ratspräsidentschaft antwortete mir auf meine Frage
im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung, wie die kurze
Einsatzzeit (5 bis 30 Tag) der EU-Battle Groups (mobile Kampftruppen)
mit der in Deutschland festgeschriebenen Parlamentsbeteiligung in
Übereinstimmung zu bringen ist, dass die deutschen Kollegen angemerkt
hätten, dass eine Zustimmung des Bundestages auch mal im Nachhinein
möglich sei. Gleichzeitig ist bekannt, dass das deutsche
Verteidigungsministerium an Bestimmungen arbeitet, wie
»Dauergenehmigungen« für EU-Battle Groups und NATO-Response Forces
(Eingreiftruppen) erteilt werden könnten. Auf Staatssekretärsebene wird
dies auch öffentlich gefordert.
Mit dem Reformvertrag wird ein militärisches Kerneuropa durch das
Instrument der »Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit« ermöglicht.
Dies schafft einen Primärrechtsrahmen für die verstärkte Entsendung von
EU-Battle Groups (Art. 27, Protokoll Nr. 4). Der Gerichtshof der
Europäischen Union ist explizit nicht zuständig »für die Bestimmungen
hinsichtlich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und für die
auf der Grundlage dieser Bestimmungen erlassenen Rechtsakte« (Art 11,
240a). Das Europäische Parlament ist ebenfalls nicht zuständig, wird
lediglich auf dem Laufenden gehalten (Art. 21). Dieser »Hohe Vertreter
der Union für Außen- und Sicherheitspolitik« soll sowohl Teil des
EU-Rates als auch der EU-Kommission sein.
Die institutionelle Vermischung von Außen- und Militärpolitik wird,
rechtsstaatlich äußert fragwürdig, weiterhin festgeschrieben (Art. 9b,
9e, 9d). Das Thema Migrationskontrolle spielt eine sehr wichtige Rolle.
Im neuen Paragraphen 69 des Reformvertrages heißt es unter anderem:
»Die Union entwickelt eine Politik, mit der (c) schrittweise ein
integriertes Grenzschutzsystem an den Außengrenzen eingeführt werden
soll.« Die LINKE hat dazu klare politische Positionen: »Aber der
vorliegende Verfassungsentwurf soll alle EU-Staaten zur Aufrüstung
verpflichten. Er befördert die Militarisierung der EU. Neoliberale
Wettbewerbspolitik soll Verfassungsrang erhalten. Das für mehr
Demokratie in der EU Erreichte bleibt hinter dem Notwendigen zurück.
(…) Wir werden alle Möglichkeiten auf parlamentarischer und
außerparlamentarischer Ebene nutzen, um dies zu verhindern. Die PDS
sagt ›Nein‹ zu dem vorliegenden Verfassungsentwurf.«
Dies war die Aussage im Europawahlprogramm der PDS 2004. Die
Europäische Linkspartei (EL) hat auf ihrem Kongress am 24. und 25.
November den EU-Reformvertrag klar abgelehnt. Die Bundestagsfraktion
der LINKEN beschloss am 26.11. vergangenen Jahres in einer
Sonderfraktionssitzung einstimmig die Ablehnung des EU-Reformvertrages.
Es gibt also genügend Anlässe, um nun aktiv – auch mit einer
Informationskampagne – dafür zu kämpfen, dass der EU-Reformvertrag
nicht umgesetzt wird.
Tobias Pflüger