Sonst sind Sie dem Untergang gezeichnet! – Wie das BKA Erpresser identifiziert

"Sehen Sie hier, der Kommafehler": Zu Besuch beim BKA, im Archiv für Erpresserbriefe


Auf dem Bildschirm flimmert die Fotographie einer
Schreibmaschinenseite. Sabine Schall sagt, das sei einer ihrer
Lieblingsschlaumeier. In dem Text brüstet sich ein Erpresser seiner
Professionalität: "Ich habe anders formuliert als sonst. Das Papier
stammt aus einem Supermarkt. Die Schreibmaschine kaufte ich in einer
anderen Stadt auf einem Trödelmarkt. (. . .) Die Briefe sind nicht mit
Speichel zugeklebt und nicht von hier abgesandt. Das Durchschlagpapier
wurde verbrannt. Es ist nichts mehr vorhanden, nur meine Gedanken."

Der letzte Satz ist symptomatisch für die Hybris vieler Erpresser. "Die
Leute wissen aus den Krimis, dass man keine Spuren hinterlassen soll",
sagt Schall. "Aber sie wissen oft nicht, dass man auch in der Sprache
Spuren hinterlässt." Es ist am Ende eben immer mehr vorhanden als nur
die Gedanken. Sprache ist ein wunderbar formbarer Stoff, und manche
hinterlassen darin Spuren wie ein Traktor im Tiefschnee. Zumindest für
eine geübte Linguistin.Sabine Schall hat eine Art hermeneutisches Monopol: Fast jeder
Erpresser- oder Drohbrief, jedes Bekennerschreiben, kurzum nahezu jedes
deutschsprachige Schriftstück, das bei einem schwerwiegenden
Verbrechen, bei dem die Polizei eingeschaltet wurde, eine Rolle spielt,
landet auf ihrem Schreibtisch oder dem eines Kollegen. Schall arbeitet
als forensische Linguistin im Referat "Sprechererkennung,
Tonträgerauswertung und Autorenerkennung" des Bundeskriminalamtes in
Wiesbaden, das heißt, sie analysiert schriftliche Texte einzig auf
sprachliche Signale hin, die Rückschlüsse auf den Autor zulassen. Für
Telefonanrufe und andere Arten mündlicher Erpressung sind die Kollegen
von der forensischen Sprecherkennung zuständig, für die Untersuchung
außersprachlicher Spuren die forensische Handschriftenerkennung, die
Chemieabteilung und die Urkundenuntersuchung.

Um die Briefe unter anderem nach grammatikalischen, orthographischen,
syntaktischen Signalen zu durchkämmen, greift Schall jedes Mal tief in
die "Kiste", das "Kriminaltechnische Informationssystem Texte". In
dieser digitalen Datenbank wurden seit 1989 rund 4500 Schreiben
gespeichert und nach verschiedenen Parametern analysiert: Besteht ein
Text aus komplexen Nominalphrasen? Gibt es dialektische Einsprengsel?
Regionalismen? Anzeichen für Berufsjargon? Interpunktionsfehler? Das
meiste sind Erpresser- oder Drohbriefe, gefolgt von Bekennerschreiben
linksextremer Gruppierungen und rechtsextremer Volksverhetzung. Rund
100 Vorgänge bearbeitet Schall im Jahr.

Nun denkt man ja bei Erpresserbriefen zunächst an schnörkellos brutale
Texte, zusammengeklebt aus Zeitungs- und Anzeigenschnipseln. In der
"Kiste" finden sich nur vier oder fünf dieser fernsehtypischen
Wortcollagen, die im Film so wunderbar optische Signalwirkung haben,
man braucht nur eine Sekunde lang einen solchen Klebebrief zu sehen und
weiß, ah, Erpressung. "Das ist sehr zeitaufwendig", sagt Schall,
"außerdem wissen die meisten, dass man durch Klebstoff und verschiedene
Papiersorten viele Spuren hinterlässt."

Was die Brutalität angeht, bemühen sich viele Erpresser zumindest im
ersten Brief um einen höflichen Ausdruck. Vielleicht aus schlechtem
Gewissen, vielleicht um zu signalisieren, dass man mit den Behörden
oder der zu erpressenden Firma auf Augenhöhe ist, orientieren sie sich
an Geschäftsbriefen ("Betr.: Erpressung"), inklusive Adressfeld,
korrekter Anrede, Blocksatz oder gar dem Vermerk "Anlage: 1 Giftpaket".
Die Erpressung wird dann oft als Kredit, Geschäft oder Spende
schöngeredet. Einige Autoren mühen sich freilich durch diesen
Geschäftsbriefton, als würden sie auf hohen Stelzen durch die Sprache
staksen: "Dies lässt diesseitig Zweifel an der Ernsthaftigkeit Ihrer
Zahlungsbereitschaft aufkommen." Oft rauschen das texttypische Muster
des formelhaft höflichen Schreibens und der unhöfliche, ja brachiale
Inhalt, nämlich die Erpressung nebst drastischer Konsequenzandrohung
bei Nichtbefolgen, gar ineinander wie zwei Güterzüge, die Sätze, die
durch die unhöfliche Höflichkeit entstehen, sind dann von verquerer
Komik: "soviel muss ihnen ihr Geschäft wert sein, ansonsten sind sie
dem Untergang gezeichnet."

Besonderen Wert legen Erpresser darauf, nicht unterschätzt zu werden,
immer wieder brüsten sie sich damit, keine Spuren hinterlassen zu
haben, zuweilen auch in Sätzen, die genau dieses Bestreben
dekonstruieren: "Dieses Schreiben hat keinerlei Sporen wie
Fingerabdrücke Haare Schweiß u.s.w." Was dem Kriminalbeamten
Fingerabdrücke oder Schweißproben wären, sind Sabine Schall solche
Sporen-Spuren: "Meist erklären unsere Autoren, was sie alles können,
wie gut sie sind, und dass wir mit unserem kriminalistischen Kleinhirn
ohnehin keine Chance haben. Schön für uns, da wird dann mehr Text
produziert."

Ein beliebter Trick besteht darin, sich als Ausländer auszugeben:
"Achtung Bomben versteckt in Internaten und Schulungsgebäuden aber
nicht sein Gefahr für Krankenhaus." Schall zeigt mit dem Kugelschreiber
auf den Bildschirm: "Bisschen Syntaxveränderung und stereotype
Infinitive, aber intakte Orthografie selbst bei schwieriger
Graphem-Phonem-Korrespondenz, die korrekten Umlaute – ein
Muttersprachler, der seine Vorurteile über Türkendeutsch ausstellt.
Fehlt nur die Universalnegation nix", sagt sie knapp. Ihr Humor ist
trocken wie ein Päckchen Salzstangen, weshalb man ihre Ausführungen als
Zuhörer wegknuspert wie nix. Einen Ausländer zu imitieren, sei fast
unmöglich, man müsse da die jeweilige Sprache beherrschen, um typische
Fehler zu machen.

In den Briefen des Nestlé-Erpressers, der Thomy-Produkte mit Blausäure
versetzte, fielen ihr fehlende Endungen auf, die im pfälzischen und
hessischen Dialekt verschluckt werden, etwa: "selbe zeitung wie letzte
mal". Außerdem fand sie charakteristische Rechtschreibfehler wie "fier"
statt vier und "vert" statt Wert, die darauf hinweisen könnten, dass
der Schreiber ursprünglich in einer romanischen Sprache beheimatet ist.
Sie tippte auf einen Rumänen oder Franzosen, der in einer hessischen,
alemannischen oder pfälzischen Gegend lebt. Außerdem war sie sich
relativ sicher, dass der Autor selten schreibt und zwischen 30 und 50
ist. Am Ende gestand ein 43-jähriger Gärtner aus Rumänien, der in
Hessen lebt.

Im zweiten Brief wird’s ruppig
Nach Aussage des damaligen Firmensprechers der Nestlé AG wird das
Unternehmen durchschnittlich einmal im Monat erpresst. Die Hälfte der
Erpresser gibt nach der ersten Kontaktaufnahme auf. Nur in etwa zehn
Prozent der Fälle dauert die Erpressung länger als eine Woche. Ob und
wann freilich ein länger anhaltender Erpressungsfall eintritt, ist
nicht vorhersehbar. Auch wenn also vieles nach Stilblüte oder
Studentenjux klingt – "Für diverse Vorhaben, u.a. die Erhaltung der
deutschen Sprache, brauchen wir Geld. DM 500 000 wollen wir von Ihnen"
-, Sabine Schall muss erstmal davon ausgehen, dass das Schreiben ernst
gemeint ist. Die 41-Jährige sagt, in den 16 Jahren, die sie in der
BKA-Autorenerkennung arbeitet, sei sie noch nie richtig verladen
worden. Natürlich, "wenn es keine Spuren gibt, kann ich auch keine
hineinlesen, aber eine richtige Fehlinterpretation habe ich mir noch
nicht geleistet". Wenn sie länger redet, schaltet sich hinter ihr der
Bildschirmschoner ein, dessen Programmierer wahrscheinlich aus dem
bayrischen Sprachraum stammt:
Jahimmiherrgottsackezementzefixhallelujanochamal.

Die Briefe spiegeln auch bundesrepublikanische Geschichte wider: Im
Zuge der Wiedervereinigung gab es Erpressungen, bei denen die Autoren
ihr Tun als rechtmäßige Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht sahen;
in jüngerer Zeit rechtfertigen sich Schreiber zuweilen mit Hartz IV.
Während der letzten Monate hatte Schall vor allem mit ausufernden
Bekennerschreiben "aus dem linksextremen Spektrum" zu tun: "20 Seiten
Text sind für die gar nichts." Außerdem kopieren Linksextreme oft ganze
Absätze aus dem Internet, da wird es schwer mit der Autorenerkennung.

Gleichzeitig könnte Schall solchen Autoren auch dankbar sein: Denn
eines der größten Probleme ist die Kürze. Die meisten Erpresserbriefe
enthalten weniger als 200 Wörter. Auch bei Folgebriefen sinkt die
Textlänge, schließlich muss ab dem zweiten Brief kaum noch etwas
erklärt werden. Parallel dazu ändert sich oft der Umgangston. Als komme
nach dem honorigen Anwalt mit sprachlichen Ärmelschonern nun das
Inkassobüro Moskau, gehen die Erpresser oft zu finsteren Drohungen
über: "Nichtbeachten Dises Schreibens wird mindestents mit Todesstrafe
bestraft." – "Hm", sagt Schall, "zwar wenig sorgfältig, aber
Dehnungsfehler und Auslautverhärtung sind häufig, leider kann man
daraus noch nichts ablesen." ALEX RÜHLE

Quelle: http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/415325