Frontex offenbart die aggressive Politik der Europäischen Union


[imi] Die Gründung der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit
an den Außengrenzen (Frontex) offenbart die antidemokratische und
aggressive Politik, die vom Rat der Innen- und Justizminister und der
Europäischen Kommission im Umgang mit Migranten und der eigenen
Bevölkerung verfolgt wird. Die Politik der Inneren Sicherheit der
Europäischen Union wird und wurde bislang in geheimen Zirkeln und
informellen Gremien vorbereitet. Mit fortschreitender Integration
wurden viele dieser Kooperationen in EU-Recht überführt, ohne
beispielsweise dem deutschen Grundgesetz oder den Urteilen des
Bundesverfassungsgerichts zu entsprechen.Die EU bot sich den nationalen Innenministerien als rechtliche
Parallelstruktur an, in der sie als Exekutive zugleich gesetzgeberisch
tätig werden konnte. Wesentliche Wegmarken, welche die weiteren
Entwicklungen vorstrukturierten, wie der Prümer Vertrag oder das
Schengener Abkommen, wurden außerhalb des EU-Rechtsrahmens von den
nationalen Regierungen durch internationale Verträge oder von einzelnen
Ministerien per Verwaltungsabkommen gesetzt.

Frontex vernetzt nationale Geheimdienste, Zoll und Grenzpolizeien, die
Behörde EUROPOL, deren Beamte Immunität genießen, mit dem
EU-Auslandsgeheimdienst SITCEN und den EU-Satellitenprogrammen EUSC und
GMES. Frontex verbindet nationale Ausländerbehörden mit den Anbietern
von Sicherheitstechnologie und diese wiederum mit wissenschaftlichen
Instituten und militärischen Einrichtungen. Frontex zielt auf eine
umfassende zivil-militärische Kontrolle der Bevölkerung ab.

Das jüngst vorgelegte Programm zur Inneren Sicherheit von Franco
Frattini, EU-Kommissar für Justiz, Freiheit und Sicherheit, liest sich
wie ein Horrorkatalog und basiert wesentlich auf Vorarbeit und
Empfehlungen von Frontex. Alle »EU-Ausländer« sollen bei der Einreise
in die Union biometrisch erfasst und gespeichert werden. Läuft ein
Visum ab, wird das in Datenbanken vermerkt. Die Außengrenzen sollen
durch modernste Technologie einschließlich unbemannter Flugkörper
überwacht werden. Für EU-Bürger hingegen soll das Reisen innerhalb der
Union komfortabler werden. Das ist ein Versuch der Spaltung von
Menschen unterschiedlicher Herkunft. Acht Millionen »Illegale« werden
in der EU vermutet, dazu kommen weitere Millionen, die einen prekären
Aufenthaltsstatus haben und bei jeder falschen Bewegung oder durch
einfache Gesetzesänderungen »illegal« werden können. In der EU leben
Menschen, die sich zwar in einem Mitgliedstaat aufhalten dürfen, aber
keine Reisefreiheit haben. Dazu kommen zusätzlich noch hunderttausende
Familienangehörige, Touristen und Saisonarbeiter. Letztere werden sogar
auf der ganzen Welt angeworben, weil die EU auf den Import von Menschen
und Arbeitskraft angewiesen ist.

Dennoch will die Union ihre Einwohner einer technologisch gestützten,
polizeilich-militärischen Kontrolle unterwerfen. Selbst wer tatsächlich
noch zum »Auslaufmodell« des unbescholtenen kerneuropäischen Bürgers
gehört und komfortabler Reisen will, soll sich die Augeniris freiwillig
scannen lassen. Außerdem werden die hier entwickelten Technologien
sicherlich im Laufe der Zeit auf Terrorverdächtige und die Organisierte
Kriminalität angewandt; und auf deren »Kontaktpersonen«: Vermieter,
Kunden, Gemeindemitglieder. Zukünftig soll Frontex auch die nationalen
Zollbehörden vernetzen. Es gibt selbst innerhalb der EU Waren und
Güter, die in einem Mitgliedstaat erworben und im nächsten nicht einmal
besessen werden dürfen. Wer dabei noch für »Recht und Ordnung« sorgen
will, der muss in der Konsequenz eigentlich alles überwachen.

Doch wer kontrolliert die Kontrolleure? Jedenfalls nicht die nationalen
Parlamente, denn die werden nicht einmal gefragt, wenn ein EU-Staat
Frontex Material und Personal zur Verfügung stellt. Auch die nationalen
Regierungen sind nicht über die Frontex-Aktivitäten informiert. Die
deutsche Bundesregierung behauptete auf Anfrage: »Die Europäische
Grenzschutzagentur hat (…) eine eigene Informations- und Datenhoheit
und steht gegenüber den Mitgliedstaaten nicht in einer
Informationspflicht bzw. Pflicht zur Datenweitergabe. Informationen,
die interne Ablaufprozesse der Agentur oder Kooperationen mit anderen
Mitgliedstaaten betreffen, liegen nicht in der Zuständigkeit der
Bundesregierung.«

Auch das Europäische Parlament weiß nicht, was Frontex genau macht. Der
Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres hatte den
Exekutivdirektor Ilkka Laitinen von Frontex zu einer Anhörung geladen.
Laitinen erschien nicht und ignorierte die Vorladung. Der Direktor
untersteht lediglich dem Verwaltungsrat, der ihn ernennt und auf seine
Vorschläge hin jährlich ein Arbeitsprogramm beschließt. Der
Verwaltungsrat setzt sich aus zwei Vertretern der EU-Kommission und
jeweils einem Vertreter der EU-Mitgliedstaaten bzw. der
Schengen-Staaten zusammen. Frontex kann mit jeder Regierung und
Organisation Kontakt aufnehmen und Kooperationen eingehen. Die
Organisation betont dabei stets, dass sie als »autonome Agentur« nicht
»politisch« und nicht als Vertreter der EU handele. Für größere
Maßnahmen und die Ausübung exekutiver Funktionen, etwa Einsätze der
Rapid Border Intervention Teams (RABITS) im Falle von »Ausnahme- und
Notsituationen«, benötigt sie jedoch die Unterstützung der
Mitgliedstaaten. Wer dann für das Handeln der eingesetzten Beamten
zuständig ist, ist rechtlich allerdings noch nicht geklärt. Das liegt
vermutlich durchaus im Interesse der Agentur und der sie beauftragenden
Staaten. Jedenfalls beschäftigt sich Frontex bei aller Vielseitigkeit
auffallend wenig mit den Rechtsgrundlagen des eigenen Handelns.

Dies alles mag paranoid wirken, und das ist es auch. Paranoia und
Allmachtsfantasien liegen dicht beieinander: Beide bestehen in einem
Verlust der Wahrnehmung der eigenen Grenzen. In diesem Falle sind es
die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit und der Kontrollfähigkeit. Ein
Fünftel des Welthandels entfällt auf die EU; sie will durch
Kriegsinterventionen entfernte Regionen »stabilisieren« und durch
»Nachbarschaftspolitik« ihre Umgebung gestalten. »Wenn ein illegaler
Migrant unsere Außengrenze erreicht hat, hat unsere Politik versagt.«
Wer so denkt, der muss dem Wahn einer totalen Kontrolle erliegen.
Frontex ist Ausdruck einer paranoiden und gemeingefährlichen Union.

Christoph Marischka

IMI-Standpunkt 2008/015 – in: Neues Deutschland, 07.03.2008

Source: http://www.imi-online.de/2008.php3?id=1715