[telepolis] Florian Rötzer
Nach einer Recherche des Wall Street Journal hat der mächtige Auslandsgeheimdienst das vom Kongress 2003 gestoppte Total Information Awareness Program weitergeführt
Nach dem 11.9. hat die Darpa ein umfassendes Überwachungsprogramm gestartet und es vermutlich im Überschwang, aber unvorsichtig Total Information Awareness Program (TIA) genannt (Weltweites Schnüffelsystem). Damit sollten die Daten von möglichst vielen Datenbanken zusammengeführt und nach verdächtigen Mustern durchsucht werden. Es nutzte nichts, das Projekt in Terrorist Awareness Programm umzutaufen, den Kongressabgeordneten ging dies zu weit und sie sperrten im September 2003 die Gelder).
Das geschah allerdings unter der Bedingung, dass einzelne Programme von TIA unter anderem Namen weitergeführt wurden. Unbekannt war bis zum Jahr 2005, dass die US-Regierung den Geheimdienst NSA kurz nach dem 11.9. heimlich beauftragt hatte, Telefon- und Internetkommunikation auch von US-Bürgern ohne richterliche Genehmigung durch den dafür vorgesehene FISA-Gericht abzuhören. Die Daten erhielten sie von den Telekom- und Internetprovidern, die die Bush-Regierung noch immer vor Klagen schützen will und in der geplanten Neufassung des FISA-Gesetzes eine rückwirkende Straffreiheit fordert. Noch widersetzen sich die Abgeordneten dieser Forderung.
Hieß es zunächst, dass nur wenige abgehört worden seien und dies nur Kommunikation in bestimmte Länder oder von diesen betroffen habe, so wurde nach und nach bekannt, dass das Ausmaß der Lauschaktion sehr viel größer gewesen ist. Schon bald wurde vermutet, dass die NSA die gesamte Kommunikation abgehört und nach verdächtigen Mustern oder Hinweisen durchsucht haben könnte (Der Abhörskandal weitet sich aus). 2006 war bekannt geworden, dass die NSA zumindest die Verbindungsdaten aller inländischen Gespräche von den großen Telefonkonzernen speichert (Umfassender Lauschangriff auf US-Bürger). Die Bush-Regierung nannte nun die Lauschaktion "Terrorist Surveillance Program", weil man bislang sicher gehen konnte, dass fast alles vom Kongress durchgewunken wird, wenn es angeblich der Terrorbekämpfung dient.
Mitte 2007 weckte dann ein Brief des damaligen obersten Geheimdienstchefs Mike McConnell neuen Verdacht. Dieser schrieb an einen Abgeordneten, dass US-Präsident Bush nach dem 11.9. eine Reihe von Lauschprogrammen gestartet habe, das NSA-Programm sei aber das einzige, über das gesprochen werden könne (schließlich war es schon aufgedeckt worden). Welche anderen Programme weiterhin hinter dem Rücken des Kongresses betrieben werden könnten, blieb erst einmal unbekannt.
Das Wall Street Journal nun, dass die NSA ein ganz ähnliches Programm wie das TIA-Projekt heimlich realisiert habe. Dazu seien auch Teile von TIA übernommen worden. Finanziert wurde dies heimlich durch "schwarze Kassen", die der Kongress nicht kontrollieren kann. Hintergrund des Artikels sind Gespräche mit Geheimdienstmitarbeitern, die Sorge haben, dass die NSA zu weit in das Privatleben der US-Bürger eindringt und der Auslandsgeheimdienst die Grenzen zwischen der Überwachung im Aus- und im Inland zunehmend einbricht. Das werde auch durch eine zunehmende Kooperation zwischen dem FBI und der NSA deutlich.
Der Geheimdienst habe sehr viel mehr Zugriff auf Kommunikations-, Finanz- und Reisedaten von US-Bürgern, als bislang bekannt geworden ist. Nach Informationen der Zeitung kann die NSA ohne richterliche Genehmigung die Verbindungsdaten der Email-Kommunikation erhalten, beobachten, wer welche Internetseiten besucht und welche Suchanfragen ausführt, Verbindungsdaten, Länge und Lokalisierung von Handygesprächen, Verbindungsdaten und Länge von Telefongesprächen, Informationen über Bankkonten, Überweisungen und Kreditkartenbenutzung sowie Informationen über Flugreisen einsehen.
Nach dem Wall Street Journal hat das Finanzministerium der NSA schon vor etwa 15 Jahren Zugriff auf die Datenbank mit den weltweiten finanziellen Transaktionen gegeben. Der Geheimdienst konnte also schon lange sehen, welche inländischen und ausländischen Geldflüsse zwischen Bankkonten stattfinden, und hatten ein Einblick in Kreditkartendaten. Die NSA habe die übernommenen Daten in einer eigenen Datenbank gespeichert und sei nach dem 11.9. dazu übergangen, nicht mehr konkreten Spuren nachzugehen, sondern auf breiter Front zu suchen. Über das Finanzministerium konnte die NSA auch auf die Daten der Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication (Swift) über internationale Transaktionen zugreifen (Lauschangriff auf die Finanzen). Bislang war nur bekannt gewesen, dass die CIA Zugang zu den Daten hatte. Auch das hatte bereits zu heftiger Kritik geführt. Die EU-Kommission hat den Transfer allerdings nachträglich gebilligt, Swift versicherte, stärker auf den Datenschutz zu achten. Offenbar greift die NSA auch auf die Daten der Flugpassagiere.
Interessant ist nicht nur, worauf die NSA Zugriff hat, sondern auch, was sie mit den unzähligen Daten macht. Auch wenn der Geheimdienst schon seit Jahren klagt, von der Datenflut überwältigt zu werden, werden nach Auskunft von Informanten aus Geheimdienstkreisen gewaltige Mengen an Emails, Internetsuchen, Überweisungen, Kreditkatenbuchungen, Reisedaten und Telefonverbindungen gespeichert und nach verdächtigen Mustern durchsucht, die dann zu Hinweisen für andere Geheimdienste oder zu neuen Lauschaktivitäten im In- und Ausland führen. Gearbeitet wird nach den Informanten der Zeitung auch mit so genannten "schwarzen Programmen", deren Existenz nicht bekannt gegeben wurde. Geschätzt wird von Insidern, dass die NSA für die Durchsuchung der Daten jährlich eine Milliarde Dollar ausgibt.