(erschienen in: junge Welt, 29.05.08)
Die EU-»Grenzschutzagentur« Frontex wirbt für sich mit dem Leitspruch
»Libertas – Securitas – Justitia«, Freiheit, Sicherheit, Gerechtigkeit.
Die hehren Worte haben nicht viel mit der Realität zu tun. In der
Öffentlichkeit wurde Frontex vor allem bekannt durch
militärisch-polizeiliche Einsätze im ägäischen, italienischen und
spanischen Mittelmeerraum sowie im Atlantik entlang der
westafrikanischen Küste. Mit Schnellbooten werden Flüchtlinge innerhalb
eines 200-Meilen-Bereichs zwischen dem Senegal und den Kanarischen
Inseln teilweise gewaltsam von ihren Fischerbooten geholt und entgegen
internationalem Recht, das solche Aktionen auf hoher See verbietet,
nach Afrika »zurückgeführt«.Da dieser Einsatzschwerpunkt an der EU-Südküste bisher im öffentlichen
Fokus stand, verwundert zunächst, daß sich die Frontex-Zentrale weitab
in der polnischen Hauptstadt Warschau befindet. Bei näherer Betrachtung
liegt dies durchaus in der unerbittlichen Logik des Konzepts einer
hermetisch abgeschirmten Festung Europa. Denn zu den Aufgaben von
Frontex gehört die Hilfeleistung bei der Sicherung der neuen
Schengen-Außengrenzen. Und seit dem 21.Dezember 2007 verläuft ein
großer Teil dieser Grenze zwischen Polen und der Republik Belarus sowie
zwischen Polen und der Ukraine. Und da macht der Standort Warschau
durchaus Sinn.
Mehr Kontrollen
Frontex wirkt mit bei Operationen an der polnischen Landesgrenze (unter
deutscher Beteiligung), entsendet aber auch Beobachter in das
Grenzgebiet zwischen der Ukraine und Moldawien, also außerhalb des
EU-Raumes. Damit wird der Druck auf die betroffenen Staaten erhöht, die
Kontrollen zu verstärken. Die »grüne Grenze« zwischen Belarus und Polen
ist dicht. Auch zwischen Polen und der Ukraine wurden Grenzzäune
hochgezogen und Grenzstreifen eingerichtet, die mit erheblichem
personellen Aufwand durch das Militär bewacht werden. Zum Einsatz
kommen Wärmebildkameras oder Leuchtsignalminen, die automatisch
ausgelöst werden, wenn Menschen sie beim Überschreiten des
Grenzstreifens berühren. Die Ukraine hat »Bürgervereine« organisiert,
die den Grenzbeamten helfen sollen, illegalisierte Personen zu
entdecken. Sogar Schüler werden als »junge Freunde des Grenzschutzes«
instrumentalisiert.
Dabei hört man in der Ukraine durchaus kritische Bemerkungen wie:
»Unser Problem ist nicht die illegale Ausreise, sondern allenfalls die
illegale Einreise.« Das heißt im Klartext: Den Aufwand, mit Kosten in
Milliardenhöhe die Grenzen zu sichern, betreibt die Ukraine
hauptsächlich im Interesse der EU, weil man sich ihr gegenüber eine
Beitrittsperspektive erhalten will und daher die EU-Abschottungspolitik
mitträgt.
Das eigene Interesse wäre eigentlich genau gegenteilig: Die Menschen in
der westlichen Ukraine werden durch die Mitgliedschaft Polens im
Schengener Raum in ihrer Reisefreiheit massiv eingeschränkt. Der
Kleinhandel im Grenzbereich in der Region zwischen dem ukrainischen
Lwiw (früher Lwow/Lemberg) und dem polnischen Przemysl ist praktisch
zum Erliegen gekommen. Ein Abkommen über den »kleinen Grenzverkehr« ist
von der EU-Kommission als europarechtswidrig beanstandet worden. Mit
Straßenblockaden haben daher die Menschen in der Westukraine dagegen
protestiert, daß sie durch das Schengen-Regime von einem Tag auf den
anderen von Besuchen in ihrem Nachbarland ausgeschlossen sind. Visa zu
beantragen ist aufwendig und teuer.
Langes Warten
Auch die Polen in der Grenzregion fühlen sich benachteiligt. Viele
haben Verwandte, die als Angehörige der polnischen Minderheit in der
Ukraine leben. Selbst diese ukrainischen Staatsangehörigen brauchen
nunmehr ein Visum für einen Besuch in Polen. In umgekehrter Richtung
besteht Visafreiheit. Daher konnten die Polen bisher mühelos zu
günstigen Einkäufen von Sprit, Zigaretten und Alkohol in die Ukraine
fahren. Damit ist es vorbei, denn wegen der strengen Grenzkontrollen
sind Wartezeiten von bis zu sechs Stunden für Pkw-Reisende an den
Übergängen Korczowa und Medyka keine Seltenheit. Denn unter den
gestrengen Augen der EU wollen sich weder die polnischen
Grenzpolizisten noch das ukrainische Militär Laschheiten bei der
Grenzsicherung nachsagen lassen.
Damit hat sich im letzten halben Jahr wieder einmal die bei früheren
Verschiebungen der Schengen-Außengrenzen gewonnene Erfahrung bestätigt,
daß das System zwar Reiseerleichterungen im Inneren bringt, zugleich
aber eine Mauer nach außen aufgerichtet wird. Gewachsene Strukturen vor
Ort werden zerstört. Statt Nachbarschaft gibt es Ausgrenzung. Aber dies
alles hat natürlich auch schwerwiegende Folgen über den betroffenen
Grenzraum hinaus. Menschen, die in ihrer Not in Europa Hilfe suchen
wollen, wird dies verwehrt. Flüchtlinge und Migranten haben nahezu
keine Chance mehr auf eine bessere Zukunft in der EU.
(Das Bild zeigt Ulla Jelpke beim Besuch der polnisch-ukrainischen
Grenze mit einer Delegation des Innenausschusses des Deutschen
Bundestages; Quelle:
http://www.bieszczadzki.strazgraniczna.pl/?selart12=3#art3 )
Source: http://www.ulla-jelpke.de/news_detail.php?newsid=870