Internationale Sperber an einem Tisch: Vier Nationen wachen über den Schweizer Luftraum

Deutschland, Österreich und Frankreich ziehen an der Euro an einem Strick – im Namen der Sicherheit im schweizerischen Luftraum.

[zo-online.ch] Gestern am frühen Abend: Der letzte Auftritt der Schweiz als Gastgeberin an der Euro 08 steht an. Beinahe hätte Petrus den vereinten Fussballfans einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht: Die Wettervorhersage prognostizierte noch am Morgen starke Gewitter, teilweise gar Hagel. Das Spiel droht aus meteorologischen Gründen abgebrochen oder gar abgesagt zu werden. Der Entscheid über die Durchführung liegt bei der Uefa – die Konsequenzen einer Absage allerdings wären weitreichend. «Die Gewitterfront bleibt in der Region der Alpen», sagt Meteorologe Urs Sutter aus Grüningen und gibt Entwarnung. Er trägt Militärgrün und sitzt in Dübendorf, im Luftlage-Zentrum.

Nervenzentrum der Sicherheit

Im Skyguide-Gebäude auf dem Dübendorfer Flugplatz laufen alle Informationen zusammen, die die Sicherheit am Schweizer Himmel während der Euro betreffen – ein Zentrum, welches für die Schweiz neuartig und gleichermassen einmalig ist.
An einem überdimensionalen Tisch sitzt ein zivil-militärisches Gremium, welches innerhalb von Minuten schwerwiegende Entscheidungen fällen kann. Kommunikationssprache ist Englisch, die Farben der Uniformen unterschiedlich, denn das Gremium ist international besetzt. Vertreten sind neben der Armee auch Skyguide, die Landesflughäfen, MeteoSchweiz, die Rega sowie deutsche, französische und österreichische Verbindungsoffiziere. Diese Form der Zusammenarbeit entstand aus Erkenntnissen aus dem ersten Golfkrieg. «Damals war nicht der Entscheidungsträger vor Ort – die Konsequenz: lange Entscheidungs- und Informationswege», erklärt Ian Logan, Oberst im Generalstab.
Einzige Frau im Raum ist Capitaine Valérie Baron, Vertreterin der französischen Luftwaffe. «Bei solchen Grossanlässen bilden wir eine Art ‹Schutzblase› über Frankreich», erklärt sie die Alarmbereitschaft des westlichen Nachbarlandes. Die Zusammenarbeit mit der Schweiz ist eine logische Folge der geografischen Gegebenheiten. Um das Stadion wurde in der Luft im Umkreis von rund 22 Kilometern eine Sperrzone errichtet. Diese reicht in Basel in das Hoheitsgebiet Frankreichs. Capitaine Baron vergleicht die Zusammenarbeit mit einem Orchester: «Jeder spielt seinen Part und fügt ihn zum grossen Ganzen.»

Stranden die türkischen Fans?

Und genau diese einzelnen Puzzlestücke waren gestern gefragt, als eine Meldung rasche Absprachen zwischen Frankreich und der Schweiz erforderte: Fünf Passagierflugzeuge hätten nachts die türkischen Fans von Basel nach Istanbul transportieren sollen. Dank der Lockerung der Nachtflugsperre ist das möglich. Landen müssten die Flugzeuge aus Istanbul in Basel allerdings bis 0.30 Uhr – unwahrscheinlich, so die aktuelle Beurteilung im Luftlage-Zentrum. Stranden nun die rund 750 Fans in und um Basel? Marcel Zuckschwerdt, Vizedirektor beim Bundesamt für Zivilluftfahrt, leitet das Gremium an der Schweizer Derniere – in Kooperation mit Ian Logan. «Unsere Aufgabe ist es, Druck von den Städten zu nehmen.» Im Klartext bedeutet dies, herauszufinden, ob es möglich ist, den Flug der Maschinen in die Schweiz zu beschleunigen. Der Flughafen Basel-Mulhouse allerdings liegt ausserhalb von Zuckschwerdts Kompetenz. Der Vertreter der französischen zivilen Luftfahrtbehörde sitzt ebenfalls am Tisch. «Wir schalten so Schnittstellen aus und verkürzen die Informationswege», erklärt Zuckschwerdt. Der Franzose hat bereits zum Telefon gegriffen, die Abklärungen sind im Gang.

Freund oder Feind?

Über dem Stadion dreht eine unbemannte Drohne der Luftwaffe ihre Kreise. Sie liefert der Polizei Bilder und Informationen zur aktuellen Verkehrssituation. Doch auch der Luftraum über der Schweiz wird mit Sperberaugen überwacht. In der Sperrzeit zwischen 16 und 24 Uhr patrouillieren an den Schweizer Spieltagen zwei PC-7 und zwei F/A-18-Jets in Alarmbereitschaft.
Übertriebene Vorsichtsmassnahme? «Mitnichten», sagt Markus Gygax, interimistischer Kommandant der Luftwaffe: Seit den Anschlägen am 11. September 2001 auf die USA schenkt man der Sicherung des Luftraums besondere Beachtung. «Die perfide terroristische Bedrohung macht dies notwendig.» Am liebsten sähe Gygax die Schweizer Luftwaffe permanent in Alarmbereitschaft, nicht nur an der Euro. «Eine entsprechende Massnahme habe ich im VBS eingereicht», die Entscheidung allerdings lasse auf sich warten. Für ein solches Szenario wäre eine personelle Aufstockung in den Bereichen Wartung, bei den Piloten, aber auch den Lotsen notwendig – keine günstige Angelegenheit. «Die Faktenlage ist klar, es muss etwas passieren», kommentiert Gygax weiter.
An der Euro jedenfalls blieben die Wachhunde am Himmel nicht arbeitslos. Aus Unachtsamkeit seien immer wieder zivile Flugzeuge in die Sperrzonen geflogen. Eine kleine Propellermaschine beispielsweise flog unbeirrt und auf direktem Weg in Richtung des Basler Stadions. «Der Pilot wurde von uns mehrmals auf der internationalen Notfrequenz angerufen – ohne Erfolg», erklärt Gygax das Vorgehen. Eine PC-7 habe das Kleinflugzeug abgefangen und es nach der visuellen Kontaktaufnahme nach Norden begleitet – in den deutschen Luftraum wohlgemerkt. Dieser Umstand ist nur dank Staatsverträgen und der engen Zusammenarbeit möglich.
Mittlerweile ist das Spiel in Basel für die Türken aus. Die Fans niedergeschlagen, aber auf dem Heimweg. Dank der Kommunikation mit dem europäischen Luftsicherungsdienst wurde der Anflug der fünf türkischen Maschinen beschleunigt. Gelandet sind sie schliesslich nach 23 Uhr. «Ein ruhiger Abend», lautet die Bilanz von Gygax.

Source: http://www.zo-online.ch/article7409/Ressorts/Fokus-Region/Sperber-an-einem-Tisch.htm