Sprengstoff aus dem Laptop

Mit Daten aus mehreren Computern der FARC-Guerilla will Kolumbiens
Regierung deren Kontakte zu Parteien und Regierungen weltweit belegen.
Doch ihre Beweise sind dürftig

[telepolis] Der Angriff kam schnell und unerwartet. In einer Blitzaktion griff
die kolumbianische Armee am 1. März ein Lager der Revolutionären
Streitkräfte Kolumbiens ( FARC
(1)) auf ecuadorianischem Boden an. Nicht allein die Grenzverletzung
belastet seither das Verhältnis zwischen den Staatsführungen in Bogotá
und Quito. Nach Angaben der kolumbianischen Regierung wurden in dem
Guerillalager mehrere Laptops und weitere Hardware gefunden. Die darauf
gespeicherten Daten belegten Kontakte der FARC-Guerilla nach Ecuador
und Venezuela, heißt es aus Kolumbien, dessen Regierung seither
mehrfach konkrete Vorwürfe gegen die Nachbarregierungen erhoben hat.
Doch die Belege sind wenig aussagekräftig.

Drei Laptops, zwei externe Festplatten und drei USB-Sticks seien in dem
Lager gefunden worden, heißt es aus Bogotá. Die Medien werden dem
FARC-Kommandanten Raúl Reyes zugeschrieben, der sich unter den zwei
Dutzend Opfern des Angriffs befand ( Kolumbien riskiert den Krieg
(2)). Doch weder Ecuador noch Venezuela erkennen die Vorwürfe an, die
nun auf Basis der gespeicherten Dateien erhoben werden. Der Angriff auf
das Lager der FARC sei nicht nur illegal gewesen, heißt es von ihrer
Seite. Auch habe bislang niemand die Authentizität der inkriminierenden
Daten nachgewiesen.

So falsch ist das nicht. Nachdem sich die Computer und Hardware zwei
Tage lang in der Hand des kolumbianischen Militärs befanden, wurden sie
am 3. März der Staatsanwaltschaft Kolumbiens übergeben. Die
internationale Polizeibehörde Interpol wurde erst zehn Tage nach der
Militäraktion mit der Überprüfung der Daten beauftragt. Doch auch ihr
am 15. Mai präsentierter Bericht (3) verwirrte mehr, als er für Aufklärung sorgte.

Viele Unstimmigkeiten, keine Kritik

Ein dreiköpfiges Team unter Leitung des österreichischen Kriminalisten Bernhard Otupal
(4), Mitglied der High-Tech Crime Unit von Interpol, war mit der
Untersuchung der FARC-Computer beauftragt. Nach mehrwöchiger Prüfung
hatte die Untersuchungskommission einen gut 100-seitigen Bericht
verfasst, der unmittelbar Fragen aufwarf. So stellte Interpol offiziell
fest, dass auf die Beweismaterialien entgegen den internationalen
Bestimmungen zugegriffen wurde, bevor von den Festplatten eine so
genannte Image-Datei, also eine originalgetreue Kopie, erstellt wurde.
In den ersten 48 Stunden nach der Sicherstellung der Datenträger wurden
aufgrund dieses Fehlers tausende Systemdateien auf den originalen
Beweismitteln verändert. Im Bericht der Interpol heißt es dazu:

*
1.479 System-Dateien wurden geschaffen
*
1.703 System-Dateien wurden gesichtet
*
5.240 System-Dateien wurden verändert
*
103 System-Dateien wurden gelöscht

Das kolumbianische Militär begründete diese
Veränderungen später gegenüber Interpol damit, dass unmittelbar nach
der Sicherstellung der Computer und Hardware auf die Daten zugegriffen
werden musste, um "geplante Terroraktionen der FARC zu verhindern".
Doch damit haben sich die Militärs der Uribe-Regierung einen
Bärendienst erwiesen: Denn grundsätzlich hat das Beweismaterial mit der
Manipulation an Wert verloren. Im Gespräch (5) mit Heise Online hatte ein deutscher Experte nach der Veröffentlichung des Berichtes erklärt:

Ich würde als Forensiker nicht
ausschließen können, dass bei einem offensichtlich zwischenzeitlich
gestarteten Rechner nicht eine komplette Image-Datei eingespielt wurde,
die in sich widerspruchsfreie Zeitstempel, sehr wohl aber manipulierte
Dateien enthält.

Laut Otupals Angaben hat der unkontrollierte Zugriff zu "systeminternen
Eintragungen und damit auch zu Neukreation von Daten geführt, die
allerdings vom Anwender nicht beeinflusst werden können". Der Zugriff
habe "eindeutig nachgewiesen werden" können und "keine Veränderung der
Daten nach sich gezogen". Die entsprechenden Untersuchungen seien durch
"international übliche und anerkannte Verfahren" durchgeführt worden,
fügte der Interpol-Experte gegenüber Telepolis hinzu, ohne aber auf
weitere Details einzugehen.

Auch an dem Fund mehrerer (inhaltlich aussagekräftiger) User-Dateien
mit Zeitstempeln aus den Jahren 2009 und 2010 sah er im Nachhinein
nichts Ungewöhnliches mehr. Im Bericht hatten Otupal und seine Kollegen
den Fund dieser "Zukunftsdaten" noch damit erklärt, dass sie von einem
weiteren Computer mit falscher Datumseinstellung auf die untersuchten
Datenträger hätten überspielt wurden können. Dass dies unmittelbar nach
der Konfiszierung hätte geschehen können, schloss der
Untersuchungsleiter nun aber aus: "Nein, eindeutig nicht", so Otupal
gegenüber Telepolis: "Diese Vorgänge liegen alle Jahre zurück." Im
Bericht war die Erklärung zu diesem kritischen Punkt nicht geliefert
worden.

Auch war Otopal nach einem ersten Interview für
Nachfragen nicht mehr zu erreichen: "Ich danke Ihnen sehr für Ihr
Interesse", heißt es in der abschlägigen Antwort: "Leider bin ich nicht
in der Lage, weitere Fragen zu beantworten. Für weitere Details nehmen
Sie bitte Bezug auf den öffentlichen Report oder die Rede unseres
Generalsekretärs, Herrn Noble."

Interpol Teil einer politischen Kampagne

Die Vorsicht bei Interpol ist begründet, denn die
Polizeibehörde ist inzwischen Teil des politischen Streits geworden.
Obgleich die Experten ursprünglich nur damit beauftragt waren,
technische Details zu untersuchen (Umstände der Beweissicherung, Umfang
der Daten, Umgang mit den Beweismitteln, mögliche Manipulation etc.),
nahm die Behördenleitung von Beginn an auch auf den politischen Diskurs
Einfluss.

Interpol-Generalsekretär Ronald K. Noble leitete die Präsentation
(6) des technischen Untersuchungsberichtes am 15. Mai mit einer
umfangreichen politischen Einschätzung der FARC ein, denen er "16500
terroristische Attacken" zuschrieb. Ein ungeschickter Zug in Zeiten, in
denen der Umgang mit der Rebellenorganisation Gegenstand einer offenen
regionalpolitischen Debatte zwischen den Staaten Südamerikas ist.
Während Kolumbiens Staatsführung für die militärische Zerschlagung der
Organisation eintritt, plädieren Venezuela, Ecuador, Boliviern und
weitere Staaten für eine diplomatische Lösung des Jahrzehnte währenden
Konfliktes. Dies führte in Südamerika schnell zu Protesten. Süffisant
wurde auf die US-amerikanische Herkunft (7) Nobles hingewiesen – und auf den dritten Absatz der Verfassung (8) von Interpol, in dem es heißt:

Es ist der Organisation strikt
verboten, jedwede Einmischung oder Aktivität politischen,
militärischen, religiösen oder rassischen Charakters zu unternehmen.
Verfassung der Interpol

So kam es andererseits nicht überraschend, dass der Bericht der
Polizeibehörde von Fürsprechern der Regierung in Kolumbien als Beleg
für die politischen Vorwürfe gegen dessen Nachbarstaaten angeführt
wurde. Nur zwei Tage nach der Veröffentlichung des Interpol-Berichts
wurde Venezuelas Staatschef Chávez in der Springer-Zeitung Die Welt als
Pate des Drogen-Terrors
(9) bezeichnet. Mit dem Interpol-Bericht "ist es amtlich", hieß es in
der deutschen Zeitung: "Die FARC werden von Venezuela und Ecuador
unterstützt." Es war nur der Auftakt eines Trommelfeuers von Vorwürfen:

Venezuela habe den kolumbianischen Rebellen die Nutzung (10) eines Hafens angeboten, es sei ein gemeinsamer Sicherheitsplan (11) ausgearbeitet wurden, Chávez habe den FARC 300 Millionen US-Dollar gezahlt (12), die FARC wiederum hätten den ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa im Wahlkampf finanziell unterstützt (13), es existiere eine bewaffnete Allianz (14) zwischen den FARC und Venezuela, Venezuela habe den FARC Uran für Atombomben verkauft (15), die FARC unterhalten Kontakte mit der prominenten kolumbianischen Oppositionspolitikerin Piedad Córdoba (16), mit der in Umfragen für die Präsidentschaftswahl 2009 führenden Linkspartei FMLN (17) in El Salvador, zur baskischen Untergrundorganisation ETA (18) und zur deutschen Linkspartei (19).

Die Liste ließe sich fortsetzen. Was bei all den
Berichten der letzten Wochen aber nicht erwähnt wird: Die inhaltlichen
Aussagen stammen ausnahmslos vom kolumbianischen Geheimdienst, der die
Daten bislang unter Verschluss hält. Bis Anfang Juni hatte noch nicht
einmal der Oberste Gerichtshof des Landes Zugang
(20) zu den Beweismitteln, während die Staatsführung fast täglich neue
"Enthüllungen" preisgab. Schon Mitte Mai hatte der ehemalige
kolumbianische Präsident Ernesto Samper – mitnichten ein Sympathisant
der Guerilla – vor den "andauernden Indiskretionen" gegenüber der
internationalen Presse gewarnt. Die kolumbianische Regierung schade so
nachhaltig den Beziehungen zu Venezuela, sagte Samper dem Radiosender
Caracol: "Und das kann sich noch verschlimmern."

Inzwischen ist die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) mit einer Prüfung der Computer und Hardware beauftragt
(21) worden. OAS-Generalsekretär José Miguel Insulza nahm den Auftrag
beim letzten Gipfeltreffen der Regionalorganisation zwar an. Seine
Organisation aber könne keine "juristische" Lösung des Streits bieten,
relativierte er.

So werden die Daten aus den FARC-Computern weiter für
politischen Sprengstoff in Südamerika sorgen. Als Beweismittel werden
sie aber wohl nie akzeptiert werden. Dazu trägt nicht nur der
offensichtlich propagandistische Umgang der kolumbianischen Regierung
bei, sondern auch ein weiterer Umstand: Unmittelbar nach der Sicherung
der Computer und Hardware im Lager der FARC-Guerilla war am 4. März in
einem Brief des kolumbianischen Geheimdienstes an Interpol von drei
Computern und drei USB-Sticks die Rede. In einem zweiten Schreiben vom
6. März dann tauchten zwei externen Festplatten auf. Woher sie stammen,
erklärte die Geheimdienstbehörde in Bogotá nicht.

Links
(1) http://farc-ep.ch
(2) http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27424/1.html
(3) http://www.interpol.int/Public/ICPO/PressReleases/PR2008/pdfPR200817/ipPublicReportNoCoverEN.pdf
(4) http://www.linkedin.com/in/otupal
(5) http://www.heise.de/newsticker/Interpol-Forensiker-zwischen-den-Fronten–/meldung/108009
(6) http://www.interpol.int/Public/ICPO/speeches/2008/SGbogota20080516.asp
(7) http://www.interpol.int/Public/ICPO/Governance/SG/noble.asp
(8) http://www.interpol.int/Public/ICPO/LegalMaterials/constitution/constitutionGenReg/constitution.asp#gp
(9) http://www.welt.de/welt_print/article2004002/Pate_des_Drogen-Terrors.html
(10) http://www.jornada.unam.mx/2008/05/10/index.php?section=mundo&article=021n2mun
(11) http://www.noticiasdealava.com/ediciones/2008/03/04/politica/espana-mundo/d04esp26.856372.php
(12) http://www.terra.com/noticias/articulo/html/act1158117.htm
(13) http://www.elmundo.es/elmundo/2008/05/15/internacional/1210807366.html
(14) http://www.telemundo51.com/noticias/15477445/detail.html
(15) http://www.enterateprimero.com/2008/03/03/colombia-denuncia-negociacion-de-farc-venezuela-por-uranio
(16) http://www.elmundo.es/elmundo/2008/04/25/internacional/1209098711.html
(17) http://www-usa.laprensa.com.ni/archivo/2008/junio/09/noticias/internacionales/264621.shtml
(18) http://news.bbc.co.uk/hi/spanish/latin_america/newsid_7428000/7428961.stm
(19) http://www.pr-inside.com/de/linke-politiker-verteidigt-kontakte-zur-r606800.htm
(20) http://www.larepublica.es/spip.php?article11159
(21) http://www.jornada.unam.mx/2008/06/03/index.php?section=mundo&article=030n1mun

Harald Neuber 12.06.2008

 

Source http://www.heise.de/tp/r4/artikel/28/28110/1.html